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Projekt „Pfade durch Utopia“Mit roten Tüchern zur Erleuchtung

Biowiderstandswaffen gegen das Großkapital: Hamburger Aktionskünstler versuchen, Utopia zu finden und mit Ameisen den Jungfernstieg anzugreifen.

Unter dem Pflaster liegt der Strand: Mit Ameisen zur Revolution. Bild: dpa

HAMBURG taz | Es beginnt verheißungsvoll. John Jordan und Isabelle Fremeaux vom Kunstaktivistenkollektiv Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii) haben am Freitag im Rahmen des Sommerfestivals in die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel geladen, um ein ungeschriebenes Kapitel ihres Projekts „Pfade durch Utopia“ aufzuschlagen.

Geheimnisvoll klingt die Ankündigung, von einer unerwarteten Begegnung ist die Rede, von der Auferstehung einer seit 200 Jahre im Verborgenen bestehenden Geheimgesellschaft. Eine kleine Broschüre gibt erste Hinweise: Wudwas nenne sich die klandestine Gruppe, gegründet von zwei Flüchtlingen der Ludditen, jener maschinenstürmenden Textilarbeiter, die Anfang des 19. Jahrhunderts Webstühle zerstörten, und deren Aufstand vom britischen Militär brutal niedergeschlagen wurde.

Doch zunächst berichten Jordan und Fremeaux von jener Entdeckungsreise, in deren Zusammenhang sie von den Wudwas erfahren haben wollen. Vor fünf Jahren haben sich die beiden Kunstaktivisten auf „Pfade durch Utopia“ gemacht, haben elf Kollektive besucht, die auf ganz unterschiedliche Weise utopische Praxis leben: ein illegales Klima-Camp auf dem Londoner Flughafen Heathrow, eine von Schülern selbst verwaltete Schule, das von prekarisierten Landarbeitern in eine Anarchokooperative verwandelte Dorf Marinaleda in Spanien.

Entstanden ist daraus ein diese Woche im Nautilus Verlag erschienenes Buch- und Filmprojekt. Ein 300-seitiges Buch und ein knapp zweistündiger Film, die als miteinander verschränkte Medien das Reale und das Imaginäre, das Greifbare und das Potenzielle miteinander verbinden sollen.

Visionen einer anderen Welt

Im Buch dokumentieren Jordan und Fremeaux ihre Reise, schildern Eindrücke, machen Zusammenhänge deutlich. Der während der Reise gedrehte Film wiederum stehe in der Tradition utopischer Literatur, als „poetisches Roadmovie aus der Zukunft“ soll er die Vision einer anderen Welt vor Augen führen.

Dann beginnt die Wiederauferstehung der Wudwas, Jordan und Fermeaux hüllen sich in Jute-Gewänder, wickeln rote Tücher um den Kopf, andere gesellen sich dazu, erzählen, was sie bewogen habe, sich den Wudwas anzuschließen. Schließlich erfahren wir, was uns erwartet. Ein Initiationsritus, der immer einen Akt des Widerstandes beinhalte. Mit einer Biowiderstandswaffe sollen Finanzzentrum, Energieunternehmen und Kreativwirtschaft angegriffen werden.

Zwei RechtsanwältInnen klären über die Konsequenzen auf. Von allerhand Bedrohlichem ist die Rede, am Ende kommt die Erleichterung: Halte man das alles für eine Theaterperformance, erwarte einen keine Strafe. Nach einer kurzen Fragerunde geht es heraus aus dem Theater.

Gemeinsames Festmahl

Dann heißt es erst mal warten. Das gemeinsame Festmahl ist nicht fertig. Doch auch vor dem Zelt, in dem Pilzsuppe ausgeteilt wird, halten sich die Diskussionen in Grenzen. Schließlich kommen zwei Schiffe, die die Initiationswilligen an den Jungfernstieg bringen.

Auch hier: kaum Fragen. In der Innenstadt befüllen wir kleine Fläschchen mit Pheromonen, die die Ameisen an ihre Ziele leiten sollen. Dann schreiten drei von Wudwas geführte Gruppen zur Tat. Was dann kommt, sieht so gar nicht nach der mythischen Wiederauferstehung eines utopischen Kollektiv aus.

Unmotiviert tunken die zivil Ungehorsamen Fäden in die Fläschchen, tupfen hier und da etwas auf Mauern und Stromkästen, verstecken kleine Holzkästen mit Ameisen. Ernüchterung macht sich breit, auch die Wudwas haben nichts mehr zu erzählen.

Vollends auf dem Boden der Realität kommen wir beim abschließenden Initiationsritus an: Im Kreis stehen, Händchen halten, klatschen, das war’s. Die Wudwas verschwinden wortlos. Und auch der versprochene Shuttle-Service zurück taucht nicht mehr auf. Utopia ist ganz woanders.

„Pfade durch Utopia“. Nautilus Verlag, 320 Seiten plus DVD, 25 Euro. Isabelle Fermeaux und John Jordan stellen das Buch-Film-Projekt „Pfade durch Utopia“ diese und nächste Woche vor:

Hamburg: Mi., 29. 8., 20 Uhr, Abaton-Kino Berlin: Fr., 31. 8., 19.30 Uhr, Sputnik Kino und Sa., 1. 9., 18 Uhr, Lichtblick-Kino

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