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Bußgeld für SchülerZuspätkommer müssen zahlen

Hamburg bestraft einen Schüler, der acht Mal zu spät in die Klasse kam, mit 75 Euro Bußgeld. Sein Vater spricht von "Willkür" und fordert die Abschaffung der Richtlinie. Die Schulbehörde hält diese für "sinnvoll".

Zwei Minuten nach acht: Da kann in Hamburg schon ein Bußgeld fällig werden. Bild: dpa

Es klingelt, wenig später geht die Tür auf und Nachzügler treffen ein: Das ist Schulalltag. Doch in Hamburg greift jetzt eine Richtlinie, die dieses Verhalten mit Bußgeld sanktioniert. So muss der 16-jährige Benjamin* 75 Euro zahlen, weil er im Januar und Februar acht Mal nach dem Läuten in die Klasse kam.

„Es handelt sich durchweg um sehr kurze Verspätungen von teilweise unter einer Minute“, sagt sein Vater Uwe Skambraks. Er habe die Zeiten nachvollzogen und summiert, insgesamt seien es nur 13 bis 14 Minuten. Diesen Umstand habe auch die Schule in Gesprächen nie bestritten.

Skambraks hat den Eindruck, dass sein Sohn, der die 10. Klasse eines Harburger Gymnasiums besucht, gezielt bestraft wird. Denn er geht stets gleichzeitig mit seinem Zwillingsbruder Leon* das Haus, der die Nachbarklasse besucht. Bei Leon sei nur eine Verspätung vermerkt.

„Benjamin ist kein Engel“, sagt sein Vater. Er trödele schon mal. Aber er schwänze nicht. Es sei auch schwierig, Kinder in der Phase der Pubertät aus dem Bett zu bekommen, weil sie einen anderen Biorhythmus haben. Die Schule habe in dieser Sache bereits eine „pädagogische Maßnahme“ verfügt: Im März musste sich der Junge 14 Tage lang zehn Minuten vor Schulstart bei der Sekretärin melden. Skambraks: „Benjamin hat sich bemüht. Er kam seither nicht mehr zu spät“, sagt sein Vater.

Doch die Mühlen der Schulbehörde mahlten schon. Am 20. Juni, kurz bevor die Taten „verjährten“, schickte sie den Bescheid. Samt Gebühr soll der Teenager sogar 97 Euro zahlen.

Wofür Schüler zahlen

Dem schleswig-holsteinischen Kultusministerium sind keine Bußgelder gegen Schüler bekannt. "Wir setzen auf Gespräche und Sozialarbeit", so ein Sprecher.

In Bremen gab es 2011 26 Fälle, in denen Eltern zahlen mussten, weil sie den Urlaub verlängerten. Pro Elternteil und Tag werden 70 Euro fällig, maximal 500 Euro.

Niedersachsens Kultusministerium weiß nichts von Bußgeldern gegen Schüler. Das sei Sache der Kommunen.

Beim Amtsgericht Hannover gingen 2011 rund 200 Anträge im Monat auf Umwandlung von Bußgeldern in Sozialstunden ein, weil Schwänzer nicht zahlen konnten.

Für Schulpflichtverletzungen gibt es in Hamburg seit 2010 eine Bußgeld-Tabelle. Sie war bisher kaum bekannt, auch nicht die Tatsache, dass sie Zuspätkommen wie Schwänzen sanktioniert. Die Strafen reichen von 25 Euro für drei Mal verspätete Grundschüler, die noch die Eltern zu zahlen haben, bis zu 100 Euro, die strafmündige Teenager ab neun Verspätungen blechen sollen.

Benjamins Eltern haben jetzt Einspruch eingelegt, der vor dem Amtsgericht verhandelt wird. Und sie fordern in einer Petition an die Bürgerschaft, dass die Richtlinie geändert wird. Sie habe einen „repressiven Charakter“ und mache Schüler „sehr schnell zu Bußgeldzahlern“, sagt Skambraks. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit werde „nicht beachtet“. Außerdem biete sie Lehrern, die einen Schüler „auf dem Kieker haben“, die rechtliche Grundlage für drastische Sanktionen.

Bußgelder gegen Schüler nehmen in Hamburg seit drei Jahren stark zu. Mit der Begründung, man verpasse Schulschwänzern den nötigen Warnschuss, kamen 2011 sogar 41 Jugendliche für bis zu sieben Tage in Jugendarrest, als sie die Buße nicht zahlten.

Wie aus einer Anfrage der Grünen-Politikerin Stefanie von Berg hervorgeht, gab es 2011 weit über 800 Bußgeldbescheide und im ersten Halbjahr 2012 schon rund 600. Bußgelder auch bei geringfügigen Verspätungen anzuordnen sei „unverhältnismäßig“, findet von Berg. „Das öffnet der Willkür Tür und Tor und erschüttert das Vertrauen von Schülern und Eltern.“

Die Schulbehörde erklärt, die Bußgeld-Richtlinie habe sich als sinnvoll erwiesen. In wie vielen Fällen lediglich kurze Verspätungen geahndet werden, wird laut Sprecher Peter Albrecht nicht erhoben.

Skambraks sagt, er werde das Geld für seinen Sohn zur Not zahlen, hält das Problem aber für ungelöst. Vor wenigen Tagen sei Benjamin erst kurz nach dem Läuten in der Klassentür erschienen, weil er auf Toilette war. „Der Unterricht hatte noch nicht begonnen“, berichtet der Vater. „Aber die Lehrerin machte einen Strich“.

*Namen geändert

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15 Kommentare

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  • I
    Ich

    Eine Geldstrafe trifft in der Tat nur die, die eh schon keins haben.

     

    Aber warum wird die Schultür nicht so abgeschlossen, daß alle pünktlichen Schüler den Unterricht ungestört beginnen können?

     

    Wer unbedingt notorisch zu spät kommen muß, kann den Stoff ja dann selbständig nachholen. Nach Schulschluß. Selbstverständlich in den Räumen der Schule. Ich meine schon mal von einer solchen Schule gelesen zu haben, an der Zuspätkommen dadurch übrigens auf ganz wenige echte Ausnahmefälle begrenzt werden konnte.

  • Z
    Zeitpunkt

    lieber Sozialstunden ableisten, ist gerechter. Papa mit dicker Hose könnte sonst den Zuspätkommer freikaufen. - Sozialstunden nervt richtig, kostet aber wiederum zusätzliches Geld oder Zeit, da die geleisteten Sozialstunden von Zuspätkommer durch Wachdienst kontrolliert werden müssen. - verzwickte Lage. - Pünktlichkeit ist eine Tugend, wurde dem den Deutschen über Generationen eingebläut (das heisst mit Schmerz). Die Früchte der Tugend war, Strafen konnten abgeschafft werden. - Zu dumm, nun geht das Spiel wieder von vorne los....

  • K
    kriegsstern23

    Ein Absolut richtiger Schritt gegen die Bürokratie der Hamburger Behörde.

    Wenn ich hier die ganzen vorhergegehen Kommentare lese kommt mir der Eindruck, dass nur primitive Leute hier unterwegs sind. Hier die Schuld bei dem Vater zu suchen ist doch alles andere als falsch. Das ist bestimmt n guter Mann, andere würden das Bußgeld schlucken und bezahlen, dieser lehnt sich gegen den Mißstand der hier vorliegt! Wir sprechen hier von Jugendlichen die der Willkür der Lehrer ausgesetzt sind. Ich meine errinnern sie sich mal an Ihre Jugend, Sie sind auch alle zu spät gekommen. Und dafür soll es Bußgelder geben? Wir sind hier doch nicht in der Sowjetunion wo die Bestrafung regiert hat, sondern bezeichnen uns als "moderne Demokratie" und hier soll es dann für minderjährige Schüler Bestrafungen geben, nur weil Sie mehrfach eine Minute später in den UNterricht kommen!?

    Dies ist alles sehr bedenklich Hamburger Bürgerschaft!

     

    mfg kriegsstern23

  • GM
    genervte Mutter

    Eltern wie Herr Skambraks torpedieren mit ihren ständigen Entschuldigungen der Fehler ihrer Kinder das Bemühen auch guter Lehrer, sinnvollen Unterricht für alle ihre Schüler zu machen. 8 Verspätungen in zwei Monaten sind im Schnitt zwei pro Woche. Wann soll denn die Vermittlung von Unterrichtsstoff stattfinden, wenn jeder kommt wann er möchte, und seine pünktlichen Mitschüler stört? Das Mittel bei den "sehr kurzen Verspätungen" wäre so einfach - 5 Minuten früher losgehen. Aber insbesondere sich für etwas Besseres haltende Eltern fordern in den Schulen ständig Extrawürste für ihre Kinder, die zu erziehen ihnen selbst zu mühsam war und ist. Und das sind nicht die armen Hartz4er!

  • K
    Karl

    Pünktlichkeit ist vielleicht die wichtigste Sekundärtugend überhaupt. Wenn sie nicht als Kind oder Jugendlicher erlernt wird, dann vielleicht nie. Jeder sollte das verinnerlicht haben.

     

    Auch der Trödler-Vater. Der sollte dafür sorgen, dass sein Spross zeitgerecht das Haus verlässt. Im Zweifel eben eine viertel Stunde eher. Es schadet niemandem auch mal fünf oder gar zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn in der Klasse zu sein.

     

    Das Gejaule ist natürlich auch dann wieder groß, wenn der Spross die angepeilte Jahresleistung nicht erreicht hat. Dann sind natürlich Schule, Lehrer, der Papst und die Regierung schuld.

  • C
    Chris

    Ärgerlich, dass es solcher Maßnahmen bedarf. Einige Schüler sind leider pädagogisch nicht erreichbar - und einige Eltern erst recht nicht. Es geht ja nicht darum, dass jemand mal zu spät kommt. Problem sind Schulabstinez und völlige Indifferenz gegenüber Schule.

    Ja, diese Maßnahme wird einzelne Bevölerkungsschichten mehr treffen als andere, aber da besteht dieses Problem auch mehr als anderswo, zu Lasten der Schüler.

    Da kommt dann die Ausrede "war ja nur 5 Minuten" - die gleiche Ausrede ist bekannt vom Parken auf Feuerwehrzufahrt und Behindertenparkplatz.

  • HH
    Hergen Hillen

    Lehrer könnten natürlich ohne Weiteres darüber hinwegsehen, wenn ein Schüler etwas zu spät kommt. Es ist wirklich eine Bagatelle. Und es trifft mit Sicherheit eher die sozial Deklassierten, für die Bildung nicht den Stellenwert hat wie bei Angehörigen der Mittel- und Oberschicht, die sich wahrscheinlich auch gegen diese Willkür zu wehren wissen. Es ist wiederum nicht auszuschließen, dass hier eine soziale Selektion stattfindet und zum Beispiel Schüler mit Migrationshintergrund eher angezeigt werden als andere. Das nennt man dann neudeutsch "Integration"! Schließlich sollten sich Lehrer fragen, ob sie sich nicht zum Denunzianten machen, wenn sie jede Kleinigkeit, schließlich Raufereien, die schnell zu schwerwiegenden Gewaltdelikten stilisiert werden, gleich der Schulbehörde melden. Der nächste Schritt wäre dann wohl, ein Bußgeld zu verhängen, wenn jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Es gehört schließlich auch zu den Aufgaben eines guten Pädagogen, über bestimmte Verfehlungen eines Schülers hinwegzusehen und zugleich Grenzen aufzuzeigen, wie einem bestimmten Ärgernis entgegenzutreten ist.

    @ von Lehrer, Hamburg. Ihnen würde ich folgende Lektüre ans Herz legen: Kai T. Erikson, Die widerspenstigen Puritaner. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens. Dann merken Sie vielleicht, auf welchem Irrweg sich die Hamburger Schulpolitik bewegt.

  • B
    Bunsti

    In meiner kompletten Schulzeit bin ich vielleicht insgesammt 10 mal zu spät gekommen.

    Aber da lief am Morgen auch kein Fernseher, was bei vielen heute normal ist. Meine Mutter war da, was heute vermutlich sogar die Ausnahmen darstellt.

    Tja, ich würde sagen die Gesellschaft steht hier einer Entwicklung gegenüber die noch lange nicht Ihren Höhepunkt erreicht hat und auch selbst verschuldet ist.

    Ich bin froh in einer Zeit Kind gewesen zu sein, in der weniger Druck insgesammt, weniger Apokalypse in den Medien, weniger Werbung (also Konsumterror) und auch weniger finanzieller Druck da war, der einem schon mal erheblich die Laune vermiesen konnte.

    Heute wird man ja schon für Zeug abkassiert, dass nicht mal stattfindet.

    Mit welcher "Freude" schaun die Leute denn heute schon in die Zukunft? Es gibt keine Sicherheit mehr mit der man Planen könnte, überall lauern Fallen. Die Kinder lernen heute früher, dass genau die menschlichen Fehler und Schwächen gnadenlos ausgenutzt werden um die Menschen unter Druck zu setzen.

  • W
    wurstpanzer

    Vielleicht sollten wir der Schulbehörde deutlich machen, dass sich seit den 40er Jahren einige Gesetze geändert haben.

  • DF
    Dirk Festerling

    Was spricht dagegen, als schon mal aufgefallener Schüler das Haus einfach mal eine Weile 5 Minuten früher zu verlassen? So ein paar Sekundärtugenden demonstrieren, selbst wenn man nicht daran glaubt, kann manchmal weiterhelfen.

  • LH
    Lehrer, Hamburg

    Das sind die üblichen Erklärungen. Ich kenne die Busfahrpläne bei mir an der Schule sehr gut. Da die Ankuftszeiten der Busse nicht auf die Schule abgestimmt sind, kommen die Busse entweder 9 Minuten vor Unterrichtsbeginn oder eine Minute danach. Der Großteil der Schüler hat in der Mittelstufe begriffen, wie grundlegende Mathematik funktioniert und nimmt einen Bus früher. Einige wenige (überraschenderweise genau die Schüler, die auch im übrigen Unterricht durch Desinteresse und Störungen auffallen) kommen stets mit dem späteren Bus. Nun mag bis zum ersten Fall für manch studierte Eltern, die ihre Scheine durch Anwesenheit und nicht durch Verstand erwarben, der Irrtum bestehen, Anfangszeiten wären ct. Das sollte aber nach der ersten Ermahnung gegessen sein. Mir scheint: ein überforderter Vater, der seine Kinder auf den letzten Drücker losschickt, ist erzürnt, dass der "Trödler" später kommt als der, der nicht trödelt. Erwähnt wurde offensichtlich nicht der Fakt, dass der ganze Rechtsstreit selbstverständlich mit Gerichtskostenbeihilfe ausgetragen wurde, denn es gibt nichts wichtigeres als den verletzten Stolz eines unfähigen Vaters.

  • JB
    J. Bredenbach

    Wer Gruppenarbeit kennt, weiss, dass gerade die ersten Minuten der "Findung der Gruppe" dienen. Dies Phase durch Trödler immer wieder zu unterbrechen und zu stören ist unzumutbar für die, die rechtzeitig zusammengekommen sind. Das Problem scheint nicht das Kind, sondern der Vater zu sein: Statt seinen Jungen so zu unterstützen, dass dieser entspannt und rechtzeitig am Unterricht teilnehmen kann, bringt er Argumente auf unterstem Pennälerniveau: Der Junge musste Pipi!!

  • U
    umegubbe

    Gehts noch?

    man sollte mal bei 1 km/h Geschwindigkeitsüberschreitung 25E verhängen. Oder Falschparken auf Gehwegen ahnden, das seit JahrZEHNTEN keinen juckt. Dann würden die gesammelten Autoparteien am nächsten Tag eine Verfassungsänderung durchwinken.

  • Z
    Zyniker

    Das sollte man bei der Bahn einführen, vielleicht wäre die dann pünktlicher.

     

    Hier werden ganz klar wieder gut betuchte begünstigt. Das Kind mit wohlhabenden Eltern, lässt sich von diesen das Bußgeld bezahlen, das Hatzt IV Kind geht in Arrest, weil kein Geld da ist.

  • HH
    Hergen Hillen

    Was für ein Schwachsinn! Kommen die ehrenwerten Damen und Herren, die sich diesen Unsinn ausgedacht haben, denn immer pünktlich in ihr Büro? An das Verhalten von Schülern werden mittlerweile strengere Maßstäbe gesetzt als an jede andere Bevölkerungsgruppe. Es geht dabei ausschließlich um soziale Kontrolle Disziplinierung, die wiederum der effizienten Verwertung von Arbeitskraft dient. Spätestens wenn das Versprechen auf einen sicheren Ausbildungs- und Arbeitsplatz nicht eingelöst werden kann, ist der Nährboden für Jugendrevolten geschaffen.