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Kommentar Judith ButlerLob der Zwischentöne

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Debatte, ob Judith Butler den Adorno-Preis bekommen darf, hat sich in betonierte Diskurse gefügt. Die Angriffe gegen die Philosophin waren maßlos.

K ein Thema mobilisiert so vorhersehbar Affekte wie Israel. Bei keinem anderen Streit wird so reflexhaft die Fahne gehisst und die Moral beansprucht. Das ist eigentlich erstaunlich. Politik ist, von Atomkraft bis zur sozialen Gerechtigkeit, zu einer Art pragmatischen Suche nach dem Machbaren heruntergedimmt und taugt nicht mehr für gusseiserne Bekenntnisse. Umso vehementer wird um die Moraltrophäe in Sachen Israel gerungen. Gerade in Deutschland.

Die Debatte, ob Judith Butler den Adorno-Preis bekommen darf, hat sich scheinbar in diese betonierte Diskurs-Anordnung gefügt. Die Angriffe gegen die jüdische Philosophin waren maßlos. Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, bezeichnete Butler als „Israel-Hasserin“, die das Geschäft der „Todfeinde Israels“ besorgt.

Folgt man diesem Alexander Dobrindt der deutschen Juden, dann beteiligt sich, wer aus Protest gegen die völkerrechtswidrige Besatzung israelische Waren boykottiert, an der „Kriegsführung gegen Israel“. In dieser Polemik schrumpft der Unterschied, ob man Terror gegen israelische Zivilisten gutheißt oder keine Oliven aus der Westbank isst, fast zur Bedeutungslosigkeit. So wie Kramer redet man im Schützengraben. Die Kuratoren des Adorno-Preises können in dieser Schwarz-Weiß-Logik nur von den üblen, antisemitischen Motiven geleitet sein.

taz
Stefan Reinecke

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Die Debatte um Butler taugt im besten Falle, um sich auf ein paar diskursive Grundregeln zu einigen. Es muss klar sein, dass keine noch so scharfe Kritik an Israel mit Nazivergleichen arbeiten darf. Umgekehrt muss gelten, dass Gegner der israelischen Regierungspolitik ohne stichhaltigen Beweis nicht als hasserfüllte Antisemiten denunziert werden dürfen.

Dass es auch sachlich und präzise geht, zeigt ein kluger Aufruf, den Intellektuelle von Micha Brumlik bis Idith Zertal unterzeichnet haben. Sie sind in der Frage, ob ein Boykott gegen Israel legitim ist, verschiedener Ansicht, verteidigen aber entschlossen den Adorno-Preis für Butler.

Die Zeit ist reif für solche Zwischentöne, solche Differenziertheit. Der Zentralrat der Juden indes wird sich, wenn er weiter mit Wutattacken auf Zweifler reagiert, selbst isolieren.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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18 Kommentare

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  • T
    transformer

    bin ich jetzt eigentlich auch antisemit_in, wenn ich weiterhin queer theory und die dekonstruktion von heteronormativität sinnvoll finde und butler zitiere?

  • DP
    Daniel Preissler

    @Annerose

    Nein, das war nicht die Absicht. Diese Interpretation gibt der Text nicht wirklich her!

  • AS
    Annerose stawski

    Soll die Bemerkung ueber das Benehmen des Zentralrats der Juden eine Vorbereitung fuer Zukuenftiges sein, um sagen zu koennen "die (Juden) sind doch selbst schuld ". Zielt dieser Artikel und aehnliche nicht genau da hin. War das die Absicht ?!!!!! tee

  • A
    Artemis

    Es würde uns alle gut tun, den Begriff 'antisemite' in alle Formen eine Weile nicht zu benutzen, bis es klar wird, was es eigentlich bedeutet, und bis es nicht mehr als Keule oder Maulkorb oder als Diffamierung benutzt wird. Dann kommen wir wieder auf den Boden, wo alle Menschen gleich betrachtet oder kritiziert werden, kommen. Diese 'Sonderform' der Rassismus ist total ausser Kontrolle geraten. Jetzt gibts die Behauptung "der judenhass ist vielschichtiger und komplexer geworden als damals unter den scheiss nazis"....Ich meine, es ist genau das Gegenteil, aber heute gibt es so viele Menschen, die obsessiv damit beschäftigt sind, die es überall suchen, die dauernd im Internet darüber schreiben - die tausende Websites voll damit, die Bücher...

    Ich wette auch, dass diese behauptete 'zunehmende Antisemitismus' in Deutschland durch differenzierte Betrachtungsweisen anders erscheinen würde (was hat es mit die israelische Regierung und ihre Behandlung der Palästinensern zu tun/ was hat es mit Hass auf Fremden oder der 'Andere' / was hat es mit blöde, angelernte Voruteile, oder was es tatsächlich mit irrational Hass zu tun hat?!).

  • M
    mehrdad

    mal wieder geht keiner der "butler jünger" auf die argumente ein wie die "3 D's", die butler klar als moderne antisemitin auszeichnen.

     

    die definition der begriffe ändert sich mit der zeit. armut ist heute auch nicht mehr das, was es vor 200 jahren war.

     

    genauso ist heute nicht nur jemand ein antisemit, der hirnlos "heil hitler" brüllt.

     

    das werden selbst die "butler jünger" zugeben müssen.

     

    der judenhass ist vielschichtiger und komplexer geworden als damals unter den scheiss nazis.

  • PB
    Pro Butler

    Ich möchte folgende Assymetrie von Herr Kramer

    mal beleuchten:

     

    Auf Herr Sarrazin ist er genauso losgegangen wie auf Judith Butler.

     

    Herr Sarrazin hat aber typisch antisemitische Ressentiments verbreitet (Gene usw).

     

    Frau Butler unterstützt bedingt eine Boykott Kampagne und sie hat Hamas und Hisbollah diskriptiv der globalen linken zugeordnet.

     

    Herr Sararazin hat klar gestellt dass er einen Riesen-Unfug gesagt habe. Die Motive waren aus meiner Sicht genau so dubios wie die plötzliche Absage Feldmanns zur Preisverleihung.

     

    Frau Butler hat genau erklärt was der Hintergrund ihrer Äußerungen ist. Sie hat sich klar und deutig gegen jeden Antisemitismus ausgesprochen.

     

    Bei Sarrazin hat sich Kramer entschuldigt.

    Bei Butler nicht. Er hat sogar die Kritik verschärft und sie zur Todfeindin Israels erklärt.

     

    Also ich empfinde das als ungleich.

    Weshalb wird Sarrazins Klarstellung akzeptiert

    und Butlers Erklärung nicht?

  • F
    fairMind

    1. Bitte den Unterschied zwischen VERGLEICH und GLEICHSETZUNG endlich mal begreifen - man kann nicht nur Äpfel und Birnen, sondern auch Kürbisse und Oliven vergleichen, aber eben nicht gleichsetzen.

     

    2. Solange es immer wieder passiert, dass mit jüdischer Herkunft usw. auf die vermeintliche eigene Besonderheit, gemeint wird dabei "Besserheit", hingewiesen wird (Bsp.: Schülerin reagiert auf Zurechtweisung wegen nicht erbrachter Leistung mit "Aber wir sind doch Juden") und Nachfragen sofort mit der Antisemitismuskeule geahndet werden, wird keine nur halbwegs vernünftige Diskussion dieser Frage möglich sein, zumindest nicht hier in D!

     

    Für diejenigen, die nun diese Keule gegen mich schwingen: Mir ist es so etwas von egal, ob bzw. wie und an welchen Gott meine Mitmenschen glauben - entscheidend ist das Auftreten und der Respekt Anderen gegenüber.

     

    3. Den Staat Israel und Juden bzw. jüdisches Leben usw. gleichzusetzen ist falsch und bedient Ressentiments, aber das wissen wir doch eigentlich alle.

     

    Warum immer wieder ...?!

  • L
    LJW

    Obwohl ich mit Reinecke nicht übereinstimme, da er den zu einem geradezu jüdischen Fachismus generierten Zionismus nicht beim Namen nennt und die Mitwirkung des Zentralrates an solcher Entwicklung nicht benennen will, muss ich sagen, dass es mich erschreckt mit welchem Hass selbst dieser sehr moderate Standpunkt von vielen Kommentatoren in primitivster Weise diffamiert wird.

    Sind sich diese Schreiber nicht darüber klar, dass sie es sind welche jede negative These über Judentum optimal bestätigen.

    Leider machen sie vernünftigen Juden das Leben sehr schwer, denn sie fördern den Antisemitismus über alle Maßen.

  • T
    T.V.

    Was ein Spektakel immer wegen einem Preis, den irgendwer irgendwem Bekanntes verleiht um in die Medien zu kommen...

  • A
    Artemis

    von Heiko, von SomaRiot, von mehrdad, von Adorno-unwürdig....so viel Zorn, so viel willkürliche Behauptungen, so viel missverstandenes, so viel Durcheinander.

    Ich frage mich inzwischen, ob nicht nur Unwissen eine Rolle spielt, oder ob in Deutschland auch eine pervertierung des Holocausttraumas- und Schuldes stattgefunden hat, so dass nur die zionistische 'Narrativ', die Unterstützung von Ultrakonservativen, Gleichgültigkeit gegenüber der illegalität und Brutalität der Besatzung...für viele Menschen gilt.

    Vergessen Sie bitte nicht, es gibt Israelis und Juden in viele Länder, die auch so wie Judith Butler denken und sie haben auch einen Recht gehört und unterstutzt zu werden.

    Stefan Reinecke schreibt zurückhaltend und menschlich und erntet sofort genau das Gegenteil von Zwischentone.

  • TB
    Thorsten Büchner

    Ein neuer publizistischer Tiefpunkt der taz. Den Schlusssatz muss man als unverhohlene Drohung gegen das Judentum in Deutschland verstehen.

  • H
    Helmut

    Wenn jemand sich wehrt, weil er getreten wird, dann stellt sich dieser (also das Opfer) ins Abseits? Da ist das Opfer also ganz unverschämt, wenn es sich das Treten nicht gefallen lassen will?

    Verkehrte Welt......

    Helmut

  • KG
    Kadavergehorsam ggüber Israel

    Guter Kommentar - Danke!

     

    Eine kleine Anmerkung. Sie schreiben treffend:

     

    "Der Zentralrat der Juden indes wird sich, wenn er weiter mit Wutattacken auf Zweifler reagiert, selbst isolieren."

     

    Leider interessiert das den Zentralrat kein bisschen.

  • H
    Heiko

    Wieso sollte sich der Zentralrat mit seiner Kritik isolieren? Es ist ja nicht so, dass Butlers Bereitschaft, zutiefst antisemitische und faschistoide Gruppierungen wie Hamas und Hisbollah der Linken zuzurechnen, nur weil sie gegen Israel sind, allein dem Zentralrat unangenehm aufgefallen sind. Ebenso wenig ihr Gerede vom "pinkwashing", nach der die positive Würdigung von gesellschaftspolitischen Fortschritten in Israel zugleich ein Verrat an den Palästinensern ist. Und die Israelboykottbewegung ist auch nicht gerade eine besonders sympathischer Haufen.

     

    Das ist der Anlass der berechtigten Kritik an Butler. Undifferenziert und maßlos ist hier in erster Linie Butler, und mit ihr viele andere Antiimperialisten in ihrem Israelhass. Dass auch ihr philosophisches Werk dem von Adorno inhaltlich diametral entgegengesetzt ist, wäre aber noch ein schwerwiegenderer Grund, ihr nicht ausgerechnet diesen Preis zu verleihen.

  • S
    SomaRiot

    In der Theorie schön und gut, Herr Reinecke. Fraglich ist aber, ob Sie nicht schon mit der Akzeptanz des Boykotts Israels als überhaupt diskussionswürdige Position schon die Differenziertheit aufgeben. Hiermit wird bereits die Deligitmation des Staates Israels betrieben und bewusst versucht diesen zu schwächen. Oder gibt es Debatten über einen Warenboykott Syriens, Belgiens, Ägyptens, Japans, Chinas, Indiens usw.? Nicht das ich wüsste, obwohl einem sicher irgendwelche Gründe einfallen könnten. Nein, Volkes Wille arbeitet sich unentwegt genau und gerade an Israel ab. Und solange das unübersehbar so ist, steht jede "Israelkritik" zu recht unter Antisemitismusverdacht.

     

     

    Und schauen Sie sich die Kommentatoren hier an, schauen Sie Gabriel in Hebron, die Deutsche Bischofskonferenz in Israel an, nehmen Sie Günter Grass. Wenn sie mal in Fahrt kommen, werden Nazivergleiche unternommen, dass es kracht.

     

    Und auch Sie kommen nicht um einen wohlmeinenden Appell an den Zentralrat der Juden aus. Wohinter dann wieder die Warnung steht, man sei ja selbst schuld, wenn einen die Deutschen nicht mehr mögen...

  • M
    mehrdad

    stichhaltige beweise wollen sie haben?

     

    dazu reichen einem selbst nach der definition der EU die "3 D's":

     

    -delegitimierung israels u.a. durch BDS.

     

    -doppelte standards. wieviele stellungnahmen hat butler zum völkermord der araber an schwarze in sudan abgegeben und wieviel zum thema israel?

     

    -dämonisierung israels. dazu braucht es nicht nur nazi- vergleiche, die übrigens auch sehr gern gesehen unter linke sind. dazu reicht schon der unsinn vom "apartheid in israel". wie absurd das ist zeigt der link hier:

     

    http://www.skyscrapercity.com/showthread.php?t=930130

     

    araber als generäle, miss israel, künstler, staatsanwälte, verfassungsrichter, top sportler. sogar ein ex- präsident findet sich darunter.

     

    butler&co. erfüllen alle diese vorraussetzungen und mehr, um sich als antisemiten zu qualifizieren.

     

    übrigens ist sie keine jüdin. sie mag jüdische eltern haben, aber nur wenn sie israel angreift, trägt sie ihre jüdische wurzel wie ein koscher stempel vor sich her.

  • T
    Thorsten

    Der Zentralrat der Juden hat sich leider schon in der Beschneidungsdebatte mit maßlosen und polemischen Äußerungen ins Abseits gesetzt. Einen Beitrag zu einem Diskurs kann man so nicht leisten; im Gegenteil werden so neue Schützengräben ausgehoben.

  • A
    Adorno-unwürdig

    Judith Butler ist schon allein auf Grund ihrer Selbstvermarktung des Preises nicht würdig.

     

    Zum Thema "BDS" und Boykottgruppierungen noch ein Zitat von Theodor Adorno: "...aber begegne ich immer dem Zwang, sich auszuliefern, mitzumachen, und dem habe ich mich seit meiner frühesten Jugend widersetzt." (auf seine Einstellung zur "Apo" gefragt und zum allgemeinen praktischen Handeln; "Der Spiegel 19/1969")