Ferris über den Spaß am Schauspielern: „Ich will mir ein Denkmal setzen“
Deichkind-Sänger Sascha Reimann alias Ferris Hilton (früher Ferris MC) spielt im Bremer „Tatort“ mit – und erzählt, wie ihn seine „markante Fresse“ auf Rollen festlegt.
sonntaz: Herr Reimann, im Bremer „Tatort“ spielen Sie einen bewaffneten Geiselnehmer, der mit einem Kumpel zusammen eine große Hochzeitsgesellschaft brutal in Schach hält. War das beklemmend für Sie, Menschen so einschüchtern zu müssen – selbst wenn es nur für eine TV-Produktion war?
Sascha Reimann: Um ehrlich zu sein, war das für mich ein großer Spaß. Ich habe mich wahnsinnig auf die erste Szene gefreut, denn die Komparsen, die die Hochzeitsgäste gespielt haben, wussten nicht, was auf sie zukommt. Es sollte einen Überraschungsmoment geben, damit sie wirklich ein bisschen verängstigt sind. Das hat funktioniert! Als ich in den Raum kam und mit der Maschinenpistole rumgeballert habe, war das schon heftig und extrem aufregend. Allerdings musste ich einige Sicherheitsvorkehrungen beachten, die gar nicht ohne waren.
Warum das? Die Waffe war doch hoffentlich nicht echt.
Doch, das war eine echte Polizei-Maschinenpistole. Natürlich mit Platzpatronen geladen, aber selbst die können dir ein Auge wegfetzen, wenn du zu nah an der Waffe bist. Deshalb wurde ich von zwei Special-Effects-Männern intensiv an dem Ding eingewiesen, und die haben penibel darauf geachtet, dass ich alles richtig mache. Da musste ich multitaskingmäßig handeln, was man im Film gar nicht sieht. Finger raus, Finger rein, entsichern, gleichzeitig den Text sprechen beziehungsweise herumbrüllen, irgendwo raufsteigen, die Geiseln im Blick behalten. Wir hatten ja keine Möglichkeit, das vor den Komparsen zu proben, das war also ein Spontan-Ding. Ich war in dem Moment voll unter Adrenalin, weil ich alles richtig machen wollte. Einen richtigen Überfall stelle ich mir gar nicht so einfach vor, da muss man schon ein echter Profi sein.
Sie tragen in den meisten Szenen eine Paintball-Maske. Das ist aus zwei Gründen ein bisschen doof: Erstens möchten Schauspieler doch gern, dass man ihr Gesicht sieht. Zweitens läuft die Darstellung dann nur über Gestik und Sprache und da neigt man bestimmt zu Übertreibungen.
Einerseits hat die Maske tierisch genervt. Beim Drehen hatte ich sie an jedem der knapp zwanzig Drehtage mit nur wenigen Unterbrechungen auf. Sie hat gedrückt, es war warm – das ging schon an die Substanz. Andererseits tat mir die Maske auch ganz gut. Ich neige eh zum Overacting, weil ich kein ausgebildeter Schauspieler bin. Dank der Maske musste ich nicht darauf achten, ob bei mir jetzt mal wieder Gesichtskirmes abging, sondern war ein bisschen verdeckt, ein bisschen anonym – und so fiel es mir leichter, die Aggressionen rauszulassen, die für diese Rolle wichtig waren.
Wie sind Sie überhaupt an die Rolle gekommen?
Der Kameramann Marcus Kanter hatte mich mal in einem Film gesehen und dachte, das könnte passen. Florian Baxmeyer, der Regisseur, hat mich dann auf seinen Tipp hin zum Casting eingeladen.
Und da lief alles glatt?
Da waren noch zwei andere, die auch für die Rolle infrage kamen, und das waren halt richtige Schauspieler. In Berlin ist ja eh alles vollgestopft mit Schauspielschülern und Künstlern, deshalb habe ich meine Erfolgsaussichten skeptisch gesehen. Ich war ziemlich froh darüber, dass ich dort genau das abgeliefert habe, was die sich vorgestellt haben. Und ich habe mich dann richtig darüber gefreut, dass ich nicht nur mal kurz ins Bild husche, sondern von Anfang bis Ende eine tragende Rolle spielen darf.
Musiker: Der 1973 geborene Sascha Reimann wurde unter dem Namen Ferris MC bekannt: Anfang der 90er Jahre rappte er bei der HipHop-Gruppe Freaks Association Bremen, nach deren Auflösung zog er nach Hamburg und trat solo auf. 2008 schloss Reimann sich der Electro/HipHop-Band Deichkind („Bück dich hoch“, „Leider geil“), bei denen er sich Ferris Hilton nennt.
DJ: Als Electro Ferris legt Reimann regelmäßig in Clubs auf.
Schauspieler: In dem Drama „Für den unbekannten Hund“ spielte Sascha Reimann 2007 seine erste Hauptrolle, einen Wandergesellen. Danach war er in unter anderem in den Filmen „12 Meter ohne Kopf“,„Dicke Hose“ und „Gegengerade“ zu sehen.
Und Sie haben wirklich noch nie Schauspielunterricht genommen?
Nee. Ich war im Schultheater, wie man das so macht. Musik und die Theater AG waren die einzigen Dinge, die mich in der Schule interessiert haben. Aber das ist ja kein richtiger Schauspielunterricht. Da ist dann ein Lehrer, der stellt was auf die Beine, aber der hat ja meistens auch nicht gerade eine Filmkarriere hinter sich. Und seitdem habe ich nie wieder was in die Richtung gemacht. Ich bin froh über jedes Drehbuch, bei dem ich denke: Da habe ich Bock drauf, das sehe ich als Herausforderung an, das macht Spaß. Beim Drehen lerne ich jedes Mal unglaublich viel dazu Bis jetzt habe ich nur alle paar Jahre einen Film gemacht, denn wegen meiner ganzen Musikprojekte habe ich ja nicht gerade viel Zeit – aber ich bin sicher, dass mir nach dem „Tatort“ weiterhin gute Rollenangebote ins Haus flattern.
Für Ihre Darstellung eines Wandergesellen in dem Drama „Für den unbekannten Hund“ haben Sie 2007 teils euphorische Kritiken bekommen. Da hätte man gedacht, dass man Sie danach öfter im Kino und Fernsehen sieht.
Na ja, ich kann mich erinnern, damals auch einige mittelmäßige Kritiken bekommen zu haben, aber es stimmt schon: Es gab sehr viel positive Resonanz und das war Balsam für meine Seele. Es kamen anschließend auch ein paar Angebote, aber ich wollte nicht alles machen. Ich sollte zum Beispiel schon mal eine Rolle im „Tatort“ bekommen und einen HipHop-Typen spielen – aber ich werde den Teufel tun, genau das zu spielen, was ich selber mal war. Das ist langweilig. Ich glaube, es gibt andere Gründe, warum es bislang nicht mehr geworden ist. „Für den unbekannten Hund“ war nicht gerade ein Kassenschlager, und man besetzt seine Filme natürlich lieber mit Leuten, die schon mal in einem Erfolgsfilm dabei waren. Hinzu kommt: Durch mein Äußeres, durch meine markante Fresse bin ich vielleicht limitiert einsetzbar. Ich eigne mich nicht unbedingt als Charmeur mit Blumenstrauß.
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 15./16. September 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Aber es gibt ja noch andere Rollen.
Aber nicht so viele. Deutsche Filme sind vor allem sehr unlustige Comedys, Romanzen und Geschichten über das Dritte Reich in allen Variationen. Dann hört es auch schon auf. Du siehst in Comedys und Romanzen immer denselben Schlag Mensch, alle sind bekannt aus dem „Quatsch Comedy Club“ oder sind so null-acht-fünfzehn-schön und aalglatt wie in den ganzen Vorabendserien, da passe ich nirgends rein. Nazifilme mag ich nicht mehr sehen, geschweige denn in einem mitwirken. Es sei denn, Quentin Tarantino dreht wieder einen! Der deutsche Markt hat wenig Platz für Horrorfilme, wenig Platz für Thriller, wenig Platz für Actionfilme. Es gibt immer mal wieder Ausnahmen wie „Die Welle“ mit Jürgen Vogel oder „Das Experiment“ mit Moritz Bleibtreu oder „Antikörper“. So etwas gefällt mir, da würde ich reinpassen, und mit dem „Tatort“ hab ich die perfekte Visitenkarte hinterlassen.
Was zieht Sie überhaupt zur Schauspielerei? Sie sind mit der Band Deichkind erfolgreich, legen zusätzlich noch in Clubs auf. Sie haben also eigentlich genug andere Sachen auf dem Zettel und müssten das vermutlich nicht machen.
Das stimmt. Das ist einfach so ein Kindheitstraum von mir. Ich wollte als Kind immer als Schauspieler auf die Bühne, die Musik-Karriere kam mir eher so dazwischen. Das ist wohl in erster Linie so ein Ego-Ding. Ich will mich selbst verwirklichen und mir ein Denkmal setzen. Was gefilmt wird, bleibt für immer. Das bleibt länger, als ich lebe. Das ist bei der Musik genauso.Und es gibt noch einen Nebeneffekt: die Schauspielerfahrungen bringen mir etwas für die Deichkind-Shows.
Inwiefern?
Unsere Shows haben sehr viel mit Schauspielerei zu tun. Wir zeigen in den Songs und auf der Bühne ja nicht, wie wir privat sind, sondern jeder von uns schlüpft für zwei Stunden in einen Deichkind-Charakter und dann geben wir für die Zuschauer die Rampensäue.
Mit Deichkind singen Sie vom Hedonismus, gegen Leistungsdruck, vom Partymachen, auf den Punkt gebracht etwa in dem Song „Arbeit nervt“. Ihr Leben zwischen Filmset, Club, Plattenstudio und Bühne klingt aber ziemlich arbeitsam und anstrengend. Ein Widerspruch?
Das finde ich nicht. Klar arbeite ich hart und ich mache selten Urlaub. Aber das Gute ist ja, dass ich nur Sachen mache, die mir Spaß bringen und ich deshalb immer motiviert bin. Wenn die Leute bei einem Deichkind-Auftritt total abgehen, ist das die schönste Belohnung meiner Arbeit, die ich mir vorstellen kann. Etwas anderes wäre es, wenn ich jeden Morgen ins Büro oder in die Werkstatt müsste – das wäre richtig hart für mich.
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