: „Der Vatikan ist eine stumme Welt“
MACHT Der Journalist Gianluigi Nuzzi hat mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente aus dem Papstbüro den „Vatileaks“-Skandal angestoßen. Er sagt, nirgends sei die Angst vor der Wahrheit so groß wie in der Kurie
■ Die Person: Nuzzi, geboren 1969, verfolgt Polit- und Finanzskandale Italiens. Er leitet eine nach ihm benannte TV-Sendung und schreibt im rechtskonservativen Libero. Bekannt wurde er vor allem durch Vatikan-Enthüllungen.
■ Die Bücher: 2010 erschien auf Deutsch „Vatikan AG“ (Goldmann), 2012 „Seine Heiligkeit – Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI.“ (Piper).
GESPRÄCH JULIUS MÜLLER-MEININGEN
Der Arbeitstag des italienischen Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi ist mit Terminen vollgestopft. Zum Gespräch schlägt der 43-Jährige deshalb spontan eine Fahrt in seinem SUV deutscher Herstellung vor. Der glatzköpfige Reporter trägt elegante braune Lederschuhe, beige Hose, dunkles Sakko und legt offenbar Wert auf Aufräumarbeiten. Er hat nicht nur die geheimen Dokumente aus dem Schreibtisch des Papstes veröffentlicht und damit den „Vatileaks“-Skandal ins Rollen gebracht. Mitten im Gespräch und im dichten Mailänder Berufsverkehr lässt er es sich nicht nehmen, seinem Gegenüber den umgestülpten Hemdkragen zurechtzurücken.
sonntaz: Signor Nuzzi, haben Ihre Enthüllungen Benedikt XVI. letztlich zum Rücktritt getrieben?
Gianluigi Nuzzi: Nein, so kann man das nicht sagen. Ratzingers Entscheidung war ein revolutionärer Schritt. Journalistische Recherchen genügen da nicht als Grund.
Aber Sie haben mit der Veröffentlichung vieler brisanter Dokumente aus dem Büro des Papstes den „Vatileaks“-Skandal ausgelöst. Es ging um Korruption, Missmanagement, Günstlingswirtschaft. Insofern haben Sie doch zu seinem Rücktritt beigetragen.
Vor allem das Machtsystem Kurie ist für die Entscheidung Benedikts verantwortlich. Die katastrophalen Verhältnisse in Rom waren der Auslöser, nicht meine Recherchen.
Sie glauben also nicht an die offizielle Version des alten Mannes, der sein Amt zum Wohl der katholischen Kirche aufgibt?
Die These, dass der Papst nur aus Altersgründen zurückgetreten ist und weil er körperlich der Aufgabe nicht mehr gewachsen war, ist ein Märchen. Ich glaube nicht an Märchen, Sie?
Ich denke, die Entscheidung hatte verschiedene Gründe: Alter, Schwäche, Enttäuschungen, ein Gefühl der Machtlosigkeit und ein Stück weit Taktik.
Das denke ich auch, man darf ja nicht vergessen, dass mit Ratzinger alle hohen Tiere in der Kurie ihre Position verlieren. Benedikt hat mit seiner Entscheidung Tabula rasa gemacht. Er gibt seinem Nachfolger die Chance zum Wiederaufbau.
Wie haben Sie den Rücktritt erlebt?
Das war ein Schock für mich. Ich war orientierungslos und geriet beinahe in Panik. Ich meine, da ist ein Bezugspunkt der gesamten christlichen Welt weggebrochen.
Panik? Sie wirken auf den ersten Blick gar nicht so labil. Was für ein Verhältnis haben Sie zur katholischen Kirche?
Ich bin getauft, aber nicht streng gläubig. Ich habe eine klassische Bildung und Erziehung genossen, war früher eng mit der Kirche verbunden, etwa als Ministrant und Pfadfinder. Meinen Sohn schicke ich auf eine katholische Schule. Aber ich erkenne mich nicht in dieser Kirchenführung und ihren Machtspielen wieder.
In Ihrem Buch „Seine Heiligkeit – die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch Benedikt XVI.“ behaupten Sie, Benedikt sei ein „sensibler und tatkräftiger Papst“, der von dem „Wunsch nach Licht und Wahrheit“ erfüllt gewesen sei. Meinen Sie das ernst?
Durchaus, wenn ich etwa an seinen Kampf gegen Missbrauch oder auch sein Bemühen um Transparenz in der Vatikanbank denke. Aber Ratzinger legte eindeutig zu wenig Wert auf die Kräfteverhältnisse in der Kurie. Die Kurie war führungslos und konnte sich deshalb unglaublich aufblähen.
Wie muss man sich die Verhältnisse in der Kurie überhaupt vorstellen?
Es gibt verschiedene Machtgruppen und Interessen, die sich teilweise bekämpfen, aber auch überlagern. Man sollte meinen, solche Machtspiele hätten in der Kirche nichts verloren. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt enormen Ehrgeiz, Karrieristen, Verschwörungen, krumme Geschäfte und Korruption. Zuletzt war auch noch von einer Homosexuellen-Lobby die Rede.
Ist solches Gefasel ernst zu nehmen? Gehört das nicht vielmehr in die römisch-katholische Gerüchteküche?
Nein, auch in meinem Buch „Seine Heiligkeit“ klingt dieses Thema an. Homosexuelle Beziehungen sind im kirchlichen Milieu ein Element, das Abhängigkeiten und Erpressungen begünstigen kann. In der Kurie wird das übrigens alles sehr relativ gesehen.
Was meinen Sie damit?
Paolo Gabriele, der ehemalige Kammerdiener Benedikts XVI., erzählte mir von einem Kardinal und sagte über ihn, der hätte „das Laster“. Ich fragte ihn, was er denn damit meine. Paolo sagte, der Kardinal habe sexuelles Interesse an Kindern. Das klang so, als ob dieses „Laster“ in der Kurie weit verbreitet sei. Paolo sprach darüber in einem Ton, als ob das nichts Besonderes sei, sondern durchaus vorkomme. Das macht schon sehr nachdenklich.
Ein anderer Vorwurf ist der der Korruption in der Kurie. Dieser Vorwurf steht im Raum, man hat aber nie von konkreten Fällen gehört.
Doch, diese Vorwürfe sind sehr konkret. Da geht es um Firmen, die Aufträge aus dem Vatikan bekommen und zu diesem Zweck Kirchenfunktionäre bestechen, Mitarbeiter der Behörden, die Entscheidungen fällen oder steuern können. Den Vorwurf hatte Bischof Carlo Maria Viganò, Generalsekretär des Governatorats, also der Staatsverwaltung des Vatikan, erhoben. Viganò nannte auch Vor- und Nachnamen. Ich habe mich diesen Dingen in meinen Büchern nicht im Detail gewidmet, weil das zu weit geführt hätte. Aber das ist sehr konkret.
Viganò wurde anschließend als Nuntius nach Washington wegbefördert, er ist eine der Schlüsselfiguren des „Vatileaks“-Skandals. Wie operieren die Lobbys im Vatikan, die auch seine Versetzung erwirkten?
Diese sogenannten Seilschaften sind Macht- und Interessengruppen in der Kurie. Einer der stärksten Pole war Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Für ihn ist Macht ein Selbstzweck, sie ist sein einziges Ziel. Bertone hat viele Kuriale um sich geschart, die seinen Einfluss festigten.
Die Rolle Bertones, der als Kardinalstaatssekretär zweiter Mann im Vatikan und eine Art Regierungschef war, macht aber auch stutzig. Ratzinger hat sich mehrmals öffentlich hinter ihn gestellt und ihn verteidigt, auch bei seiner letzten Generalaudienz Ende Februar.
Das ist wirklich ein großes Fragezeichen. Aber Bertone hat von allen Seiten Kritik auf sich gezogen. Er ist der Gegenspieler von verschiedenen Kardinälen, etwa von Kardinaldekan Angelo Sodano oder dem Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz Angelo Bagnasco. Da gab es Eifersüchteleien und inhaltliche Differenzen.
Ist „Vatileaks“ eine rein italienische Affäre?
Nein, auch die Kardinäle aus Paris, Köln oder Wien äußerten sich kritisch über Bertone. Sogar das Opus Dei und die Riege der Diplomaten behaupteten, der Kardinalstaatssekretär stecke hinter Verschwörungen. Natürlich ist Bertone nicht das einzige Übel der Kirche, es hat viele Quellen. Aber Bertone ist die Kernfigur vieler Probleme. Außer ihm ist es nur Silvio Berlusconi gelungen, sich so viele Feinde zu machen, die auch noch aus so verschiedenen Richtungen kommen.
Sogar von einem Mordkomplott gegen Benedikt XVI. war die Rede. Ist das glaubwürdig?
Nein, da muss man vorsichtig sein. Das waren Gerüchte aus dritter Hand, von denen der Erzbischof von Palermo auf einer Chinareise Wind bekommen haben soll. Da hat wohl eher einer ein Glas Wein zu viel getrunken und andere haben ihm geglaubt.
Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass Ihr Hauptinformant, der ehemalige Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, nicht auch zu viel getrunken hat?
Also, das ist schon ein gewisser Unterschied. Dort handelt es sich um Gerüchte. Ich habe Hunderte vertrauliche Akten aus dem Büro des Papstes in der Hand.
Noch einmal zurück zu den Seilschaften im Vatikan, wer steckt dahinter?
Es gibt das Bertone-Lager. Es gibt die Diplomaten, die alle aus der vatikanischen Diplomatenschule hervorgegangen sind. Ihr Chef ist Sodano. Dann gibt es die Genua-Connection, zu denen gehören Kardinal Mauro Piacenza, er wird als künftiger Kardinalstaatssekretär gehandelt, und Bischof Ettore Balestrero, der gerade als Nuntius nach Kolumbien entsendet wurde. Die Gruppen haben verschiedene Vorstellungen von Politik, von der katholischen Lehre und sie ringen um Einfluss. Auch Gruppen wie Opus Dei, die Legionäre Christi oder die Laienbewegung Comunione e Liberazione sind einflussreich.
Wie kam es dazu, dass diese Organismen so einflussreich geworden sind?
Während des Pontifikats von Karol Wojtyla sind diese Bewegungen stark gewachsen. Die Kurie führte ein Eigenleben. Man muss auch bedenken, dass das Netz der Pfarreien, der Kirchen und der Gläubigen immer schwächer geworden ist. Während Einfluss und Präsenz der Kirche geschwunden sind, haben Bewegungen wie Opus Dei oder Comunione e Liberazione diese Arbeit übernommen.
Auf was für ein Milieu sind Sie bei Ihren Recherchen im Vatikan gestoßen?
Das ist eine stumme Welt, in der die Leute große Furcht haben, zu sprechen. Es ist eine bedrückende Atmosphäre, alles wird kontrolliert. Die Menschen in diesem Staat leben wie unter einer großen Haube. Es gibt keine Informationen. Transparenz ist ein Fremdwort.
Liegt das nicht in der Natur der Sache? Der Vatikan versteht sich ja selbst auch nicht als demokratischer Rechtsstaat.
Der Vatikan ist eine absolute Monarchie. Aber in der Welt gibt es nun mal den Fortschritt. Er betrifft auch die Information, und die muss frei zirkulieren können. Der Vatikan geht nur dann an die Öffentlichkeit, wenn Bischöfe oder Kardinäle nominiert werden. Alles andere bleibt im Dunkeln. Das hat man beim Fall Williamson gesehen. Der rechtsradikale Bischof sollte rehabilitiert werden, es kam zu Spannungen mit der Bundesrepublik. Aber niemand hat verstanden, was hinter den Vatikanmauern eigentlich passiert.
Warum ändert sich das nicht? Eine gute Pressearbeit könnte der Kirche ja durchaus nützen.
Ich habe schon viele investigative Recherchen hinter mir, auch in Bereichen wie Politik oder Mafia. Nirgendwo ist die Angst, die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen, so groß wie im Vatikan.
Insbesondere die Vatikanbank, das Istituto per le Opere di Religione, birgt unangenehme Geheimnisse …
Die Vatikanbank muss sofort geschlossen werden. Nur dann bricht auch das ganze System aus Geheimnissen, Mysterien, Erpressung und Korruption zusammen. Der Vatikan kooperiert bereits mit Investmentfonds und hat Geschäftsbeziehungen mit anderen Banken. Die Vatikanbank ist nutzlos und fördert nur Gerüchte. Sie müsste eigentlich eine ethische Bank sein, aber das Gegenteil ist der Fall.
Können Sie etwas ins Detail gehen?
Gerichte haben festgestellt, dass die Mafia ihr Geld in den achtziger Jahren in der Vatikanbank gewaschen hat. Später lagerten hier die Bestechungsgelder für italienische Politiker. Auch heute noch gibt es in der Vatikanbank Konten, die auf den Namen von Geistlichen laufen, die aber nur Strohmänner sind. Diese Konten gehören Unternehmern oder Politikern, die dieses Geld für illegale Zwecke, meistens Korruption verwenden. Diese Leute haben eine Bank im Zentrum von Rom und müssen keine Strafverfolgung fürchten. Die italienische Staatsanwaltschaft hat kaum Möglichkeiten zur Kontrolle. Außerdem ist es schwierig, die Konten der Strohmänner auf ihre wirklichen Inhaber zurückzuführen.
Zuletzt hat sich aber etwas getan beim Bemühen um Transparenz, oder?
■ Missbrauch: Während des Pontifikats Benedikts XIV. häuften sich Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche. Zehntausende Fälle wurden publik, die teils von extremer Brutalität zeugten. Oft waren Vorwürfe intern bekannt und vertuscht worden.
■ Vatileaks: 2011 hat der Kammerdiener Benedikts, Paolo Gabriele, Dokumente aus dem Vatikan geschmuggelt. Später gab es Gerüchte über eine versteckte Homosexuellenlobby in der Kurie.
■ Korruption: Dokumente legen nahe, dass die Mafia in der Vatikanbank Geld wusch. Auch heute soll es noch Konten geben, über die Korruptionszahlungen von Politikern laufen.
■ Piusbrüder: 2009 hob der Vatikan die Exkommunikation mehrerer Bischöfe der ultrakonservativen Piusbruderschaft auf, darunter die des Holocaustleugners Richard Williamson.
Internationale Organisationen wie der Expertenausschuss des Europarats Moneyval fordern mehr Transparenz und Normen gegen Geldwäsche. Der Vatikan hat sich scheinbar geöffnet. Aber das Staatssekretariat verhindert die automatische Beantwortung von Nachfragen. Das ist der Versuch, unklare Machenschaften zu decken. Der Vatikan hat sich auch vorbehalten, keine Antworten zu geben für Fälle, die vor 2010 liegen. Damals wurde Geldwäsche als Straftatbestand im Vatikan eingeführt. Das bedeutet, alles bleibt weiter im Dunkeln.
In Ihrem Buch „Vatikan AG“ enthüllten Sie Finanzskandale, in die die Kirche verwickelt ist. Sie beschreiben die Vatikanbank als „gigantische Geldwaschanlage“. Wie sind Sie an die Akten für Ihr Buch gekommen?
Das war 2008. Ich arbeitete für die Zeitschrift Panorama und war für investigative Recherchen zuständig. Wir wurden kontaktiert. Ich habe Emissäre getroffen, die mir Auszüge aus dem Material zeigten, und wusste, dass das eine Bombe war.
Sie haben das Material dann selbst in der Schweiz geholt.
Die Akten über geheime Vorgänge der Vatikanbank stammten aus einem Archiv, dass Monsignore Renato Dardozzi angelegt hatte, ein hoher Mitarbeiter der Vatikanbank. Nach seinem Tod lagerten etwa 4.000 Dokumente im Keller eines Bauernhofs im Tessin. Ich bin dorthin gefahren und habe zwei Samsonite-Koffer voller Akten mitgebracht.
Ihre Arbeit hat oft konspirativen Charakter. Liegt Ihnen diese James-Bond-Manier?
Mysterien machen mich vor allem neugierig. Aber es geschehen manchmal schon seltsame Dinge. Als ich einmal bei einer anderen Recherche einen General der Finanzpolizei in Florenz treffen sollte, ließ er mich aus Misstrauen einen ganzen Tag lang beschatten. In Triest habe ich einen Kronzeugen der Mafia getroffen und wurde mit verbundenen Augen zu ihm gebracht.
Wie kam Ihr Kontakt zu Paolo Gabriele zustande? Er sagte in einem Interview, Ihr Buch „Vatikan AG“ habe sein Interesse für Sie geweckt.
Paolo war der Meinung, dass mein Buch einen Wandel gebracht habe. Er ist sehr fromm, ihm liegt viel an der Kirche. Er meinte, die Wahrheit müsse ans Licht und die Offenlegung der Verhältnisse in der Kurie könnten auch dem Papst bei seinem Streben nach Transparenz helfen. Er hat den Kontakt zu mir gesucht.
Wie kam das genau?
Oft bekommt man per E-Mail ein Exposé und trifft sich dann in der Redaktion oder in einer Bar, in der besonders viel los ist, um nicht aufzufallen. Mit Paolo war es so: Ein alter Bekannter von mir aus Mailand meldete sich. Wir trafen uns auf einen Caffè, dann erzählte er mir, dass ein Freund von ihm interessante Informationen aus dem Vatikan habe. Über diesen Freund meines Freundes bekam ich einen Termin in einer Bar in Rom. Dort stellten sich mir zwei Männer vor. Sie waren keine Priester und etwa um die vierzig Jahre alt, eher raue Typen. Sie fragten mich über meine Arbeitsmethoden aus und wie ich Informanten schütze. Später merkte ich, dass noch drei andere Männer bei dem Treffen dabei waren. Sie hielten sich im Hintergrund und beschatteten mich. Das Treffen endete ohne ein Ergebnis.
Das klingt wie in einem Krimi, nur vielleicht etwas komplizierter.
Beim nächsten Termin traf ich wieder die beiden Typen vom letzten Mal. Wir verabredeten uns in einem abgelegenen Zimmer in einer anderen Bar. Einer der beiden zog ein Stück Papier aus der Tasche, auf dem eine Reihe von heftigen Vorwürfen gegen Geistliche zu lesen waren. Aber das Schreiben war anonym, ich konnte nichts damit anfangen. Die beiden lachten und waren offensichtlich mit meiner Reaktion zufrieden, sie wollten mich auf die Probe stellen. Dann luden sie mich ein, in eine Limousine zu steigen. Eine Stunde lang fuhren wir im Stadtviertel Prati in Vatikannähe mehr oder weniger im Kreis herum. Sie wollten sicher gehen, dass uns niemand folgt. Dann brachten sie mich in eine leere Wohnung, ohne Namen an der Klingel, gar nichts. Nur ein Plastikstuhl stand im Raum und auf ihm saß Paolo Gabriele.
Wie ging es weiter?
E-Mail, Briefe oder das Telefon schlossen wir als Kommunikationsmittel aus, das wäre zu riskant gewesen. Wir verabredeten uns von Mal zu Mal, wählten einen Decknamen für Paolo, „Maria“. Treffpunkte und Übergabe der Dokumente vereinbarten wir von Termin zu Termin.
Was dachten Sie, als Ihr Informant Paolo Gabriele im Mai 2012 festgenommen wurde?
Ich konnte es nicht glauben, dass jemand ins Gefängnis gehen muss, weil er Dokumente weitergegeben hat und Kinderschänder frei herumlaufen. Natürlich hat es mir für Paolo sehr leid getan. Er ist sich dessen, was er getan hat, bewusst gewesen.
Wurden Sie in Ihrer Arbeit von irgendjemandem behindert?
Nein, eigentlich nicht.
Welche Reaktionen gab es im Anschluss an die Veröffentlichungen der geheimen Dokumente?
Sie werden es nicht glauben, aber ich habe Dutzende Briefe von Priestern bekommen, die mich in meinen Recherchen bestärkten. Andere warfen mir einen Angriff auf die Kirche vor, aber das war ja nun keine Überraschung.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Seine Heiligkeit“, dass Sie ziemlich bald merkten, dass diese Geschichte größer ist als Sie selbst. Was haben Sie damit gemeint?
Es geht um Interessen von weltweiter Bedeutung. Der Papst ist das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken. Und ich bin nur ein Journalist. Und ich habe keine Ideologie oder keinen Glauben, hinter dem ich mich verstecken kann. Die Fakten stehen nackt vor mir.
Wie wirkt der „Vatileaks“-Skandal auf das Konklave?
Die Kardinäle wollen genau wissen, was passiert ist. Sie wollen den Inhalt des Dossiers erfahren, das die von Joseph Ratzinger eingesetzte Kardinalskommission zu den Verhältnissen in der Kurie angefertigt hat. Vor allem diejenigen Kardinäle wollen Klarheit, die aus dem Ausland kommen und die Kurie nicht gut kennen. Das Bedürfnis nach Aufklärung ist jetzt gewaltig.
Was glauben Sie, wird „Vatileaks“ die Wahl des neuen Papstes beeinflussen?
Wenn ich als armer Sünder einen bescheidenen Wunsch äußern dürfte, dann würde er so lauten: Ich wünsche mir, dass weder der Papst noch der Kardinalstaatssekretär Italiener sein werden. Die italienischen Kardinäle sind allesamt viel zu verstrickt in den Sumpf.
■ Julius Müller-Meiningen, geboren 1977, ist freier Korrespondent in Rom. Gelegentlich spielt er Schafkopf im Vatikan
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