Kolumne Südpost: Arabisches Feuilleton und der Westen
Viele arabische Intellektuelle suchten lange die Nähe der Mächtigen. Nun wollen sie schon immer Oppositionelle gewesen sein.
W er meint, dass sich nur die Rhetorik der arabischen Herrscher gleicht, irrt. Ja, sie alle denunzieren die Demonstranten als Agenten, die eine westliche Agenda ausführen, und beteuern, dass sie den gerechtesten und demokratischsten Regimen der Welt überhaupt vorstehen. Das war bei den inzwischen abgesetzten Machthabern so und unterscheidet sich bei den Kandidaten für einen baldigen Abgang, von Sudans Baschir bis hin zu Syriens Assad, nur in Schärfe und Grad an Wahnwitz.
Nicht anders als die arabischen Potentaten und Präsidenten verhalten sich aber auch eine lange Reihe arabischer Intellektueller, die über Jahrzehnte hinweg ihre Zuflucht unter den Fittichen der Macht gesucht haben, um Ignoranz, Unwissenheit und Demagogie zu propagieren. Gemeint sind all jene offiziellen Sprachrohre im Getriebe der Macht, an den Spitzen der Kulturinstitutionen, die Chefs der Feuilletons der offiziellen Zeitungen, Leiter von Festivals, Konferenzen, Symposien und Komitees zur Verleihung von Literaturpreisen, in all den verschiedenen Bereichen von Kunst und Kultur.
So wie die Machthaber im politischen Bereich über einen Kontrollarm aus Polizei, Armee, Sicherheitskräften und Geheimdiensten verfügen, so können sie sich im kulturellen Bereich auf die Dienste von Intellektuellen als Vermittler verlassen.
ist irakischer Schriftsteller und lebt in Berlin. Er veröffentlichte 2011 den Roman „Engel des Südens“.
Das muss nicht zwangsläufig durch eindeutige Lobhudelei geschehen, wie es beim eher grobschlächtigen und unklugen Regime Saddams der Fall war, sondern vielmehr durch eine gezielte Ummünzung der Themen in Literatur und Kunst, bis sie mit kreativem Schaffen nichts mehr zu tun haben. Daher wird in den Feuilletons unserer offiziellen Presseorgane stets ein Kampf der „arabischen Nation“ gegen Imperialismus und Zionismus heraufbeschworen.
Das „irakische Modell“
Es sind eben jene Intellektuellen, die uns jetzt wieder unverfroren angrinsen und uns weismachen wollen, dass sie schon immer revolutionär und oppositionell gewesen seien: Sie und niemand sonst habe die Revolutionen und den Sturz des Despotismus vorhergesagt. Zuallererst haben das die Iraker erlebt.
Mit dem Sturz ihres in Ungnade gefallenen Diktators in den Schlund der Hölle sahen sie die gleichen Schreiberlinge auftauchen, die zu seinem Lob „epische“ Balladen verfasst und für Krieg und Rassismus gesungen hatten. Auf einmal waren diese –dreist wie sie sind und ohne einen Anflug von Scham – voll des Lobes für die neuen Machthaber in Bagdad. Dieses „irakische“ Modell ist beileibe kein Einzelfall.
Seit dem Sturz von Tunesiens Ben Ali oder Ägyptens Mubarak lesen wir immer wieder von diesem oder jenem Intellektuellen, wie er seine Unschuld beteuert, bekräftigt, dass er stets der Macht und ihrer Privilegien entsagt habe. Tunesier, Ägypter und Libyer gebärden sich so, wobei sie ganz zu vergessen scheinen, dass sie ihre Regime bis zuletzt verteidigten und sich erst gegen es erhoben haben, als sie ganz sicher sein konnten, dass der Wind sich gewendet hatte (so etwa der Ägypter Gamal al-Ghitani).
Viele haben nichts aus der Geschichte gelernt. Ja, es ist, als würden sie sagen: Ach, es ist doch nur eine Frage der Zeit. In ein, zwei Monaten haben alle alles vergessen, wie das so mit uns war. Die Machthaber kommen und gehen, aber sie behalten ihre Stellungen, ihr Platz bleibt in der ersten Reihe.
Was Diktaturen erzählen
Drei Bände sind vor Kurzem in Libyen aufgetaucht. Sie dokumentieren die Namen derjenigen, die einst Gaddafis Gespür für Literatur priesen und seine Gastfreundschaft genossen. Darunter sind Menschen wie die Libanesin Alawiyya Sobh oder die Ägypterin Miral al-Tahawi (beide sind auch auf Deutsch verlegt) und viele andere.
Man muss vielleicht die Diktaturen für solche Dokumentationen loben, erzählen sie doch viel. Nun warten wir alle auf den Sturz von Syriens Assad. Wie viele solche Bände à la Gaddafi werden er und seine Kulturbürokratie uns dann wohl hinterlassen?
Aus dem Arabischen von Nicola Abbas
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