piwik no script img

Neuseeland auf der BuchmesseSo klein ist die Welt

Neuseeland ist in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Unser Autor las Bücher über Menschen, die nach oder von Neuseeland auswanderten.

Tiefenentspannt sollen sie sein, die Neuseeländer. Das liegt bestimmt an den vielen Delfinen vor der Küste. Bild: dpa

Neuseeland stelle ich mir vor wie den Empfang im Garten der Grunewalder Residenz des Botschafters an einem der letzten schönen Sommerabende: sehr friedlich, außergewöhnlich nett – aber auch ein bisschen langweilig. Die Neuseeländer tranken deutsches Bier, die Deutschen neuseeländischen Wein.

Der Botschafter sprach ein paar freundliche Begrüßungsworte, lud die Besucher ein, gern auch länger zu bleiben als auf der Einladung angegeben. „Aber wir sind doch hier in Deutschland“, witzelte ein Gast im Beamtentonfall. Gelächter. Klischee kann ich auch, dachte ich und guckte auf die Füße der Umstehenden. Entwarnung: Alle hatten Schuhe an.

Ende Oktober werde ich eine Reise nach Neuseeland antreten. Wie jede Reise beginnt auch diese, beginnt auch meine, mit dem, was man so aufschnappt, in Gesprächen oder beim ersten Blick in den Reiseführer: Vor jedem Rugbymatch führen die Spieler einen archaischen Maoritanz auf, der Kaffee soll gut sein, und alle laufen am liebsten barfuß rum – solche Sachen. Vor den eigenen Eindrücken steht das Hörensagen, Wissen aus mindestens zweiter Hand.

Ein paar Neuseeland-Bücher

Daley/Lutterjohann: „Neuseeland Slang“. Reise Know-How, Bielefeld 2012, 111 Seiten, 7,90 Euro

Janet Frame: „Ein Engel an meiner Tafel“. C. H. Beck, München 2012, 285 Seiten, 19,95 Euro

Christiane Freudenstein (Hg.): „Neuseeland erzählt“. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2012, 319 Seiten, 12 Euro

Dylan Horrocks: „Hicksville“. Reprodukt Verlag, Berlin 2012, 246 Seiten, 24 Euro

Lloyd Jones: „Die Frau im blauen Mantel“. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012, 316 Seiten, 19,95 Euro

Freya Klier: „Gelobtes Neuseeland“. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2012, 423 Seiten, 12,99 Euro

Emily Perkins: „Die Forrests - Roman einer Familie“. Berlin Verlag, Berlin 2012, 463 Seiten, 19,99 Euro

Umso verführerischer erschien mir die Möglichkeit, dieses Land noch vor meiner Einreise anhand von Büchern aus und über Neuseeland ein bisschen kennenzulernen. Neuseeland ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, ich bin bald Gast im Land – das trifft sich gut.

Seltsamerweise, das muss ich nach der Lektüre feststellen, habe ich mir aus den Unmengen von Neuerscheinungen und Neuauflagen fast ausschließlich Bücher herausgepickt über Ausländer, die unfreiwillig ihre Heimat gen Neuseeland verlassen, oder über Neuseeländer, die freiwillig ihre Heimat verlassen. Dabei, heißt es doch immer, Neuseeland sei der Himmel auf Erden. Sollte mich das beunruhigen?

Working-Holiday-Visum

Ich jedenfalls gehe freiwillig, für ein halbes Jahr. Die neuseeländischen Behörden waren so freundlich, mir gegen Zahlung einer moderaten Gebühr ein Working-Holiday-Visum auszustellen, mit dem ich durchs Land reisen und, wenn mir das Geld ausgeht, Aushilfsjobs annehmen kann.

Am Ende der Welt hoffe ich, ein bisschen Abstand zu meinem deutschen Job und dem Leben, das ich jetzt schon vermisse, zu finden. Aus der Festanstellung in eine Freiheit auf Zeit – es ist ein schönes Gefühl, nicht zu wissen, was auf mich zukommt, aber auch ein ungewohntes. Ich bin angemessen aufgeregt.

Machen Neuseeländer eigentlich auch Sabbaticals? So tiefenentspannt, wie die sein sollen, brauchen sie das bestimmt gar nicht. Menschen, die sich, zumindest laut dem Reise-Know-how-Sprachführer „Neuseeland Slang“ mit „Hooray“ voneinander verabschieden, machen nicht unbedingt den Eindruck, als würden sie zu Grübeleien über ihren Lebensentwurf neigen. Aber das ist natürlich wieder hemmungslos verallgemeinert.

Abnorm und andersartig

Janet Frame, geboren 1924, gestorben 2004, etwa brauchte bis nach ihrem 30. Geburtstag, bis sie ihre Jobs in Gastronomie und Hotellerie aufgab – Jobs, die heute häufig Gastarbeiter wie ich übernehmen. Dann traute sie sich, das seit Kindertagen erträumte Leben als Schriftstellerin zu führen.

In ihrer Autobiografie „Ein Engel an meiner Tafel“ beschreibt sie das Neuseeland der 40er und 50er Jahre als Gefängnis: „Die einzige Freiheit, die ich besaß, war in meinem Inneren, in meinen Gedanken und in meiner Sprache.“ Jahrelang war Janet Frame in psychiatrischen Kliniken eingesperrt gewesen.

Sie geht mit einem Stipendium nach England. „Ich wusste (…), dass es das Beste war, aus einem Land zu fliehen, in dem die Andersartigkeit, die in meinem Wesen lag, und selbst mein Wunsch zu schreiben seit meinen Studententagen als Anzeichen von Abnormalität betrachtet wurden.“ Auch Frame hat bei ihrer Reise nach England kiloweise Hörensagen im Rucksack: „Jeder sagte mir, was ich zu tun und wohin ich fahren müsse und was ich zu erwarten hätte.“

Ich suche das Weite, Frame entflieht der Enge, die auch heute noch viele Neuseeländer in die Welt hinaustreibt. „Jeder kennt jeden und weiß mehr über einen als man selbst“, hat die Regisseurin Jane Campion, selbst Neuseeländerin, aber wohnhaft in Sydney, das soziale Klima ihrer Heimat mal beschrieben.

Für ein halbes Jahr kann ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen als diese überschaubare, gemächliche, idyllische Welt. Wie Frame jedenfalls wird mich wohl keine neuseeländische Stadt einschüchtern – erst recht nicht Dunedin mit seinen etwa 120.000 Einwohnern: „Ich dachte an die ’dunklen satanischen Mühlen‘, an Menschen ’eingesperrt wie Eichhörnchen‘; an Feuersbrünste und Pestepidemien und Zwangsrekrutierungen.“

Tiergarten, Zoo und Friedrichshain

Fasziniert dagegen, fasziniert von der Großstadt Berlin, wirkt Lloyd Jones, von dem ich vorher genauso wenig gehört hatte wie von Janet Frame (oder Emily Perkins, deren Familiensaga „Die Forrests“ ich als Nächstes lesen werde). Ausgiebig beschreibt er in „Die Frau im blauen Mantel“ einzelne Orte: Zoo, Tiergarten, den Friedrichshainer Kiez rund um die Warschauer Straße und all die U- und S-Bahnen, mit denen man durch die Stadt kommt.

Im Roman schickt er einen Landsmann namens Defoe an die Spree, um an seiner Doktorarbeit über den Lungenfisch zu arbeiten. Er findet Unterschlupf bei einem blinden Mann und einer schwarzen Frau, Ines, der Heldin des Buchs, die in Berlin nach ihrem nach der Geburt vom Vater geraubten Kind sucht.

Der Blinde beschreibt Defoe als „sehr uneuropäisch“, wegen seiner „unverblümten Art“: „Er sprach freimütig, beängstigend freimütig.“ Hm, das beißt sich jetzt mit dem Kiwiklischee, wonach man dort mit seiner Meinung eher hinter dem Berg hält, mit einem gewissen Hang zur Konformität, ein großes Thema in Janet Frames Autobiografie, wie übrigens auch die exotische Flora ihrer Heimat – Eukalyptusbäume, Tussockgras, Südseemyrtensträucher –, die sie in ihrer Schüchternheit der Gegenwart von Menschen vorzieht.

Noch lieber aber ist ihr Literatur: Frame inhaliert jedes Buch, das ihr über den Weg läuft, Defoe hört in Berlin zum ersten Mal von Bertolt Brecht – Letzteres entspricht dem Klischee, Ersteres beweist, dass immer auch das Gegenteil wahr ist. Es wird höchste Zeit, mir selbst ein Bild zu machen. „Es gibt nichts Besseres als einen neuen Ort, um sich von den Schuppen vor den Augen zu befreien“, schreibt Lloyd Jones in seiner Danksagung am Ende von „Die Frau im blauen Mantel“ über seine Stipendienzeit in Berlin und umreißt damit auch meine Hoffnungen für den Aufenthalt in Neuseeland.

Es ist ein frommer Wunsch, aber wenn ich wiederkomme, würde ich gern manches klarer sehen – beruflich wie privat. Und ein bisschen Entspanntheit möchte ich als Souvenir mit zurückbringen.

Ein verpflanzter Baum

Gerade weil sich die Voraussetzungen und Bedingungen meiner Reise so grundlegend von denen jüdischer Emigranten im Dritten Reich unterscheiden, hat mich Freya Kliers Sachbuch „Gelobtes Neuseeland – Fluchten bis ans Ende der Welt“, zur Buchmesse neu aufgelegt, so gefesselt. Darin versammelt die 1988 aus der DDR zwangsausgebürgerte Autorin und Filmemacherin Einzelschicksale bekannter (Karl Popper, Karl Wolfskehl) wie unbekannter Exilanten, akribisch recherchiert und so empathisch erzählt, als hätte Klier sie alle selbst gekannt.

Einige haben sich gut integriert, geheiratet, ihren Namen anglisiert, andere kommen nie richtig dort an. Zu Letzteren gehört der Dichter Karl Wolfskehl, der einen gemeinsamen Bekannten mit Janet Frame hat: den Schriftsteller Frank Sargeson, so klein ist die neuseeländische Künstlerwelt. „Ganz und gar angewiesen auf mich selbst, die Quellen in mir selbst – dürstet mich, dann trinke ich eben aus mir“, schreibt Wolfskehl kurz nach seiner Ankunft 1938 in einem Brief, nachzulesen im Bändchen „Neuseeland erzählt – Vom anderen Ende der Welt“: „Aber die Luft ist leicht, schimmernd und transparent, und viele fremde, wundervolle Bäume grüßen dennoch vertraut, als wäre ich selber ein verpflanzter Baum.“

Keine andere Wahl zu haben als die Flucht und trotzdem so hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken – das hat mich, nicht nur an Wolfskehl, tief beeindruckt und berührt, zumal die in Nazideutschland Verfolgten auch in Neuseeland mit Ressentiments zu kämpfen hatten, eben weil sie aus Deutschland kamen.

Im Vergleich dazu erscheint mir die Aufgeregtheit um meinen eigenen Trip ans Ende der Welt – mit Rückflugticket – klein, geradezu nichtig. Wird schon schiefgehen. Das Einzige, was ich zu „fürchten“ habe, sind lahme Jobs und hinterwäldlerische Deutschenklischees, die ich wortreich zu widerlegen gedenke. In diesem Sinnne: Hooray, Germany! Kia ora, New Zealand!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • S
    shuki

    "sehr friedlich, außergewöhnlich nett – aber auch ein bisschen langweilig."

     

    jup. nach einem jahr neuseeland muss ich sagen, dass diese beschreibung wunderschön zutreffend ist, allerdings ist "ein bisschen langweilig" immer in der hand des reisenden. neuseeland bietet alle möglichkeiten, wenn man sich nur traut. die chance alles auszuprobieren, praktisch ohne dass etwas passieren kann, ist eine, die ich sonst nirgends auf der welt gefunden habe.