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Kommentar VS ThüringenLöst sie endlich auf!

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Was Thüringen und Afghanistan gemeinsam haben? Beide Länder bekommen ihre Geheimdienste nicht in den Griff. Sie sind Failed States.

Aktenordner des NSU-Untersuchungsausschusses. Und es werden immer mehr. Bild: dpa

D a lässt dann also der thüringische Landesinnenminister die Naziterror-Akten lieber von Bereitschaftspolizisten kopieren und in Sicherheit bringen, als sie dem eigenen Landesverfassungsschutz noch einmal in die Hände zu geben. Wer weiß, was die Geheimdienstler damit veranstalten würden – womöglich spontan verbrennen?

Das Verhalten von Jörg Geibert ist ehrenwert und entspricht den scharfen Worten, mit denen sich auch seine Chefin, Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), früh in Sachen NSU eingebracht hat. Sie schlug die Fusion, sprich Auflösung der Landes-Verfassungsschutzämter vor.

Was muss eigentlich noch passieren, bis die Landesgeheimdienste abgeschafft werden, wenn selbst die zuständigen Regierungen sie loswerden oder jedenfalls wichtiges Papier von ihnen fernhalten wollen? Möglicherweise lohnt hierzu ein Blick ins Ausland, etwa an den Hindukusch. Dort werden aus solchen Vorgängen Konsequenzen gezogen.

privat
Ulrike Winkelmann

leitet das Inlands-Ressort der taz.

So gab die pakistanische Regierung zu, dass sie ihres eigenen Geheimdienstes ISI nicht Herr werde, weshalb sich die USA bitte selbst um die Terroristen an der Grenze zu Afghanistan kümmern mögen. Auch in Afghanistan kooperiert Regierungschef Hamid Karsai deshalb mit der Nato, weil er seine eigenen Behörden nicht im Griff hat.

Mit welchem Recht bezeichnet man solche Nationen dann aber noch als failed state, gescheiterten Staat? Vermutlich funktioniert etwa die Gesundheitsversorgung in Thüringen noch besser als in Afghanistan. Doch verblüfft das Staatsversagen in Erfurt selbst hartgesottenere Gemüter.

Aus der Erfahrung mit den korrupten, unterwanderten Staaten in aller Welt lässt sich ein Schluss ziehen: Wer Geheimdienste aufstört, muss damit rechnen, dass sie um sich schlagen. Vielleicht sollten sich Geibert und Lieberknecht schon einmal mit dem State-building-Instrumentarium von UN und Nato vertraut machen.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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7 Kommentare

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  • RB
    Rainer B.

    Behörden sind wie Fußpilz - wenn sie sich erstmal eingerichtet haben, wird man sie nicht mehr los.

  • N
    naseweiser

    Wenn man sieht , wie alle unsere Bundesländchen ua an ihren "Verfassungsschutz"ämtchen festhalten (geschweige zu wenigen größeren zusammengelegt werden , die Bundesländchen...), kann man sich ausrechnen , wann es (in tausend Jahren) zu den "Vereinigten Staaten von Europa" kommen wird .

  • M
    Mikki

    Thüringen mit Afghanistan und Pakistan in einen Topf zu werfen und auch nur in die Nähe eines failed state zu rücken, zeugt von "failed thoughts" und stellt per se ein #fail dar. Letztlich werden mit so einem Hüftschuss-Kommentar diejnigen, die z.B. in Afghanistan oder Pakistan unter dem failed state zu leiden haben (oder hatten, weil sie umgebracht wurden), schlicht und einfach beleidigt. Das geht in dieselbe Richtung, wie die Karikaturen in Griechenland, auf denen Angela Merkel mit dem Hakenkreuz in Verbindung gebracht wird.

    Spätestens das heute in der TAZ veröffentlichte Interview mit Innenminister Geibert sollte der Kommentatorin deutlich gemacht haben, dass sie bei der Auswahl ihrer "Zielgruppe" künftig besser nachdenken sollte.

    Und im Übrigen sollte man darüber nachzudenken, dass nicht jedes im Zuge der NSU-Ermittlungen zu Tage getretene strukturelle Problem unmittelbar mit der NSU und den Mordopfern der NSU in Verbindung gebracht werden kann. Die Abschaffung der Landesverfassungsschutzämter zu erwägen, würde sich unabhängig von der NSU-Problematik schon lange auch unter ökonomischen Gründen lohnen, weil die Luete einfach nichts mehr zu tun haben (können). Dagegen haben sich in der Vergangenheit aber immer wieder alle Bundesländer - auch die SPD-geführten - gewehrt.

  • F
    Fritz

    Pakistan hat seinen ISI sehr gut im Griff und Karsai ist eben kein effektiver Praesident. Die "Insurgents" herrschen bekanntlich noch immer. Frau Winkelmann ist nicht mal auf einer Party lustig.

  • H
    Hafize

    Die These vom 'failed state' Thüringen ist überzogen, denn der echte Unterschied ist einfach: Afghanistan kann nicht Stuttgart, Hamburg oder München zur solidarischen Finanzierung heranziehen. Und die Geheimdienstmitarbeiter gehen nich offensiv mit Waffen raus und fungieren als eine Art Geheimarmee, foltern, morden, vergewaltigen oder schießen auf alle Andersdenkenden (auch wenn die NSU schon solche Möglichkeiten ins Spiel gebracht hat).

     

    Was allerdings die Kommentatorin richtig darstellt, ist, dass Deutschland in Sachen Geheimdienst, Neonazis, Fremdenfeindlichkeit und Regierungsverhalten langsam auf das Niveau von Entwicklungsländern zusteuert.

     

    Spektakulär ist das schon, aber andererseits ignoriert die Politik schon lange, dass die Ost-Bundesländer ziemlich runter sind und bis heute erhebliche soziale und politische Probleme haben. Eine Schattenseite dieser Probleme ist der aufkommende Rechtsextremismus von Durchschnittsbürgern und ein knallharter Kern von Neonazis, der offenbar Teile des Staats unterwandern konnte. Dass unschuldige Menschen übel hingerichtet wurden, hat aber auch West-Bundesländer und deren Geheimdienste nicht sonderlich bewegt, jedenfall fernab der Sonntagsreden, die alle gar nix wert sind.

     

    CDU-Volker Bouffier z.B. hat sich schützend vor einen ziemlichen dubiosen Mitarbeiter seiner Geheimdienstberhörde gestellt - nicht gerade ein Zeichen für einen 'successful state', aber die Politik und Wirtschaft gehen in Hessen wohl getrente Wege, jedenfalls müsste man nach Thürigen in diesem West-Land den Verfassungsschutz wohl als erstes auflösen.

     

    Ich denke, dass dieser ganze Geheimaparat ein Quell des Bösen ist, weil dort keine Kontrollen und Transparenz, sondern willkürliche Verhältnisse herrschen: Die Linke (PDS) wird überwacht, sogar Geheimdienstoperationen gegen dieses 'Ziel' sind möglich, aber dubiose Mitarbeiter und Neonazis werden eher gefördert, als bekämpft.

     

    Wer braucht diese Schlaphütte noch? Migranten haben inzwischen Angst vor diesem Teil des Staats und glauben dieser Regierung auch nicht mehr. Mal schauen, ob das Amt aus Thüringen wirklich alle Akten geschickt hat, oder ob da doch eine oder zwei fehlen. Und warum wollen diese Leute immer Neonazis schützen, obwohl die Masse der Spitzel nur ans Geld denkt und anscheinend kaum gute Infos liefern konnte, jedenfalls sie die Bilanz so aus: 13 Jahre Untergrund und neun tote Migranten und eine tote Polizistin plus ein schwer geschädigter Polizist plus etliche andere Opfer, inklusive vollkommen traumatisierter Angehöriger der Opfer. Aber auch das scheint für bestimmte Menschen im Sicherheitsdienst noch nicht auszureichen.

     

    ABSCHAFFEN, mehr fällt mir nicht mehr ein. Wenn denen jetzt schon die Spitzel davon laufen, um so besser, dann haben sie schon mal weniger Geld.

  • N
    naseweiser

    Da gibt's doch nur eins : Geheime , durch Regierung angeordnete Polizeiaktion der Besetzung aller Diensträume des Verfassungsschutzes , Verbringung aller Akten an einen zentralen, ständig gesicherten bewachten Platz zwecks Sichtung und Entscheidung über endgültige Verwendung , Entscheidung über weitere Verwendung der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in nicht-polizeilichen Bereichen (oder Kündigung , Versetzung in den einstweiligen Ruhestand etc ) .

  • T
    Taz1200

    Propaganda und eine große Klappe.

    The U.S., China, France, Africa, Iceland are failed states, the whole world is a failed state. Svalbard is a failed state too. Or wait? Theres a huge seed bank there, and its not a failed state?

     

    A Failed State is declared when the majority of the population is betrayed by a group of people who decieve citizens and the citizens themselves let themselves be deceived.