: Stadtentwicklung wird zum Auslaufmodell
CDU-Finanzminister Linssen will beim Städtebau über 200 Millionen Euro einsparen. Das Bauministerium reagiert mit Brandbriefen – doch eine Strategie von CDU-Bauminister Wittke ist nicht zu erkennen. Über 100 Projekte bedroht
DÜSSELDORF taz ■ Den Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen droht eine weitere Sparwelle. Landesfinanzminister Helmut Linssen (CDU) will bei der Städtebauförderung massiv kürzen. Das geht aus internen Vermerken des NRW-Bauministeriums hervor, die der taz vorliegen. „Mit den Kommunen vereinbarte Investitionen werden blockiert, viele Kommunen werden in die Vorfinanzierung getrieben, Fortsetzungsmaßnahmen gestoppt, die Glaubwürdigkeit der Landesregierung in Frage gestellt“, so die Kritik der Brandbriefe.
Schon heute seien 32 von ursprünglich 137 noch von der rot-grünen Vorgängerregierung bewilligten Millionen nicht freigegeben, klagen die Beamten von CDU-Bauminister Oliver Wittke. In 2006 könnten weitere 47 Millionen wegfallen. Der reine Landesanteil würde damit auf nur noch 15 Millionen sinken – weitere 75 Millionen Euro sind nötig, um eine so genannte Kofinanzierung des Bundes zu erhalten.
Über 100 Stadtentwicklungsprojekten gerade in strukturschwachen Gebieten wie dem Ruhrgebiet droht damit das Aus. Bereits genehmigte Mittel in Höhe von 2,156 Millionen Euro für den Dortmunder „Phoenix-See“, der auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks angelegt werden soll, wären ebenso gefährdet wie das gesamte Projekt Stadtumbau West: Die Aufwertung der Fläche rund um das Festspielhaus Jahrhunderthalle stünde ebenso in Frage wie der Umbau des Herner Nordens oder des Wanne-Eickeler Zentrums.
Das NRW-Bauministerium bestätigt lediglich die Sperrung der 32 Millionen Euro für das laufende Haushaltsjahr. Zu den internen Vermerken aber wollte Sprecher Stephan Heuschen inhaltlich keine Stellung nehmen: „Es kann sein, das da jemand etwas aufgeschrieben hat.“ Entscheidungen würden aber erst bei einer Kabinettsklausur zum Thema Haushalt Mitte kommender Woche getroffen. Noch sei unklar, mit welcher Strategie Bauminister Wittke in die Verhandlungen gehen wolle.
Die Position des Finanzministers ist dafür umso klarer: Zwar verweist auch Linssens Sprecherin Stephanie Hagelüken auf die Kabinettsklausur, zitiert dann aber CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers: „Alle werden es merken“, sagt Hagelüken. „Wenn wir sparen, dann bei allen.“ Aus Sicht des Finanzministers ist das dringend nötig: Zu Beginn der Woche war Linssen unter massiven Druck der eigenen Koalitionsfraktionen von CDU und FDP geraten, weil durchgesickert war, dass er auch für das Haushaltsjahr eine Neuverschuldung von mehr als sechs Milliarden Euro anpeilt – mehr als je zuvor. Die SPD hatte daraufhin erklärt, Linssen sei „politisch erledigt“.
Plötzliche Kürzungen bei der Stadtentwicklung lehnen die Sozialdemokraten aber ab. Die Landesregierung müsse „verlässlicher Partner“ bleiben und gemachte Zusagen der Vorgängerregierung einhalten, mahnt der für Kommunalpolitik zuständige Vize der SPD-Landtagsfraktion, Rolf Jäger. Regierungschef Rüttgers dürfe „das Ruhrgebiet nicht im Stich lassen“, so Jäger. Das in den internen Vermerken skizzierte Vorgehen, allein den klammen Städten die Entscheidung über den Ausstieg aus nicht mehr zu finanzierenden Projekten zu überlassen, grenze „an Erpressung“.
Besonders Bauminister Wittke müsse jetzt „Farbe bekennen“, finden auch die Grünen. „“Sonst befinden wir uns nur noch in der Altfallabwickung. Die Stadtentwicklung wird zum Auslaufprogramm“, so der kommunalpolitische Sprecher Horst Becker. „Wittke ist als Lautsprecher ins Sommerloch gestartet – und verfällt in der Sachpolitik in Schockstarre.“ ANDREAS WYPUTTA
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