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Überlebende von Mogadischu 1977„Kinder werden nicht erschossen“

Im Oktober 1977 entführte ein PFLP-Kommando ein Lufthansa-Flugzeug nach Mogadischu. Unsere Autorin saß als Kind damals mit in der Maschine.

Rückkehr der befreiten Geiseln der Lufthansa-Maschine „Landshut“: Ankunft am 18.10.1977 auf dem Flughafen Frankfurt am Main. Bild: dpa

„Und wer hat schon fünf Tage und fünf Nächte rund um die Uhr einen Pistolenlauf, zwei Handgranaten und – bei den Ultimaten – zwei Sprengladungen vor Augen gehabt, brutale Misshandlungen von Frauen, Scheinexekutionen und die Erschießung eines mit erhobenen Händen knienden Menschen aus zwei Meter Entfernung miterlebt!“

Mit diesem spektakulären Zitat bewirbt der Suhrkamp Verlag das Buch „Die Überlebenden von Mogadischu“ des Journalisten Martin Rupps. Im Oktober 1977 hatten palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“ mit 91 Insassen gekidnappt. Damit sollten unter anderem Mitglieder der RAF freigepresst werden.

Von Palma de Mallorca ging der Flug über Rom, Larnaka, Aden und Dubai. Nach fünf Tagen wurde die Maschine auf dem Flughafen der somalischen Hauptstadt Mogadischu von dem Sondereinsatzkommando GSG 9 gestürmt, drei der Entführer wurden erschossen, alle Geiseln befreit. Die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt hatte sich als nicht erpressbar gezeigt. Ein Happy End?

Martin Rupps räumt in seinem überaus lesenswerten Buch gründlich mit dieser Einschätzung auf. Und das ohne Anschuldigungen und Sentimentalitäten. Er hat Dokumentarfilme, Presseartikel und Archivmaterial der letzten 35 Jahre gesichtet, Zeitzeugenberichte eingesehen sowie mit ehemaligen Geiseln und einer Traumaforscherin gesprochen und kommt zu dem Schluss, dass die Befreiung in Mogadischu keineswegs ein Happy End war.

Denn zurück kamen 90 traumatisierte Menschen, die nach ihrer Ankunft in Deutschland einfach nach Hause geschickt wurden. Die Bundesregierung kümmerte sich kaum um sie, zu Hause begegnete man ihnen mit Unverständnis. Sie mussten um materielle Entschädigung und für psychologische Betreuung kämpfen und blieben mit ihren Ängsten häufig allein. Dies alles stellt Martin Rupps in seinem Buch eindrücklich dar.

Meine eigene Geschichte

Ich habe mit diesem Buch auch meine eigene Geschichte gelesen. Als Achtjährige hatte ich die Herbstferien 1977 mit meinen Eltern auf Mallorca verbracht. Ich war behütet aufgewachsen, alles Böse wurde von mir ferngehalten. Außer der „Sesamstraße“ durfte ich nur wenig fernsehen, Grimms Märchen fand meine Mutter zum Vorlesen zu grausam. Und Kriege und Katastrophen waren für mich sowieso ganz weit weg.

Das einzige politische Ereignis dieser Zeit, an das ich mich erinnere, ist die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Sein Foto mit dem Schild „Gefangener der RAF“ erschien alle paar Tage auf der Titelseite unserer Zeitung. Hanns Martin Schleyer sah müde und traurig aus. Er tat mir leid. Dass ich bald selbst in einer ganz ähnlichen Situation sein würde, war jenseits meiner Vorstellung.

Viele „Landshut“-Insassen belastete nach ihrer Rückkehr die Reaktion von Freunden und Verwandten. „Du hast sie doch nicht alle, du bist doch gesund“ ist das Kapitel überschrieben, in dem die Menschen erzählen, auf wie viel Unverständnis und Hilflosigkeit sie stießen. Denn für sie war nichts mehr wie vorher. „In mir hatte sich etwas verändert, und damit stimmte mein Verhältnis zur alten Welt nicht mehr. Alles, was sicher geschienen hatte, war wankend geworden, und ich fühlte mich wie im Krieg“, erinnert sich die Chefstewardess Hannelore Piegler.

Posttraumatische Belastungsstörungen

Viele der ehemaligen Geiseln litten unter Schlafstörungen, Angstzuständen, Stimmungsschwankungen. Oft vermeinten sie ihre früheren Entführer wieder zu sehen. Heute weiß man, dass dies Symptome posttraumatischer Belastungsstörungen sind – ein damals nur wenig definiertes Krankheitsbild. Hinzu kam, dass die Psychotherapie in den späten 1970ern noch lange nicht so gesellschaftsfähig war wie heute.

Deshalb gingen die meisten „Landshut“-Passagiere zunächst zu ihren Hausärzten, wie die Passagierin Jutta Brodt erzählt: „Ich bin dann […] zum Arzt, weil ich diese Gesichtslähmung hatte. Mir ist dann aufgefallen, dass der Arzt an meiner Geschichte viel stärker interessiert war als an der Frage, ob ich krank oder gesund war. Er hat mich über die Entführung ausgefragt. Ich war geschockt.“

Buch & Autorin

Martin Rupps: „Die Überlebenden von Mogadischu“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 341 Seiten, 21,95 Euro

Gaby Coldewey lebt in Berlin und arbeitet im Tourismus, Bereich politische Bildungsreisen

Der 66-jährige Karl Hanke, von dem das eingangs erwähnte Zitat stammt, notierte: „Einige meiner Zuhörer, meist weitgereiste und ’vielgeflogene‘ Männer, fanden es völlig unverständlich, dass 40 Männer, die es schätzungsweise unter den 91 Geiseln gab, nicht imstande gewesen sein sollten, mit nur vier Bewaffneten fertigzuwerden.“ Andere Passagiere berichteten Ähnliches. Hanke folgert resigniert: „Dem Mitempfinden derer, die nicht dabei waren, sind eben Grenzen gesetzt.“

Mit Nylonstrümpfen gefesselt

Es waren nicht nur die ständige Bedrohung durch Waffen, die Schläge und Beleidigungen durch die Entführer, es waren auch die oft unerträgliche Hitze in einem Flugzeug, bei dem zeitweilig die Klimaanlage ausfiel, die Enge auf den schmalen Sitzen, die nach ein paar Tagen überfüllten und stinkenden Toiletten und das völlige Abgeschnittensein von der Außenwelt, was die Menschen belastet hatte. Sie durften nur wenige Stunden am Tag miteinander sprechen, nur mit Erlaubnis aufs Klo, sie wurden mit Nylonstrümpfen gefesselt und mit Alkohol übergossen.

Für Menschen, die das nicht erlebt hatten, war es schwer, auf die ehemaligen Geiseln adäquat zu reagieren. Ehen gingen in die Brüche, Menschen fühlten sich von ihren Familien entfremdet, kapselten sich ab, wurden arbeitsunfähig.

Als Kind habe ich das anders erlebt. Denn nach unserer Rückkehr wurde über Mogadischu eigentlich nur wenig gesprochen. Wir gingen schnell zum Alltag über. Vielleicht weil meine Eltern wie zuvor alles Böse von mir fernhalten wollten. Ich durfte nicht einmal den Stern mit den Fotos vom blutigen Ende in der somalischen Wüste ansehen. Meine Oma versteckte das Heft im Schrank. Ich holte es heimlich heraus. Auch an Arztbesuche kann ich mich nicht erinnern.

Nur in die Schule sollte ich erst mal nicht. Weil ich mich zu Hause aber schnell langweilte, durfte ich dann doch wieder hin. „Wir dürfen dich nichts fragen“, sagten meine Mitschüler. Nur meine Freundin Angelique schenkte mir ein Buch mit der Widmung: „Ich freue mich, daß Du wieder zu Hause bist und wünsche mir, daß Dir das Buch gefällt.“ Das habe ich bis heute aufbewahrt. Mein Freund Gunnar wollte alles genau wissen. Nachmittags auf dem Schulhof zeigte ich ihm, wie „Captain Mahmud“ dem Piloten Jürgen Schumann eine Pistole an die Schläfe hielt und abdrückte. Gunnar sank zu Boden und stellte sich tot.

Mit den Ängsten leben

Die Ängste kamen erst viele Jahre später und sind bis heute da: Ich steige aus Zügen mit arabisch aussehenden Männern häufig wieder aus. Ich setze mich nie mit dem Rücken zur Tür. In vollen Räumen werde ich schnell panisch. Hält eine U-Bahn auf offener Strecke, scanne ich die Menschen ab nach Freund und Feind. In bestimmte Länder würde ich eher nicht reisen und ins Flugzeug steige ich nur in Ausnahmefällen. Ich habe gelernt, mit diesen Ängsten zu leben.

Das Unverständnis allerdings, das Rupps beschreibt, erlebe ich heute viel stärker als vor dreißig Jahren. Kommt das Gespräch mal auf Mogadischu, stellt mein Gegenüber in der Regel ein, zwei kurze Fragen und wechselt dann schnell das Thema. Danach wird nie wieder darüber gesprochen. Ist das Unsicherheit – oder einfach Desinteresse?

taz

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Nur bei Flugreisen muss ich manchmal erklären, warum ich bei zu lauten Passagieren oder unübersichtlichen Situationen in Panik gerate: „Nein, ich bin nicht einfach hysterisch, mir ist mal was Schlimmes passiert.“ Diejenigen, die dann nach einigen wenigen Sätzen weiter gefragt haben, kann ich an einer Hand abzählen.

Mir sind diese unbeholfenen Reaktionen peinlich und deshalb spreche ich nicht gerne davon, mal „Landshut“-Geisel gewesen zu sein. Ich weiß auch nicht mehr genau, wem ich das überhaupt erzählt habe. Durch das Buch von Martin Rupps habe ich erfahren, dass ich mit diesem Verhalten und mit meinen Ängsten nicht alleine bin. Das ist ein gutes Gefühl.

Staatliche Entschädigung?

Ein interessanter Aspekt ist die Diskussion um staatliche Entschädigung. Die „Landshut“-Passagiere mussten bald nach ihrer Rückkehr ernüchtert feststellen: „Die Rettung ihrer Leben hatte zwar hohe Priorität, aber sie war kein Ziel, das alle anderen Ziele staatlichen Handelns überragte. Die Mitglieder von Bundesregierung und Krisenstab wogen vielmehr ganz rational Risiken gegeneinander ab – zugespitzt formuliert: das Risiko, 87 Geiseln zu opfern, gegen das Risiko, 13 Terroristen aus der Haft zu entlassen. Sie entschieden sich gegen den wahrscheinlichsten Weg, die Geiseln unversehrt aus der Maschine zu holen. Stattdessen wählten sie eine andere […] Handlungsoption: ihre gewaltsame Befreiung. Bei ihr war sehr wahrscheinlich mit Toten zu rechnen.“

Zu erkennen, dass die Regierung den Tod der Geiseln notfalls in Kauf genommen hätte, war schon bitter. Hinzu kam das Gefühl des Alleingelassenseins. In den Niederlanden hatten Psychologen bereits erkannt, wie wichtig der Kontakt zu den Menschen nach einer Entführung war. Aber 1977 suchte kein Regierungsmitglied das Gespräch.

Die Geiseln waren fünf Tage von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Nach ihrer Rückkehr bestand dieses Gefühl weiter, wie „Landshut“-Passagier Rhett Waida erklärt: „Ich hätte es zum Beispiel unheimlich gut gefunden, wenn wir nur einen kleinen Brief bekommen hätten, und da hätte drin gestanden: ’Schön, ihr seid wieder da.‘ […] Wir haben nichts bekommen […], das finde ich schlimm.“

Brief von Helmut Schmidt höchstpersönlich

Diese Aussagen haben mich erschüttert. Denn anders als all diese erwachsenen Menschen habe ich sehr wohl einen Brief bekommen, von Helmut Schmidt höchstpersönlich. Martin Rupps zitiert ihn in seinem Buch. Mit Datum 28. Oktober heißt es: „Offensichtlich aus Freude über die gelungene Befreiungsaktion auf dem Flughafen von Mogadischu hat mir ein Mitbürger einen Scheck übersandt. Der Gegenwert reicht aus, den Kindern, die in der entführten Lufthansa-Maschine waren, eine kleine Freude zu machen.“

Die „kleine Freude“ war ein Fahrrad. Ich hatte aber schon eins, ich war ja schon fast neun. Das Rad stand dann lange in der Garage, bis wir es verschenkt haben. Meine Mutter hat sich damals ziemlich geärgert. Zum einen darüber, dass man ja auch mal hätte nach Wünschen fragen können. Und zum anderen, dass das kein Regierungsgeschenk war, sondern ein privates. Das habe ich erst jetzt richtig begriffen. Aber ich hatte wenigstens ein Fahrrad bekommen. Meine Eltern hingegen gar nichts. Keinen Brief, keine netten Worte und natürlich auch kein Geld.

Geld floss schon, nur in andere Richtungen. So erhielt das arme Somalia „von der Bundesrepublik Deutschland 1977/78 technische Güter und ’Warenhilfe‘ im Gesamtwert von 76 Millionen Mark.“ Bei der Warenhilfe handelte es sich um Bargeld, insgesamt 25 Millionen Mark, von dem die Regierung Somalias Waffen kaufen konnte. Die „Landshut“-Geiseln gingen leer aus.

Symbolische Anerkennung der Leiden

Dabei wollten sie vor allem eine symbolische Anerkennung der Leiden, die fünf Tage Geiselhaft als politisches Faustpfand bedeuteten, wie Rupps herausstellt. Es ging ihnen bei ihren finanziellen Forderungen aber auch um ganz praktische Dinge, zum Beispiel um nötige Kuraufenthalte, wie Passagier Everhard Wolf den Antrag auf Schmerzensgeld für seine Frau begründet: „Sie leidet außerdem an einer bisher nicht vorhandenen Nervosität und insbesondere an schrecklichen Schlafstörungen, die sich in Angstträumen und schreckhaften Erwachungszuständen äußern.“

Dabei hatte es durchaus Überlegungen zur Zahlung von „Schmerzensgeld“ gegeben. Der SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, der in Mogadischu die Verhandlungen geführt hatte, hielt 5.000 DM für angemessen. Kanzler Schmidt jedoch lehnte eine Zahlung ab. Er wollte das vom Bundestag 1976 verabschiedete Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten zur Anwendung bringen. Die Bundesregierung sah sich, so Rupps, „in keiner Bringschuld, sie formuliert für die früheren Geiseln eine Holschuld“.

Die Menschen mussten ihre Forderungen selber stellen und begründen, dass sie eine Psychotherapie brauchen. Geprüft wurden die Ansprüche dann nicht von der Regierung, sondern von den Landesversorgungsämtern – mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. „Vielfach waren schon die Anträge dafür eine Zumutung. Diese Formulare eigneten sich nicht für den Fall einer Flugzeugentführung. ’Keine einzige Frage hat gepasst‘, erinnert sich Jutta Knauff.“

Vor allem ging es um Werbung

Es gab aber auch noch ganz andere Angebote. Ein Ponyhof lud uns Kinder für die Ferien ein. Ich wäre da ganz gerne hingefahren, mir fehlte mit knapp neun Jahren aber doch der Mut. Mit einer Freundin zusammen hätte ich mich vielleicht getraut, aber das war natürlich nicht vorgesehen. Denn es ging, wie meine Mutter mir erklärte, vor allem um Werbung und erst in zweiter Linie um Spaß für mich. Ich blieb zu Hause.

Eine andere Einladung hingegen nahmen meine Eltern an. Zwei wunderschöne Ferienwochen verbrachten wir 1978 im „Hotel Kürschner“ im österreichischen Kärnten. Auch hier wären wir eigentlich – wie ich jetzt bei Martin Rupps lese – zu Werbezwecken gewesen. Die offizielle Veranstaltung mit den „Landshut-Geiseln“ aber fand erst im September statt, und wir waren ja auf die Sommerferien angewiesen. So ist uns eine Werbeveranstaltung beim Fremdenverkehrsamt erspart geblieben.

Ein Resumee des Buches von Martin Rupps ist sicherlich, dass die Befreiung der Geiseln in Mogadischu nur am Rande das Happy End einer fünftägigen Entführung war. Darüber hinaus war es für die meisten eine Zäsur, die ihr Leben in ein „Davor“ und ein „Danach“ einteilte. Und das „Danach“ war, zumindestens anfänglich, häufig geprägt von Krisen, Krankheiten, Ängsten und Enttäuschungen.

Ein fester Halt im Leben

Für mich war Mogadischu keine Zäsur. Mein „Davor“ waren acht kurze Jahre, das „Danach“ ist ein sehr viel längerer Zeitraum, ich habe wenig Vergleichsmöglichkeiten. Mogadischu ist ein Teil meines Lebens, vermutlich sogar ein sehr prägender. Und etwas, das immer „da“ ist, mal stärker, mal weniger stark. Etwas Positives habe ich als Kind aber auch mitgenommen aus diesen fünf Tagen: das Wissen um einen festen Halt im Leben.

Meine Eltern haben mir, obwohl sie sicher selber oft Todesangst hatten, in diesen fünf Tagen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Sie wussten, so schien es mir als Kind, was zu tun war. Das machte mir Mut. In den wenigen Stunden, in denen ich neben ihnen saß und wir sprechen durften, spielte meine Mutter mit mir Stadt, Land, Fluss. Im Flüsterton, ohne Stift und Papier natürlich. So war ich abgelenkt – und sie sicher auch.

Als alle Passagiere mit Nylonstrümpfen gefesselt wurden, drückte mich meine Mutter in den Sitz zurück: „Für Kinder gilt das nicht!“. Und als Pilot Jürgen Schumann direkt vor uns hingerichtet wurde und „Captain Mahmud“ brüllte: „Wer weint oder wegschaut, wird erschossen“, hielt meine Mutter mir die Augen zu. Ich hatte furchtbare Angst, die Nächste zu sein. „Kinder werden nicht erschossen“, versicherte sie mir ruhig.

Ein vergessener Stoffaffe

Nach der Stürmung der Maschine durch die GSG 9 saßen wir hinter einer Sanddüne in der somalischen Wüste, als ich plötzlich bemerkte, dass ich meinen Stoffaffen Jacko im Flugzeug vergessen hatte. Er war die einzige Konstante in fünf Tagen Chaos gewesen, hatte mich getröstet, wenn ich von meinen Eltern getrennt wurde und war immer bei mir gewesen. Jetzt war er weg. Ich war verzweifelt.

Mein Vater hat später in einem Interview behauptet, er habe reflexartig reagiert, so wie immer, wenn ich Jacko irgendwo liegen gelassen hatte. Ich glaube das nicht so ganz. Auf jeden Fall ging er noch einmal zurück in das Flugzeug, aus dem er gerade mit Waffengewalt befreit worden war, um das Tier zu holen. In einer Situation, in der die Erleichterung über die Befreiung alles andere überlagert haben musste, nahm er meine Verzweiflung über ein verlorenes Stofftier ernst.

Ich hoffe und wünsche mir, dass ich diese emotionale Sicherheit, die meine Eltern mir als Kind vermittelt haben, an meinen Sohn weitergeben kann. Dann wäre das alles wenigstens zu irgendetwas gut gewesen.

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30 Kommentare

 / 
  • RD
    Rainer David W. Früh

    @tomy:

    Den Stoffaffen Jacko gibt es noch immer bei Steiff. Unser Sohn (7) als Nachwuchsrassist hat diesen.

    Wenn ich mal die Sorgenfülle von "Alltagsrassismus" habe, werde ich auch den Rassismus bei und unter den Kuscheltieren erforschen......

    Meine Güte, Sie deutscher Humanist, fällt Ihnen angesichts einer solch erschütternden Schilderung der durch und durch heute noch traumatisierten Autorin angesichts ihrer Erlebnisse nichts anderes in Ihrem wirren Kopf an Empathie ein, als der "alltägliche Rassismus" einer Achtjährigen bezüglich ihres Stofftieres?

    Schade, dass man hier nicht beleidigend werden darf; in Ihrem Falle wäre es angezeigt....

  • C
    Claus

    Entschädigung? Geht's noch? Die Geiselnahme war sicher eine ganz schreckliche Erfahrung. Aber die hat schließlich nicht die Bundesrepublik Deutschland zu verantworten, es sei denn, man nimmt die Verurteilung dieser elenden Mörderbande von RAF als Grund. Sicher findet sich hier noch mindestens ein Forist, der davon überzeugt ist.

     

    Wie wär's denn statt dessen mal mit einem Wort der Dankbarkeit für die erfolgreiche Geiselbefreiung, bei der die GSG9er ihr Leben riskiert haben? Statt Entschädigung für ein Leid zu verlangen, dass den Entführten von ein paar fusselbärtigen Fanatikern zugefügt worden ist? Da fällt mir mir doch das Ei aus der Pfanne! Frechheit.

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Zahlungen gibt es doch genug - an die Freunde der Terroristen. Die Familien von in Israel einsitzenden Terroristen erhalten eine recht passabele "Gefängnisrente". Bezahlt alles die EU. Die Autorin sollte vielleicht Terroranschläge verüben, dann würde es auch mit dem Geld klappen. Opfer finden keine Anerkennung. Eine Schande für unser Land.

     

    Danke für den guten Artikel.

  • RD
    Rainer David W. Früh

    "Free Palestine", alles gut, ja? Liegen Sie bequehm? Wie sind die Besuchszeiten?

    Ist die Verpflegung auch gut in der Anstalt?

  • F
    FaktenStattFiktion

    @vic

    Die Fülle Ihrer "Argumente" ist beeindruckend... rofl

  • T
    tommy

    @alltagsrassismus:

     

    Ich weiß natürlich nicht, woher der Name von Frau Coldeweys Affen kommt, aber es scheint einen Stoffaffen der Firma Steiff namens "Jocko" zu geben (und zwar schon mindestens seit den 1950ern/1960ern). Mir zumindest erscheint es plausibler, dass der Name daher kommt und nicht von Michael Jackson...im übrigen ist ihr Beitrag mal wieder ein schönes Beispiel dafür, warum mir so manches an der taz und ihren Lesern wie Satire vorkommt...

  • AG
    Anton Gorodezky

    Insgesamt kommt mir in dem Artikel zu wenig zur Geltung, wer für das Trauma verantwortlich ist: die Terroristen nämlich, und nicht etwa die Bundesrepublik. Das gilt auch dann, wenn man der Bundesrepublik vorwirft, nicht sofort die Forderungen der Geiselnehmer erfüllt zu haben. Außerdem gab es handfeste Gründe dafür, den Terroristen nicht nachzugeben, denn wenn erstmal publik wird, dass so ein Verhalten erfolgreich ist, versuchen es schnell andere. Mit diesem Problem haben Reedereien zum Beispiel zu kämpfen. Wäre jedem Terroristen oder Piraten von Anfang an klar, dass er sein "Lösegeld" in Blei bezahlt bekommt, würden das wohl nur noch Verrückte machen.

     

    @Alltagsrassismus

    Die Protagonistin war zum Zeitpunkt des Geschehens 8, in Worten: acht(!) Jahre alt. Durchaus möglich, dass sie von Michael Jackson noch nie gehört hatte und ganz davon abgesehen ist es in diesem Alter wohl eher ein Zeichen der Zuneigung, sein liebstes Stofftier nach einem Sänger zu benennen als Rassismus. Aber wieso lasse ich mich eigentlich so trollen?

  • M
    Marco

    @alltagsrassismus:

    der spitzname "wacko jacko" wurde michael jackson laut wikipedia erst in den 80ern von der yellow press "verliehen" - inwiefern der spitzname "lacko" schon vorher verwendung fand kann ich leider nicht beurteilen.

    den bezug zwischen dem spitznamen eines stofftieraffens und dem sänger stellen sie allerdings selbst her. ich wage zu bezweifeln, dass ein kleines mädchen bei der benennung vorher alle namen auf evtl vorhandene herabwürdigende tendenzen überprüft. traurig, dass ihre fanatische suche nach "political-incorrectness" zu einer herabwürdigung des opfers eines terror-angriffs führt

  • T
    tommy

    Interessanter Artikel, der teilweise auch sehr berührend (etwa in der Schilderung von Frau Coldeweys Eltern) ist. Das Desinteresse am Leid der Geiseln ist verstörend, aber leider nicht überraschend, ist es doch die übliche Reaktion nicht nur gegenüber Opfern von Gewalt, sondern auch auch allgemeiner bei menschlichem Leid. Bei der Landshut-Entfürhung kommt zudem wohl bei manchen noch ein fehlgeleitetes Verständnis für die Täter hinzu, die ja angeblich aufgrund ihrer eigenen Lebenserfahrung keine andere Wahl gehabt hätten.

    @ FreePalestine:

    Soll Ihr Artikel Satire sein oder meinen Sie das ernst?

  • A
    asta

    Vielen Dank für den Artikel.

     

    Ich denke allerdings nicht, dass der Staat verpflicht war, Geldleistungen an die befreiten Geiseln zu erbringen.

     

    Bei den Zahlungen an den somalischen Staat dürfte es sich im Übrigen wohl um die Gegenleistung zur Zustimmung der dortigen Regierung zum dt. Polizeieinsatz handeln.

  • A
    Alltagsrassismus

    Wer nennt einen Stoffaffen "Jacko"? Zur Erinnerung: 1977 war "Jacko" bereits ein bekannter Sänger. Gibt sympathischere Opfer.

    • Gaby Coldewey , Autorin , Redakteurin
      @Alltagsrassismus:

      :-) Was für ein blödsinniger Kommentar.

      Michael Jackson wurde 1982 durch sein Album Thriller in Deutschland bekannt. Als ich das Stofftier 1973 bekam, war der Mann gerade mal 15. Das Stofftier ist von Steiff, das damals alle seine Spielzeugtiere benannte. Affen hießen irgendwas mit "J". Und weil ich meine 8 Spielzeugaffen nicht alle "Jocko" nennen wollte, musste das halt variiert werden. Wie man das dann so macht als Vorschulkind.

  • DW
    Dirk Wilutzky

    Ja, Danke. - Ich hoffe und wünsche Ihnen und vielen anderen, dass in Zukunft mehr Menschen zuhören werden. (Und Glückwunsch zu Ihren Eltern.)

  • C
    chris

    verstörend. bewegend. berührend.

    danke für den artikel! scham über die damalige regierung. mitgefühl für die opfer, die kinder. gut, dass der affe nicht im flugzeug bleiben musste.

  • N
    Noske

    Der Artikel beschreibt treffend die traurige Wahrheit.

    Als das alles passierte,studierte ich noch.

    Mehr als einmal wurde ich dafür gerüffelt,als ich

    mich für Entschädigung und Beistand für die Opfer

    aussprach .Beschimpft wurde ich geradezu,weil ich Baader - Meinhofbande sagte statt BM- Gruppe ,die "stand für höhere ,edle Ziele" ................. .

  • J
    Jimbo

    Dass die befreiten Opfer keine nachgehende Unterstützung bekamen, ist jämmerlich. Dennoch war es gut und richtig, die Geiseln durch beherztes Eingreifen zu befreien.

  • V
    vic

    @ Fakten,

    Thema verfehlt; was für ein Quatsch.

     

    @ Karin Doof,

    der Name passt.

     

    @ Gaby Coldewey,

    das muss schrecklich gesen sein. Die Regierung war leider viel zu besoffen vor Glück nicht erpressbar zu sein, um an das Nächstliegende zu denken.

    Am Ende nur Helden.

  • H
    Harald

    Ein realistisches Sittengemälde der damaligen Zeit im üblichen Umgang mit Kindern und mit Opfern von Verbrechen.

     

    Interessant zu erfahren, daß Helmut Schmidt sich bis heute diesbezüglich hauptsächlich in staatstragendem Selbstmitleid ergeht.

     

     

    @ sick palestine

     

    Danke für deinen widerwärtigen Kommentar des Hasses und der Unmenschlichkeit. So können sich die Jüngeren auch heute ein aktuelles Bild einer enthemmten Todesideologie machen die vorgibt, eine Volksbefreiungsbewegung zu sein. Und nichts anders als eine Vereinigung von mordgierigen Folterknechten ist.

  • R
    Rizo

    @ Karin Doof:

    @ Free Palestine:

     

    https://images.encyclopediadramatica.se/f/fd/Picard-no-facepalm.jpg

     

    Kein weiterer Kommentar zu Ihren Postings. Soviel Dummheit macht tatsächlich sprachlos.

  • R
    Roger

    Danke für den Artikel. Klasse.

  • R
    Robert

    Ja, besten Dank für Ihren Artikel!

  • F
    FaktenStattFiktion

    Vieleicht hätte die Bundesregierung die Entschädigung von den Summen abziehen können, welche die sog. Palestinenserorganisationen Jahr für Jahr erhalten um dafür improvisierte Raketen und Bomben zu produzieren.

     

    Alternativ könnte die Terroristen Souhaila Andrawes zahlen, welche sich in Norwegen aufhält und für Mord und Terror nur für drei Jahre absitzen musste.

  • A
    Andreas

    Ein toller Artikel - sehr emotional geschrieben. Besten Dank.

  • S
    Stefan

    Vielen Dank für den Artikel!!!

  • FP
    Free Palestine

    Das Buch ist doch nichts als Propaganda gegen Palästina, bezahlt durch "Israel"! Für mich sind diese Freiheitskämpfer die damals Mittäter ermordet haben Helden. Die RAF sowie die Palästinenser haben für die Freiheit gekämpft, "Israel" für die Unterdrückung. Bei der Landshut-Entführung hat Deutschland durch die Befreiung massiv gegen internationales Recht verstoßen. Genau wie auch ein Jahr vorher "Israel" bei der Befreiung einer Maschine in Entebbe. Und wurden die damals zur Verantwortung gezogen? Nein! Ein Skandal ist das. Aber lieber Linke sowie Palästinenser kriminalisieren...

  • P
    p3t3r

    da sieht mensch das vater staat ja voll versagt hat

     

    und ein helmut schmidt das allerletzte ist

  • KD
    Kim-Sascha Decker

    Ein sehr guter Artikel, vielen Dank dafür.

  • F
    Frank

    Danke für diesen Artikel, für mich als 1982 in der DDR geborener Deutscher ist dies ein Einblick in die jüngste Geschichte die einem leider meist verborgen bleibt!

  • AF
    A. Franke

    Ein eindrücklicher Bericht, der außerdem aufzeigt, dass die einzelnen Menschen im politischen Geschehen keine Rolle spielen. Unglaublich, mit welcher Hartleibigkeit Politiker das reale Leid der Opfer ignorieren, ihre Gefährdung aus Staatsräson-Gründen in Kauf nehmen und sich nicht mal zu einem Wort der Anteilnahme aufraffen können.

    Ähnliches und Schlimmeres (weil sie noch selbst verdächtigt wurden!) mussten ja auch die Opfer der NSU-Morde erleben.

     

    Bei diesem Schweigen gegenüber den Opfern von Seiten der Mitmenschen fällt mir immer die Parzival-Geschichte ein, die gewiss wie die griechischen Sagen ein tiefes psychologisches Wissen verkörpert!

    http://de.wikipedia.org/wiki/Parzival#Parzivals_Versagen_in_der_Gralsburg_.E2.80.93_Aufnahme_in_die_Tafelrunde_.28Buch_V.E2.80.93VI.29

    Die Suche nach dem Gral.

    Zitat daraus:

    "Und am Ende bekommt Parzival vom Burgherrn dann noch dessen eigenes kostbares Schwert geschenkt – ein letzter Versuch, den schweigsamen Ritter zu einer Nachfrage zu ermuntern, mit der er, nach Auskunft des Erzählers, den siechen König erlöst hätte. Wie er es von Gurnemanz als höfisch angemessenes Benehmen eingeschärft bekommen hatte, unterdrückt Parzival auch jetzt jede Frage im Zusammenhang mit den Leiden seines Gastgebers [....]

    Als er Sigune gegenüber zugeben muss, dass er nicht zu einer einzigen MITLEIDIGEN Frage fähig war, spricht sie ihm alle Ehre ab, nennt ihn einen Verfluchten und verweigert jeden weiteren Kontakt."

  • H
    HamburgerX

    Sehr interessanter und aufwühlender Bericht.

     

    Erfolgt das Nicht-Nachfragen-Wollen vielleicht aus einem Akt der Rücksichtnahme? Wenn ich eine ehemalige Geisel treffen würde, wäre ich sicher sehr neugierig auf ihre Schilderungen, hätte aber wohl Hemmungen nachzubohren, da ich davon ausgehen, dass die-/derjenige damit irgendwie "abgeschlossen" hat und das daher ungern ausführlicher zum Gesprächsthema macht.

     

    Die Mörder-/Entführer trugen übrigens "Che Guevara"-Shirts. Es würde mich interessieren, ob die Betroffenen auch darauf mit Panik oder Abwehrreaktionen reagieren, denn diese fragwürdigen Motive sieht man heute noch manchmal im Stadtbild.