Todesnacht von Stammheim: Neue Ermittlungen gefordert
Der Bruder von Gudrun Ensslin verlangt, dass die „Todesnacht von Stammheim“ noch einmal aufgearbeitet wird. Die Linkenpolitikerin Ulla Jelpke unterstützt ihn.
BERLIN dapd | Der Bruder der in Stammheim ums Leben gekommenen Gudrun Ensslin, Gottfried Ensslin, sowie der Buchautor Helge Lehmann fordern eine Wiederaufnahme des sogenannten RAF-Todesermittlungsverfahrens. Beide kündigten am Donnerstag in Berlin einen entsprechenden Antrag bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart an. Unterstützt werden sie von der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke.
Hintergrund sind die Ereignisse um die RAF-Mitglieder Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, die nach bisherigen Ermittlungsergebnissen im Jahre 1977 im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim Selbstmord begingen. Die Antragsteller zweifeln dies jedoch unter Verweis auf neue Indizien an. Die „Ermittlungsrichtung“ sei seinerzeit „von vornherein einseitig festgelegt“ worden, lautet ihr Vorwurf.
„Akteure in Politik und Justiz waren in der Nazizeit sozialisiert worden und handelten als Männerbünde im Geist der Schützengräben des Zweiten Weltkriegs“, sagte Gottfried Ensslin und fügte hinzu: „Vielleicht gibt es in der heutigen Generation von Juristen im Staatsdienst Personen, die bereit sind, staatliche Vorgänge kritisch zu untersuchen.“
Staatliche Beteiligung nicht ausgeschlossen
Gottfried Ensslins Vorstoß ist nach eigenen Angaben insbesondere eine Reaktion auf das 2011 erschienene Buch „Die Todesnacht von Stammheim“. Der Autor Helge Lehmann behauptet, er habe nach sechsjähriger Recherche Indizien gefunden, „die die offizielle Darstellung teilweise ins Wanken bringen“. Es sei ihm daher selbst ein Anliegen gewesen, „diese Fragen offiziell in dem Antrag zu formulieren“.
Die Abgeordnete Ulla Jelpke stellte sich ausdrücklich hinter den Vorstoß. Sie verwies darauf, dass schon damals die RAF-Anwälte Otto Schily und Hans-Christian Ströbele eine „staatliche Beteiligung“ an den Selbstmorden „nicht ausgeschlossen“ hätten. Es sei auch dreißig Jahre später „nur ein Teil der Akten“ geöffnet worden, kritisierte Jelpke.
Am Morgen des 18. Oktober 1977 waren die RAF-Häftlinge Baader und Ensslin tot in ihren Zellen gefunden worden. Raspe starb wenig später im Krankenhaus. Die benutzten Pistolen sollen nach bisherigen Erkenntnissen eingeschmuggelt worden sein.
Die Vorgeschichte zur „Todesnacht von Stammheim“ ist die Befreiung der Geiseln aus der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu. Palästinensische Terroristen hatten mit der Entführung der „Landshut“ die RAF-Gefangenen freipressen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!