Dickmacher Steviaprodukte: Von wegen keine Kalorien
Wer keinen Zucker will, greift gerne zu Produkten mit Süße aus der Stevia-Pflanze. Die Hersteller mischen jedoch oft Kristallzucker dazu.
BERLIN taz | Lebensmittel mit dem Süßstoff Stevia enthalten oft auch Zucker – anders als viele Verbraucher erwarten und manche Hersteller auf ihren Verpackungen suggerieren. Dabei liegen die Vorteile von Stevia auf der Hand: Im Gegensatz zu Zucker enthalten Süßstoffe aus der vergleichsweise gesunden Pflanze keine Kalorien. Zudem erzeugen sie keine Karies.
Die in der EU seit 2011 zugelassenen Stoffe mit dem Namen Steviolglykoside könnten dazu beitragen, die Gesundheit von Millionen Menschen zu verbessern. Schließlich sind in Deutschland dem staatlichen Robert-Koch-Institut zufolge 66 Prozent der Männer und 51 Prozent der Frauen übergewichtig. Und nur weniger als ein Prozent aller Erwachsenen haben ein kariesfreies Gebiss.
Doch auch, wer Steviaprodukte kauft, hat oft den potenziellen Dickmacher und kariesverursachenden Zucker auf dem Teller. Die Süße in Leichte Früchte Stevia Erdbeere von Zentis zum Beispiel stammt zu weniger als 10 Prozent aus Stevia, schreibt die Zeitschrift test in ihrer aktuellen Ausgabe. Der Rest kommt aus Kristall- und dem potenziell ebenso schädlichen Fruchtzucker – insgesamt 36 Gramm auf 100 Gramm Konfitüre. Das verrät Zentis dem Konsumenten aber erst auf der Packungsrückseite. Vorne steht nur „Stevia“.
Auch Mövenpick verschweigt den „bösen“ Zucker auf der Vorderseite seines Fertiggetränks Caffè Colombia Freddo – und schreibt dort nur „mit Stevia gesüßt“. Tatsächlich ist Stevia erneut nur für 10 Prozent der Süße des Produkts verantwortlich. Zusätzlich ist es mit zuckerhaltigem Agavensirup gesüßt: Ein 190-Milliliter-Becher enthält 14 Gramm Zucker. Wer nicht genau hinguckt, wird von diesen Etiketten getäuscht.
Von wegen Natur pur
Schon die Bezeichnung „Stevia“ ist irreführend. Manche Hersteller bilden daneben ein Blatt der Steviapflanze ab oder schreiben dazu „natürlicher Genuss“ oder „rein pflanzlich gesüßt“. Das soll zeigen: Der Süßstoff ist im Gegensatz zu anderen Zuckerersatzmitteln Natur pur.
Doch in Wirklichkeit handelt es sich um den Stoff Steviolglykosid, der aus der Pflanze gewonnen wird – in einem komplexen chemischen Verfahren. Die Blätter werden „unter anderem mit Absorberharzen entfärbt und mit Ionenaustauschern entsalzt“, schreibt test. Ergebnis ist ein weißes Pulver, das als Zusatzstoff gilt und auf der Verpackung mit der Nummer E960 angegeben werden muss.
Die Hersteller weisen den Vorwurf der Verbrauchertäuschung zurück. Die Zutaten würden „an prominenter Stelle im oberen Bereich des Rückenetiketts ausgewiesen“, schreibt Zentis der taz. Mövenpick verteidigt sich damit, dass der Zucker in seinem Kaffeeprodukt „hauptsächlich aus der Milch“ komme – aber eben auch aus Agavensirup. Dass die Steviolglycoside nur auf der Verpackungsrückseite erschienen, „entspricht den deutschen Richtlinien“.
Stevia mit bitteren Nachgeschmack
Geschmacklich sind die Stevia-Produkte gewöhnungsbedürftig. „Oft haben sie einen leicht bitteren Nachgeschmack, hinterlassen auf der Zunge ein stumpfes, belegendes Gefühl“, berichten die Testpersonen der Stiftung Warentest. Das kennt man von rein künstlichen Süßstoffen. Und das ist wohl auch der Grund, weshalb die Hersteller Stevia meist mit Kristall- oder anderem Zucker mischen.
Dennoch haben Stevia-Lebensmittel Vorteile: Selbst wenn sie Zucker enthalten, haben sie weniger davon als herkömmliche Vergleichsprodukte. Die Zentis-Konfitüre zum Beispiel weist laut test etwa ein Drittel weniger auf als normale Konfitüren. Die 16 getesteten Nahrungsmittel „sparen tendenziell ein Viertel bis die Hälfte an Kalorien ein“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Die US-Wahl auf taz.de
Die Rückkehr des Donald Trump
Geopolitik der US-Wahlen
Am Ende der alten Welt
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?