Konflikt um Ostseetunnel: Affenquatsch am Fehmarnbelt
Bei der Trassenplanung in Schleswig-Holstein kämpfen Bürgerinitiativen gegeneinander und gemeinsam gegen den Bundesverkehrsminister.
HAMBURG taz | Heute Abend wird es munter hergehen in Oldenburg / Holstein. Ab 17 Uhr tagt das „Dialogforum Feste Fehmarnbeltquerung“ in der Kleinstadt kurz vor der Ostseeinsel Fehmarn.
Auf der Tagesordnung dieses Runden Tisches, der ein „Fehmarn 21“ wegmoderieren soll, steht das strittigste aller Themen: Die Schienentrassen zwischen Lübeck und Fehmarn für die Fern- und vor allem Güterzüge sollen festgelegt werden, die nach Fertigstellung eines Tunnels unter dem Fehmarnbelt erwartet oder befürchtet werden. Etwa 168 Züge sollen dann tags und nachts über die Gleise donnern, die Hälfte davon werden Güterzüge sein, bis zu 800 Meter lang und entsprechend laut.
In einem Raumordnungsverfahren hat die Deutsche Bahn die gut 80 Kilometer lange Strecke untersuchen lassen. 18 Gutachten wurden erstellt, alles in allem locker 2.000 Seiten voller Statistiken, Berechnungen und Karten. Mehrere Trassenvarianten wurden geprüft, für jeden Streckenkilometer schalltechnische Untersuchungen erarbeitet, Sondergutachten zur Agrarstruktur und Hydrogeologie angefertigt, und die Auswirkungen der Trassen auf die Entwicklung der Ortschaften und vor allem auf den Tourismus in den Seebädern untersucht. Das Ergebnis sorgt für neuen Streit – zwischen den Gemeinden und den bislang verbündeten Bürgerinitiativen.
Denn die „gesamtplanerische Trassenempfehlung“ der Gutachterbüros lautet, die jetzige Bahnstrecke zwischen Lübeck und dem Fährhafen Puttgarden auf Fehmarn im Wesentlichen beizubehalten. Lediglich bei den Badeorten Haffkrug und Sierksdorf solle die Strecke weiter von den Stränden weg ins Landesinnere verlegt werden, hinzu kommen neue Umfahrungen der Städte Neustadt und Oldenburg.
Würde die Trasse noch weiter nach Westen parallel zur Autobahn A 1 verlegt, würden in den Ostseebädern die Fahrgastzahlen um bis zu 50 Prozent sinken, prognostizieren die Gutachter. Zudem müssten Shuttle-Busse vom Strand zu den dann bis zu vier Kilometern entfernten neuen Bahnhöfen eingerichtet werden. Deshalb solle besser die existierende Strecke durch die Badeorte um ein zweites Gleis erweitert und mit Lärmschutzwänden abgeschirmt werden.
Grundlage für die Fehmarnbelt-Querung ist der deutsch-dänische Staatsvertrag von 2008.
Strecke: Die etwa 19 Kilometer breite Meeresstraße zwischen Fehmarn und der dänischen Insel Lolland soll für eine vierspurige Autobahn und zwei Bahngleise untertunnelt werden.
Kosten: Für den Tunnel mindestens 5,5 Milliarden Euro plus 1,2 Milliarden Euro für Straßen und Schienen in Dänemark.
Refinanzierung: Das alles will Dänemark bezahlen und in 39 Jahren aus der Maut amortisieren.
Hinterland: Deutschland muss Schienen und Straßen auf eigene Kosten ausbauen. Dafür werden 900 Millionen Euro veranschlagt.
Das aber wollen die Verantwortlichen und die Bürgerinitiativen in den Bädern nicht, die um ihre wirtschaftliche Grundlage – den Tourismus – fürchten. Sie fordern die Beibehaltung der einspurigen Strecke und zusätzlich eine neue Trasse neben der Autobahn für die Güterzüge.
Das aber spaltet jetzt den Widerstand. Kämpften bislang etwa ein Dutzend Initiativen zwischen Fehmarn und Hamburg-Rahlstedt gegen die Fehmarnbelt-Querung, schieben sie sich nun bei der Trassenplanung gegenseitig den Schwarzen Peter zu.
Besonders deftig ist die Wortwahl in Ratekau, bei Lübeck. „Unverfroren“ sei die Forderung aus den Seebädern, die Trasse an die Autobahn und damit nahe an den Ratekauer Ortsrand zu verlegen. „Die Masken sind gefallen“, sagt Kerstin Fischer, Sprecherin der Initiative „Ratekau wehrt sich – keine Güterzüge durch unsere Gemeinde“. Da kämen jetzt „Ostseeschützer aus ihren Badeorten gekrochen“ und versuchten, „ganz ungeniert den Dreck, den sie vor ihrer eigenen Tür nicht haben wollen, anderen vor die Nase zu schieben“, so Fischer.
Das kann eine lebhafte Debatte werden heute Abend im Dialogforum, in dem auch vier VertreterInnen der Bürgerinitiativen sitzen. Es wurde vor einem Jahr von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und dem damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) als Lehre aus „Stuttgart 21“ erfunden, geleitet wird es vom ehemaligen deutschen Botschafter in Dänemark, Christoph Jessen.
„Wir wollen Betroffene zu Beteiligten machen“,sagte Ramsauer im Juni 2011. Carstensen hatte den Bürgern versichert, sie könnten „sprechen, worüber Sie wollen – aber der Bau der Querung steht nicht zur Disposition“. Für Fischer ist das Dialogforum deshalb „nur eine Veranstaltung zur Ruhigstellung der Kritiker“.
Neue Einigkeit hat Ramsauer jetzt provoziert. Vorige Woche pöbelte er in einem Wutanfall vor dem CDU-Wirtschaftsrat in Berlin über den „Affenquatsch“, mit dem er sich am Fehmarnbelt herumärgern müsse. Ein Teilnehmer der vertraulichen Runde plauderte das aus. Mit der Folge, dass der Bayer im Norden Sympathien eingebüßt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Antisemitismus-Resolution im Bundestag
Kritik an Antisemitismus-Resolution
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz