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Das SchlaglochDie Welt als Bahre

Kolumne
von Kerstin Decker

Ist die gewerbliche Suzidhilfe ein legitimes Geschäft oder eine Straftat? Warum die FDP niemals Friedrich Nietzsche verstehen wird.

Die FDP will verhindern, dass aus der Verzweifelung von Menschen ein Geschäftsmodell wird. Bild: dpa

V iele sterben zu spät, und Einige sterben zu früh. Noch klingt fremd die Lehre: ,Stirb zur rechten Zeit!‘ “

So beginnt das Kapitel „Vom freien Tode“ in Friedrich Nietzsches „Zarathustra“. Was will dieser Autor uns sagen? Er kann noch deutlicher werden: „Viel zu Viele leben und viel zu lange hängen sie an ihren Ästen. Möchte ein Sturm kommen, der all dies Faule und Wurmfressne vom Baume schüttelt!“

Es ist kaum jemand denkbar, der von der mittleren Geisteslage der Gegenwart weiter entfernt wäre als dieser irgendwie noch immer populärste Philosoph, der allem, was wir human nennen, so offen ins Gesicht zu schlagen scheint.

Bild: Wolfgang Borrs
Kerstin Decker

,50, ist promovierte Philosophin und lebt als freie Autorin in Berlin. Gerade ist ihr neues Buch „Nietzsche und Wagner. Geschichte einer Hassliebe" im Propyläen Verlag erschienen (416 Seiten, 19,99 Euro, als E-Book 16,99 Euro).

Den dunkelsten aller möglichen Sonntage im Rücken, den Totensonntag, debattiert der Bundestag morgen den „Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begründete ihn so: „Als Erwerbsmodell würde Suizidhilfe sonst zur gewöhnlichen, auf Ausdehnung angelegten ’Dienstleistung‘, die Menschen dazu verleiten kann, sich das Leben zu nehmen, obwohl sie das sonst vielleicht nicht getan hätten.“ Es klingt nicht gerade wie ein FDP-Satz.

Infantile FDP-Sätze

In FDP-Sätzen sind Menschen nicht Verleitbare, sondern selbstbestimmte Verteidiger der eigenen Freiheit, das gibt der FDP-Prosa ihren mittleren illusionär-infantil-heroischen Charakter. Aber vielleicht hat die Justizministerin hier nur unglücklich formuliert?

Die Entscheidung über das eigene Ende ist größer als jeder Einzelne, darum kann nur er darüber befinden, auch als Verleitbarer. Hört sich an wie ein Paradox. Ist ein Paradox. Paradoxe lassen sich rechtlich schwer regeln, diese Erfahrung musste auch die Justizministerin machen.

Zu verhindern, dass aus der Verzweiflung von Menschen ein Geschäftsmodell wird, ist wahrscheinlich eine gute Absicht. Aber wie es unter Strafe stellen? „Als abstrakt das Leben gefährdende Handlung“, sagt der Gesetzesentwurf. Wer einmal zu regeln beginnt, muss weitermachen, der muss auch an die möglichen Begleiter des – sagen wir – Verleitbaren denken, weshalb ein zweiter Absatz eingefügt wurde:

„Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen, die sich lediglich als nicht gewerbsmäßig handelnde Teilnehmer an der Tat beteiligen“, sollen straffrei bleiben. Die Formulierung löste Entrüstung aus. Und wäre eine ehrenamtliche Förderung der Selbsttötung unbedenklich, wenn die gewerbsmäßige strafbar ist?

Skeptiker meinen gar, Leutheusser-Schnarrenberger wolle den assistierten Suizid gesellschaftsfähig machen. Es wird nicht einfach sein morgen im Bundestag, aber eines zeigt schon die Debatte im Vorfeld der Debatte: Diese Gesellschaft, die die Autonomie des Menschen als absoluten Wert betrachtet, kommt in schwere Verlegenheit, wo sie den Punkt berührt, wo alle Autonomie endet. Sie umstellt ihn mit Bürokratie, mit Paragrafen. Ob noch jemand wagt, ohne Patientenverfügung zu sterben?

Nietzsches Hohn

Wahrscheinlich hätte Nietzsche nur Hohn für uns gehabt. Dabei war er gewissermaßen der Erste, der erkannte, dass ein selbstbestimmtes Leben das Problem eines selbstbestimmten Todes einschließt. Dass wir nicht mehr Selbstmord sagen – oder doch, wir sagen es noch, meinen aber nicht „Mord“ –, geht nicht zuletzt auf ihn zurück. Ebenso, dass wir das neue Wort dafür haben, das die Freiheit in den Tod hineinnimmt: Freitod. Das „Zarathustra“-Kapitel heißt „Vom freien Tode“.

„Viele sterben zu spät …“ Wer das liest, erfriert leicht von innen, möchte Einspruch erheben. Dem Autor selbst ging es wohl nicht anders. Vielleicht ist es nicht unwichtig, dass Friedrich Nietzsche keineswegs wusste, ob er sich selbst überstehen würde, als er diese Sätze zum Jahresbeginn 1883 schrieb. Sie stammen gewissermaßen von einem Selbstmordkandidaten.

Die bloße Tatsache, dass es uns gibt, spricht noch nicht für uns, glaubte er. Vielleicht versteht man einen Menschen am besten aus dem, was ihn am meisten aufbringt. Und das war in Nietzsches Fall die Angewohnheit der meisten, mehr oder weniger aus Gewohnheit zu existieren. Daher seine spezifische Grausamkeit: „Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der zur rechten Zeit sterben?“

Ihm ging es um das Recht aufs Leben, nicht um das aufs Sterben. Aber das ist nicht der einzige Unterschied zwischen Nietzsche und Leutheusser-Schnarrenberger. Hier geht es um Gesetzgebung, dort um Selbstgesetzgebung. Das ist kein geringer Unterschied. Erstaunlich ist nur, dass uns Gesetzgebung vollkommen plausibel ist, Selbstgesetzgebung aber nicht.

Suizidgedanken als Krankheit

Von der Warte der Kirchen her gesehen liegt die Sache klar. Der Mensch hat sein Leben von Gott, also kann er nicht darüber verfügen. Punkt. Aus. Vielleicht ist es gar nicht so, dass moderne Nervensysteme religiös unbedürftiger geworden sind, aber gegen die Anwesenheit Gottes, dieses unbewiesenen Stücks Metaphysik in Aussagen über die Welt, sind sie empfindlich. Und wie stellt sich der Wunsch nach einem vorverlegten Lebensende den metaphysisch Obdachlosen inklusive der Justizministerin dar?

Als Krankheitssymptom. Wer aus dem Leben gehen will, ist entweder physisch oder psychisch schwer krank. Also nicht mehr wirklich frei in seinen Entscheidungen. Aber beinhaltet diese Annahme nicht eine maßlose Überschätzung unseres gewöhnlichen Wählens zwischen zwei Übeln?

In der letzten Woche hatte am Berliner Deutschen Theater eine Shakespeare-Collage von Dimiter Gotscheff Premiere, das war ein übermütiger Todestanz. Die Anlässe, bei denen Menschen sich bewusst werden, dass sie existieren, können ganz verschieden sein.

Große Dichter erkennt man auch daran, dass sie solche Bestürzungen provozieren können: „Die Welt hat keinen anderen Ausgang als die Bahre.“ Das ist mehr als eine Behauptung der Endlichkeit. Heißt das also: Wir, die Nochlebendigen, sind die eigentlich Inhaftierten? Ob die FDP es schon einmal so gesehen hat? Und was Nietzsche betrifft: Ist ein Mensch denkbar, der den Zeitpunkt der letzten Selbstbestimmung furchtbarer verpasst hätte?

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8 Kommentare

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  • T
    tazitus

    Bahr heißt er, nicht Bahre. Der Gesundheitsverweser der FDP. Es geht (nicht im Text von Frau Decker) darum, dem SchauderBAHRen den Schauder zu nehmen, damit wir uns an das "sozial verträgliche Frühableben" langsam gewöhnen. Und uns schämen, wenn wir zu lang verweilen

  • L
    lowandorder

    Licht am Ende des Tunnels? Es geht ja auf Weihnachten.

    Try it again.

     

     

    Frau Decker und die Hohlwelttheorie.

    Aber der Reihe nach.

     

    " Ob jemand noch wagt, ohne Patientenverfügung zu sterben?"

     

    Tja , so isset - FDP, Nietzsche hin oder her :

    Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare!

    Und in Abwandlung des flapsig-weisen Rates: " Gute Verträge erhalten die Freundschaft" - gilt vor der Bahre: Patientenverfügung und ab dafür!

    Besser ist das.

    Denn wer weiß, in welchem 'christlichen' Hospiz du kurz vorm Sennsemann zufällig landest!?

    Die Verfügung " Pfoten wech" wirkt dann wie das " Kreuz" - nur andersrum!

     

    Und das rechtliche Einhegen eines Paradox?

    Der Strafrechtssatz in der Goedel'schen Welt der UNENTSCHEIDBAREN SÄTZE?!

    Das kann dann nur scheitern!

     

    Scheitern an der Verfassungsanforderung nulla poena sine lege!

    Und so isses ja auch :

    „Als abstrakt das Leben gefährdende Handlung“

    und

    „Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen, die sich lediglich als nicht gewerbsmäßig handelnde Teilnehmer an der Tat beteiligen“, (sollen straffrei bleiben).

    Ja - da lacht der Kleingärtner!

     

    Ein Gesetz ist zwar auslegungsfähig, doch gilt m Strafrecht - strenger als anderwo - das Analogieverbot und spätestens die Richter müssen EINE Entscheidung treffen. Was aber …s.o. !

     

    Der Rechtsbegriff " gewerbsmäßig" löst zudem ja nicht nur vs " ehrenamtlich" eine feine Debatte aus, sondern weckt Reminiszenzen an kontaminierte (frühere) Verwendungen dieses Begriffs.

     

    Nein, ich meine nicht " gewerbsmäßige Unzucht" - das interessiert heute nur noch die Steuer.

     

    Nein, die 'mißbräuchliche' gewerbsmäßige Rechtsberatung.

    Das passende Gesetz hieß ursprünglich - bis 1964 - denn auch Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz.

    Und diente der endgültigen, vor der finalen - Ausgrenzung jüdischer Juristen im Dritten Reich - und deren Denunziation!

    (Wie frech in seiner Nachwirkung noch heute dort Ausgrenzung staatlich daherkommen kann, hat Kollege Helmut Kramer vorm Bundesverfassungsgericht 2004 nochmals erfolgreich deutlich gemacht.

    Danke, alte Hütte!)

     

    Und da - obwohl die FDP ja längst unter Freiheit nur noch die wirtschaftliche versteht - wird diese Partei bilderbuchartig Opfer ihrer eigenen Sinnleere und es zeigt sich: "überflüssig wie ein Kropf!"

     

    Denn bitte, aus welchem Grunde soll einen freien Menschen staatliche Gewalt daran hindern dürfen, " Hand an sich zu legen"( Jean Améry ) und sich dazu einer gewerbsmäßig ausgeübten

    ' abstrakt das Leben gefährdenden Handlung' zu bedienen?

    Stümperei - auch gewebsmäßige - ala "… nasser Besen usw " brauch ich im Tod nicht! Punkt.

     

    Und Nietzsche und die Bahre angesichts der Decker'schen Hohlwelttheorie?

    Die einen sagen so, die andern sagen so.

  • L
    lowandorder

    Also sprach Zaratus.....Schweigen im Walde....Hängen im Schacht!

     

    Wie armselig ist das denn? Dodengeruch!

     

    polyphem hat schon recht:

    Oh.

    Rimbaud.

    ...

    Das einzig Wahre:

    "Die Welt als Bahre."

     

    Sic und Danke.anke.

  • MH
    Markus Hoffmann

    Ihre Nietzsche-Verehrung in allen Ehren, aber die ganze Argumentation mit Nietzsche geht doch völlig am Thema vorbei. Das Gesetz bestreitet doch gar nicht das "Recht" auf Suizid an sich, sondern will regeln, ob andere Personen dabei juristisch straffrei assistieren dürfen.

  • A
    Armin

    Stimmt schon, konsequenterweise müsste dort mehr Autonomie zugestanden werden. Immerhin ist Suizid selbst nicht mehr strafbar. Fakt ist aber auch, die meisten wollen gar nicht sterben, nur nicht mehr so leben. Sonst gäbe es die präsuizidalen Syndrome nicht, Hilferufe. Wahrscheinlich ist die Frage, wie man den Weg dahin verhindern kann, wichtiger als die der Legalisierung gewerbsmäßiger Hilfe.

    Nietzsche war eine Monade, und er wusste es.

    Aber gehen Sie mal zu Beerdigungen normalsterblicher Selbsttöter. Neben der üblichen Trauer finden Sie da oft noch Wut in den Gesichtern der Angehörigen, vorwurfsvolles Unverständnis. Lässt sich trefflich streiten über die Grenzen der Autonomie.

  • A
    anke

    Der AUSGANG der Welt ist die Bahre, nicht die Welt selbst, liebe Überschriften-Erfinder.

     

    Die Welt selbst hat noch nie jemanden nach einem verfrühten Abgang suchen lassen. Es waren und es sind fast immer die Vielen, die zu spät sterben – und vorher nach Kräften dafür sorgen, dass es ja keinem Anderen zu gut geht auf dieser Erde. Schade nur, dass es entschieden zu spät sein wird, wenn Frau Leutheusser-Schnarrenberger irgendwann kapiert, wofür genau sie da anno 2012 plädiert hat.

     

    Übrigens: Die "metaphysisch Obdachlosen" allesamt mit der Bundes-Justizministerin in einen Topf zu werfen, ist ziemlich unfair, finde ich. Und dass ausgerechnet für die Nicht-Gläubigen der Freitod ein Krankheitssymptom sein könnte, halte ich für eine bösartige Unterstellung. Gerade weil ich nicht jeden Einzelnen von ihnen kenne. Im Augenblick, will mir scheinen, gibt es jedenfalls kaum eine Religion, die weniger hinterfragt oder gar angezweifelt wird, als die der klinischen Psychologie. Schade, auch das.

     

    Ja, es ist ein Mensch denkbar, der den Zeitpunkt der letzten Selbstbestimmung furchtbarer verpasst hätte als Nietzsche. Der Mensch als solcher nämlich.

  • P
    polyphem

    Oh.

    Rimbaud.

  • J
    Jan

    Arthur RIMBAUD

     

    DENKEN WIRD DOCH AN DIE ALTEN GEDICHTE !

     

    Ich kann dazu nur schweigend Sagen

    wenn ... noch Fragen

    Hätte Frl. Bossong nicht die

    "Gegend" geschrieben

    wäre ich diesen Sommer überhaupt nicht mehr

    aufgestanden.

     

    Jetzt ende NOVEMBÄR

    gib's beim Nachtbarn endlich wieder die

    Gelegenheit

    Trecker zu Fahren

    und auf den Sommer zu hoffen

    So, daß €uropa

    nicht ums Leben gekommen sein wird

     

    Jan-Peter

     

    p.S.: der liberale Fallschirm war bzw. sollte sein?

    der HJmM

    p.p.s: kennen Sie (Ohrtechnisch) die "Strombolies"

    aus Norddeutschland ? Tolle Band aus Hambuch.