: Weiche Ideologien, harte Realität
DEBATTE Im Westen vielleicht bereits die Postdemokratie, im Osten Korruption und der Kampf um Freiräume. Im Deutschen Theater diskutierte man einen Tag lang über Tempo und Transformationen der Demokratie
VON HELMUT HÖGE
Die Demokratie findet heute vornehmlich auf der Straße und im Theater statt. Das Deutsche Theater hat dazu quasi ein Langzeitprojekt aufgelegt. Macht, Gewalt und Demokratie sind die drei zentralen Themen der neuen Spielzeit. Für eines der aktuellen Stücke, „Das Himbeerreich“, interviewte der Regisseur Andres Veiel „Spitzenbanker“, wobei deren Anwälte dann die Dramaturgie mitbestimmten. Ein weiteres Stück, „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, basiert auf einem Roman von Eugen Ruge, in dem über drei Generationen Exil, Gulag und Dissidenz thematisiert werden. Oder „Demokratie“, das in der Regie von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner die Brandt-Guillaume-Affäre in der BRD 1974 als musikalische Ost-Revue vorführt. Und um die „Urdemokratie“ geht es in „Ödipus Stadt“, in dem der Regisseur gleich vier antike Tragödien verarbeitete. „Das Volk hat nichts zu melden. So lautet das Fazit für unsere Gesellschaft, bezieht man Stephan Kimmigs Stück auf heute“, schrieb die taz.
Das wollte man dann aber schon genauer wissen am Deutschen Theater – und setzte einen Diskussionstag aufs Programm unter dem Motto: „Sagt mir das Volk jetzt, wie ich herrschen soll?“ Ein Ausruf von Kreon, König von Theben – in „Ödipus Stadt“.
Diesen „Tag über Tempo und Transformationen der Demokratie“ organisierte das Deutsche Theater als ein Public-private-Partnership-Event, indem es dabei mit der Allianz-Kulturstiftung zusammenarbeitete. „Kultur braucht Freiräume … und einen Partner, der sie schafft“, hieß dazu das Allianz-Motto. Den am Sonntag geladenden Gesprächsteilnehmern im Deutschen Theater ging es jedoch eher um politische Freiräume.
Die vom Demokratischen Aufbruch kommende DDR-Journalistin Daniela Dahn hatte deren Reduzierung seit 1989/90 bereits als einen „demokratischen Abbruch“ bezeichnet, für den sie den „unbezähmbaren Turbokapitalismus“ verantwortlich machte. Dass die „Demokratie überhaupt nur unter kapitalistischen Spielregeln funktioniert“, hält sie für ein „Ammenmärchen“.
Beteiligungsmöglichkeiten
Die nächsten Referenten, der Philosoph Christoph Menke und der Politologe Dirk Jörke, beschäftigte ebenfalls „die verlorene demokratische Zeit“. Einerseits werde der „politische Betrieb“ von „Sachzwängen, Krisen und Experten“ getrieben, andererseits weiche er „wichtigen Entscheidungen“ aus. Jörkes zentraler Begriff lautet „Postdemokratie“. Darin gebe es zwar neue Mitbestimmungsformen „wie Mediationsverfahren, Bürgerforen oder Konsensuskonferenzen“, diese „neuen Beteiligungsmöglichkeiten“ würden jedoch nur der „gut ausgebildeten Mittelschicht“ nützen, die dann auch eher „weiche Ideologien“ – wie Menschenrechte, Ökologie und etwa eine Frauenquote für Führungspositionen – favorisiere.
In anderen Räumen des Theaters unterhielten sich derweil Vertreter von Botschaften der EU-Länder über den Euro und die „europäische Demokratie“. Über Letzteres diskutierte auch der rumänische Autor Mircea Cartarescu mit dem FAZ-Osteuroparedakteur Reinhard Veser. „Wir leben in einer sehr mysteriösen Welt“, meint der Schriftsteller, der die „Poesie“ eher im Kleinen sucht – „sogar auf der Quittung meiner Reinigung“. Auf dem Podium ging es jedoch um die osteuropäischen Staaten und ihre Demokratiedefizite. Genannt wurden: „Korruption, soziale Ungleichheit, Nationalismus und Verklärung der Vergangenheit“, wobei man konzedierte, dass man das alles vom Westen aus vielleicht falsch sehe.
Der Gast aus Rumänien ging noch einen Schritt darüber hinaus: Rumänien entwickle sich zu einer Tyrannei. „Platon schrieb einst, dass die Demokratie direkt in eine Tyrannei führen kann, und genau das ist in unreifen Demokratien der Fall. Im aufgeblähten rumänischen Parlament und in der Regierung sitzen Kriminelle, denen man Korruption nachweisen kann. Und an der Spitze der Regierung steht ein nachweislicher Plagiator.“ Dass die Wähler auf all das nicht reagieren, ist für Cartarescu „der Beweis, wie unreif unsere Demokratie ist“.
Abschließend ging es am Abend schließlich um China, wobei gar nicht erst dessen Demokratiedefizite Thema waren, sondern gleich die gegen die Kommunistische Partei und ihren Staat um „Freiräume“ kämpfenden (Demokratie-)Bewegungen – seit der Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmenplatz 1989. Der exilierte Journalist Shi Ming hat darüber eine Dokumentation gedreht, er saß nun auf dem Podium.
Und offen blieb die Frage: Wie gelangen die im Theater aufgefächerten „Demokratiedefizite“ als Ansporn für Bewegung auf die Straße?
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