Publizist von Gehlen übers Urheberrecht: „Digitalisierung verflüssigt die Kultur“
„Eine neue Version ist verfügbar“: Der Publizist Dirk von Gehlen über Crowdfunding, die Verantwortung von Verlagen, Urheberrechte und die Einkünfte von Künstlern.
10.000 Euro für ihr Buch sind jüngst per Crowdfunding erzielt worden, und schon heißt es: Wir wollen jetzt 12.500 Euro. Warum brauchte es ein neues Ziel?
Auf Kickstarter, der Mutter aller Crowdfunding-Projekte, habe ich gesehen, dass erfolgreiche Projekte sich nach dem Erreichen ihrer Ziele neue Ziele setzen. Das wollte ich auch ausprobieren. Meine Grundfragen waren: Wie kann man Bücher anders schreiben? Wie kann man Kultur anders produzieren und finanzieren?
„Eine neue Version ist verfügbar“ ist ein Experiment, dabei sind neue Ziele nichts Unübliches. Das Versprechen war bisher: Ab 10.000 Euro bekommen die Unterstützer – sie unterstützen das Buch, indem sie es vorab kaufen – eine bessere Qualität beim Design. Als das Ziel erreicht war, habe ich gefragt, ob ich ein neues Ziel setzen soll. Die Nutzer wollten das. Wenn wir 12.500 Euro erreichen, bekommen alle Unterstützer zusätzlich eine Hörbuchversion.
„Eine neue Version ist verfügbar" ist ein Mitmachbuch. Was genau soll das sein?
Ich habe 2011 „Mashup“ veröffentlicht, ein Buch, das sich mit dem Urheberrecht und der digitalen Kopie beschäftigt. In der damals aufkochenden Urheberrechtsdebatte habe ich mir überlegt: Wir diskutieren über die digitale Kopie, also das verlustfreie Duplizieren von Inhalten, ständig aus einer Abwehrhaltung heraus. Aber gibt es da nicht auch Chancen? Mein neues Buch zielt auf eine dieser Chancen, die Chance Kultur als Software zu denken. Kultur soll nicht mehr ein fertiges Produkt sein, sondern – wie bei Wikipedia oder beim Webbrowser Firefox – in Versionen ausgeliefert werden.
Es geht nicht mehr um den einen Song, das eine Buch, den einen Film. Stattdessen kann der Entstehungsprozess mit in den Blick genommen werden. Dieser Prozess bringt einen unkopierbaren Moment mit sich, der dem Produkt einen weiteren Wert verleihen kann. Das ist meine netztheoretische These, und es ist nur konsequent, sie nicht nur zu behaupten, sondern sie ins Buch einfließen zu lassen. Nun freue ich mich, dass die Idee funktioniert hat und muss das Versprechen einlösen, so transparent wie möglich schreiben. Für die 300 Leute, die mich unterstützt haben, schreibe ich öffentlich.
Haben Sie keine Angst, dass ihre These von der Realität blamiert wird? Dass außer einer kleinen Community alle anderen sagen: Ich will das Buch, von allem anderen will ich gar nichts wissen.
Die Angst ist da, ja. Die Angst davor, dass das Projekt nicht funktioniert. Ich habe aber umgekehrt keine Lust mehr auf das ewige Lamento, das alles immer schlechter wird und Neues eh nicht funktioniert. In einer Experimentalphase müssen wir damit leben, dass Lösungen nicht immer schon Lösungen für alle sind.
Crowdfunding bietet Chancen, wie Sie betonen. Dennoch bleibt ein Unbehagen. Es ist ein reines Marktmodell: Mein Angebot wird nur bei entsprechender Nachfrage realisiert. Entlassen wir damit nicht die Verlage und Labels aus ihrer Verantwortung für ein umfassendes Programm?
Es gibt einen Kulturwandel und wir müssen uns dazu verhalten – ob wir das gut finden oder nicht. Als Journalisten, Autoren, Kreative müssen wir klarer als bisher erklären, warum unsere Produkte gekauft werden sollen. Ich möchte den Verlagen zeigen, dass es möglich ist. Das marktwirtschaftliche Problem sehe ich auch. Es besteht die Gefahr, dass sich Verlage ihrer Verantwortung für das große Ganze entledigen, wo – sagen wir – ein Titel von Kehlmann die Lyrik mitfinanziert. Crowdfunding kann ein Verlagsangebot nicht ersetzen, es ist nur eine Ergänzung.
ist Leiter „Social Media Innovation“ bei der Süddeutschen Zeitung und Redaktionsleiter von jetzt.de, den Jugendseiten der SZ. Er hat mehrere Lehraufträge (Uni Hohenheim, LMU München) und befasst sich seit Jahren mit der Digitalisierung und ihren Folgen. Im Jahr 2011 ist bei Suhrkamp sein Buch „Mashup - Lob der Kopie“ erschienen.
Sie haben mit dem Urheberrecht ein populäres Thema gefunden. Andere Themen, etwa Gedenkkultur in Konzentrationslagern, dürften es beim Crowdfunding weitaus schwerer haben.
Das Thema des Buches ist ein klarer Startvorteil. Doch um aus dem Startvorteil etwas zu machen, muss man die Community kennen. Wer soll mein Buch lesen und was genau interessiert die Leute? Daraus kann sich auch für kleine und abseitige Themen eine Finanzierung aus dem Netz ergeben. Es ist gar nicht so schwer, 10.000 Leute zu einem lokalen Thema zusammenzubringen. Aber ich bin nicht naiv. Einige Themen werden es schwerer haben als andere. Oft geht es gar nicht ums Thema, sondern um die Leute, die das Crowdfunding-Projekt unterstützen.
Da macht man sich doch nur von Prominenten, von den üblichen Verdächtigen abhängig und vernachlässigt auch noch die Themen, um die es geht.
Im digitalen Kontext sind es die immer gleichen üblichen Verdächtigen, ja. Ich habe aber die Hoffnung, dass Crowdfunding auch beim VFL Bochum funktionieren würde. Wir stehen erst am Anfang und müssen uns trauen, neue Wege zu gehen. Selbst wenn wir scheitern, lernen wir Dinge, die uns auf diesen Wegen weiterbringen. Ich glaube nicht daran, dass die alten Geschäftsmodelle funktionieren, bis ich in Rente gehe.
Journalismus und Crowdfunding – an welchen Stellen passt das zusammen und an welchen nicht?
„Eine neue Version ist verfügbar“ heißt Dirk von Gehlens neues Buch. Es soll im Jahr 2013 erscheinen. Derzeit wird auf der Crowdfunding-Plattform Startnext.de Geld für das Buch gesammelt bzw. für die unterschiedlichen Versionen, in denen „Eine neue Version ist verfügbar“ erscheinen wird. Denn genau darum geht es: Unterstützer des Projekts können bei der Publikation mitreden und eigene, unverwechselbare Versionen des Buches erwerben.
Bisher funktioniert Crowdfunding meist dort, wo es einen einzelnen Kreativen gibt, der eine Idee hat und Unterstützer sucht. Warum aber soll nicht ein Verlag sagen, ich stelle hier einen Journalisten, ein Ressort oder die Redaktion nach vorne, die präsentieren ein eng abgestecktes Vorhaben, und wir probieren nun aus, ob wir das finanziert bekommen.
Zur Sache: Urheberrecht! Welche Version des Urheberrechts ist derzeit verfügbar?
Verfügbar ist eine neue Version der Realität und das Urheberrecht ist da noch nicht angekommen. Als das Radio eingeführt wurde, gab es Menschen, die davon ausgingen, die dort ohne Bezahlung verbreitete Musik werde gestohlen. Heute gibt es Menschen, die denken, das Runterladen einer MP3-Datei ohne Bezahlung sei Diebstahl.
Wir müssen zu anderen Umgangsformen kommen und dafür braucht es ein anderes Urheberrecht. Zuerst einmal muss die Abmahnkultur weg, von der nur Juristen profitieren. Ebenso wichtig ist es aber den Entstehungsprozess statt des Endprodukts in den Blick zu nehmen. Denn dann ist der juristische Schutz des Endprodukts vielleicht gar nicht mehr so wichtig. Ein Konzerterlebnis lässt sich nicht mailen oder als Link verschicken. Die Digitalisierung verflüssigt die Kultur, und das derzeitige Urheberrecht reagiert darauf nicht angemessen.
Ist die Version des Urheberrechts, die gerade verfügbar ist, auch in fünf Jahren noch verfügbar? Bitte eine realistische Antwort, die sich mit Macht und nicht mit Hoffnung auseinandersetzt.
Die klassischen Lobbyverbände nehmen Einfluss, um ihre Interessen durchzusetzen. Als ich zuletzt im Bundestag war, wurde dort nur diskutiert, wie das Urheberrecht zu verschärfen sei. Die jetzige Version zu erhalten könnte auf eine zynische Art ein Erfolg sein, auch wenn jenseits des Bundestages viele seine Abschaffung fordern. Die Leute sehen nicht mehr ein, was da geschützt wird und wofür das Urheberrecht eigentlich da sein soll.
Hier kommt gerade der Musikredakteur rein, legt mir einen Zettel mit Fragen vor und mischt sich in die bestehende Version des Interviews ein. Nun gut: Wie halten Sie davon, dass derzeit beim Musikstreaming im Netz die Künstler kaum Geld bekommen?
Da geht es um die Neuausrichtung des Streamingportals Spotify. Das war eine große Rechtfertigung gegenüber den Künstlern, da hieß es sinngemäß: „Wir helfen doch euch zu finanzieren!“ Wir erleben nun einen großen Wechsel, weil man jahrelang gedacht hat, wenn es das Streaming gibt, dann wird alles gut. Und jetzt stellt man fest: Am Streaming verdienen die Künstler fast nichts. Meine Idee wäre: Streamt doch nicht eure fertigen Produkte. Streamt lieber den Zugang zum Studio und fördert so die Interaktionsbereitschaft eurer Fans.
Brächte das Geld?
Ich weiß es nicht. Nehmen Sie Joanne K. Rowling und Harry Potter. Damit hat sie das meiste Geld gemacht, sicher, aber mit Ergänzungen wie Pottermore verdient sie viel hinzu. Das bedeutet für Künstler: Je tiefer man ins eigene Werk einsteigt, desto mehr lässt sich daraus machen. Und da geht es nicht immer um fertige Produkte. Fans finden auch Wert im Unfertigen – in einer Idee, einer Skizze.
Die Ungerechtigkeit, dass der Streaming-Anbieter viel und der Künstler wenig verdient, ist damit nicht vom Tisch.
Auch deswegen bin ich mit meiner Idee zu Startnext und nicht zu Kickstarter gegangen – bei Kickstarter mischt Amazon mit. Amazon hat als erste Firma verstanden, was es mit dem „Selfpublishing" auf sich hat und wie man Geld daraus machen kann. Text schreiben, crowdfunden lassen, weiterverbreiten und im Amazon-Store verkaufen. Wie beim Streaming sind die Kreativen aber wieder von anderen abhängig, die mit deren Ideen Geld verdienen.
Wie kommen wir aus den abgeschotteten Welten der Amazons, Googles und Apples wieder heraus?
Startnext zeigt, dass es auch anders geht. Dafür müssen sich Künstler aber erstmal dorthin bewegen. Oder nehmen wir das Online-Bezahlmodell von Flattr. Wer kleine Beträge nicht verachtet, kommt an Flattr nicht vorbei. Es ist im Bereich des Micropayments das derzeit am besten funktionierende Tool. Es mag zu klein sein, aber das liegt an jenen Unternehmen, die es nicht nutzen, weil sie erst dann auf so etwas aufmerksam werden, wenn es ihr eigenes Geschäftsmodell bedroht.
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