Wikipedia startet eigenes Reiseportal: Enzyklopädie des Unterwegsseins
Reisetipps von jedem für jeden – mit dieser Mission hat die Wikimedia Foundation das Portal Wikivoyage gestartet. Ein vormaliger Betreiber will dagegen vorgehen.
Wer in der Wikipedia nachschlägt, erfährt allerhand über Berlin: Dass die Stadt 2012 offiziell 3.520.061 Bewohner zählte, dass der Name der Stadt 1244 erstmals urkundlich erwähnt wurde, dass 22,4 Millionen Übernachtungen in Berliner Beherbergungsbetrieben registriert wurden. Was die Leser nicht erfahren: Wie man am besten mit dem Taxi vom Flughafen an sein Ziel kommt, was der Museumspass kostet, wo man am besten ein Bier trinken kann.
Diese Informationen soll man in Zukunft in dem neuen Schwesterprojekt der Wikipedia nachschlagen können. Zum zwölften Geburtstag der Online-Enzyklopädie hat die US-Stiftung das Portal Wikivoyage offiziell in Betrieb genommen. Ganz wie bei dem Vorbild funktioniert das Reiseportal nach dem Wiki-Prinzip: Jeder kann Beiträge schreiben und verändern, es gibt keine bezahlten Autoren oder Redaktionen. Mit Hilfe einer weltweiten Community soll sich das Projekt selbst organisieren.
Ganz neu ist das Portal nicht. Bereits 2003 wurde das Projekt WikiTravel gegründet – zwei Jahre nach der Wikipedia. Das Projekt entwickelte sich aber deutlich langsamer als ihr großes Vorbild. Aber nach und nach sammelten sich neue Sprachversionen und einen kleine aktive Autorengemeinschaft an.
Einen Schnitt gab es, als der Domainname an das US-Unternehmen Internet Brands verkauft wurde. Die Firma übernahm die technische Betreuung der Seite, schaltete dafür aber Werbebanner auf dem Portal. Eine Kommerzialisierung des Projekts lehnten viele Autoren jedoch ab. So spaltete sich die Gemeinschaft – ein Teil machte bei WikiTravel weiter, ein anderer Teil gründete das Portal Wikivoyage, das von einem Verein mit Sitz in Deutschland finanziert wurde – ohne Werbeeinnahmen.
15 Sprachversionen
Über sechs Jahre machten beide Seiten weiter ohne jeweils große Sprünge machen zu können. Wikitravel hat heute knapp 60000 Artikel, verteilt auf 15 Sprachversionen. Das ist genug, um sich über Google-Werbung zu finanzieren – aber weit davon entfernt, kommerziellen Reiseführern Konkurrenz zu machen.
Im vergangenen Jahr dann traten Autoren der beiden Plattformen auf die US-Stiftung Wikimedia Foundation zu. Die managt neben der Wikipedia noch ein Dutzend anderer Projekte und ist finanziell gut aufgestellt. Bei der jüngsten Spendenkampagne nahm sie in Rekordzeit 25 Millionen US-Dollar ein – mehr als genug, um die Plattformen zu betreiben.
Zwar hat die Stiftung derzeit alle Hände voll damit zu tun, die Wikipedia in Entwicklungsländern zu verbreiten und das Schreiben von Artikeln für Autoren einfacher zu gestalten – doch ein neues Wiki unter seine Fittiche zu nehmen, war für die Organisation relativ einfach möglich.
Doch Internet Brands will sich die neue Konkurrenz nicht gefallen lassen. Zuerst hat das Unternehmen einen der WikiTravel-Autoren verklagt, weil der zum Wechsel zur Wikimedia Foundation aufgerufen hatte. Dass die Wikimedia Foundationen die bereits geschriebenen Artikel übernimmt, kann WikiTravel nicht vermeiden, da die Inhalte unter einer offenen Creative-Commons-Lizenz stehen und von jedem kopiert werden dürfen.
Neuinkarnation
Trotzdem argumentiert Internet Brands mit Geschäftsschädigung durch das neue Portal. Eine erste Klage gegen den Autoren wurde abgewiesen – nun stehen sich die Wikimedia Foundation und WikiTravel vor Gericht gegenüber. Ein Erfolg der Neuinkarnation von Wikivoyage ist keinesfalls garantiert. Zwar macht Wikipedia derzeit kräftig Werbung für das neue Portal – ob sich daraus jedoch nachhaltige Strukturen bilden, ist offen.
So konnten Projekte wie das Nachrichtenportal WikiNews auch unter Regie der Wikimedia Foundation nie wirklich Traktion gewinnen. Und angesichts der vielen provisionsorientierten Reisevermittler dürfte es eine Herausforderung sein, das Portal auf Dauer von //www.taz.de/Wikipedianer-nutzt-Online-Lexikon-fuer-PR/!102048/:Schleichwerbung und Spam-Links freizuhalten.
Alice Wiegand, Mitglied im Stiftungsrat der Wikimedia Foundation, freut sich über den Wiki-Nachwuchs und glaubt, dass sich die Projekte gut ergänzen: „Wikivoyage kann von alten Hasen und deren Hinweisen profitieren, um sich weiterzuentwickeln und dabei seinen spezifischen Charakter zu erhalten und auszubauen“, erklärt sie gegenüber taz.de. Auch die Online-Enzyklopädie kann profitieren, glaubt Wiegand: „Die Wikipedia braucht neue Anstöße, um sich immer mal wieder selbst in Frage zu stellen, Regeln und Rituale zu überdenken.“
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