piwik no script img

EurokolumneJetzt ist das Tafelsilber dran

Kolumne
von Niko Paech

„Integrierte“ Europäer leben nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell und materiell jenseits ihrer dauerhaften Möglichkeiten. Rettung böte eine Postwachstumsökonomie.

Der Ausbau der Intensivlandwirtschaft legt das hässliche Antlitz der europäischen Planierraupe frei. Bild: dpa

S oeben hat der Naturschutzbund eine Warnmeldung herausgegeben, die viel über den ökologischen Zustand Europas verrät: Kiebitze, Grauammern, Wachteln und andere Tierarten drohen auszusterben, weil ihr Lebensraum schwindet. Der Ausbau der Intensivlandwirtschaft legt das hässliche Antlitz der europäischen Planierraupe frei.

Gleichzeitig wird das europäische Projekt als Modell für die Entwicklung anderer Kontinente betrachtet. Europa sei integrativ, tolerant, friedensstiftend und orientiere sich an sozialem Ausgleich. Ist dieser zivilisatorische Fortschritt eine kulturelle Leistung?

Die europäische Integration folgte nie einer anderen Logik, als soziale und politische Integrität mit ökologischer Plünderung zu erkaufen. Präzise drückte dies vor über 100 Jahren der Soziologe Georg Simmel aus. Fortschritt bestehe darin, die angesichts materieller Knappheit drohende „Menschheitstragödie der Konkurrenz“ dadurch zu mindern, dass soziale Konflikte in solche zwischen Mensch und Natur umgelenkt werden.

Die Substanzen der Natur in wachsenden Wohlstand umzuwandeln, verringert Rivalitäten. In dieses epochale Unterfangen lassen sich alle Menschen integrieren. Dabei entstehen Frieden stiftende Abhängigkeiten. Wer mit gemeinsamer Plünderung beschäftigt ist und Austauschbeziehungen zum beiderseitigen Nutzen unterhält, kommt nicht dazu, Kriege gegeneinander zu führen.

Uni Oldenburg
NIKO PAECH

52, ist Volkswirtschaftler. An der Universität Oldenburg forscht er als außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt und als Privatdozent zu Umweltökonomie und Nachhaltigkeit. Nebenbei arbeitet er als Redakteur und Moderator des TV Magazins „Wissenschaft Nachgefragt“ beim Sender oldenburg eins. Er gilt als einer der radikalsten Wachstumskritiker unter den Ökonomen.

An dieser Stelle wechseln sich wöchentlich unter anderem ab: Rudolf Hickel, Gesine Schwan, Eric Bonse, Sabine Reiner und Jens Berger.

Dienstleistungsschwemme

Industrielle Spezialisierung, Machtzentralisierung, monströse Subventionen, ressourcenschwere Infrastrukturen, exzessive Digitalisierung, entgrenzter Güter- und Personenverkehr sowie eine Dienstleistungsschwemme sollen das geeinte und friedliche Europa erhalten.

Mit der Einführung des Euro ließen sich nochmals Hindernisse einebnen, die einer gegenseitigen Durchdringung entgegenstanden. Mit einer neuen Trumpfkarte, dem „grünen“ Wachstum, lassen sich kommerzielle Erschließungsvorgänge ein letztes Mal intensivieren.

Jetzt ist das Tafelsilber dran: Verbliebene Landschaften sollen mit Windkraft-, Biogas-, Photovoltaikfreiflächenanlagen, Stromtrassen und Pumpspeicherkraftwerken industriell nachverdichtet werden, um den friedenstiftenden Krieg gegen die Ökosphäre mit veränderten Mitteln fortzusetzen.

Indes zeichnet sich ab, dass die solchermaßen „integrierten“ Europäer nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell und materiell jenseits ihrer dauerhaften Möglichkeiten leben.

Nahende Ressourcenengpässe

Die Abhängigkeit von Herstellungsketten, durch die außereuropäische Flächen und Ressourcenquellen beansprucht werden, ist immens gestiegen, genauso die Verschuldung. Damit ist das Wohlstandsmodell immer angreifbarer geworden. Nicht nur das griechische Lehrstück, sondern nahende Ressourcenengpässe vergegenwärtigen: Wer immer weiter über seine Verhältnisse lebt, stürzt umso tiefer, wenn dem Versorgungsparadies der Saft ausgeht.

Die letzte Ausfahrt vor dem Kollaps besteht in einer Postwachstumsökonomie. Demnach wäre der Industriekomplex zu halbieren und durch ein Netz vitaler Regional- und Lokalökonomien zu ergänzen. Unternehmen würden die reduzierte Menge an Gütern instand halten, reparieren und optimieren. Aus Konsumenten würden moderne Selbstversorger. Sie arbeiteten infolge des Industrierückbaus noch durchschnittlich 20 Stunden, nutzten die freigestellte Zeit, um sich handwerklich und sozial zu betätigen.

Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten, Reparatur-Cafés, künstlerische Aktivitäten, die gemeinschaftliche Nutzung von Gegenständen, Netzwerke des entgeltlosen Tausches könnten ein modernes Leben mit weniger Geld und Produktion ermöglichen.

Eine Postwachstumsökonomie wäre von Sesshaftigkeit und materieller Genügsamkeit geprägt, aber sehr robust. Nur eine Balance aus sparsamer Industrie, ergänzt um autonome, vielfältige und kleinräumige Selbstversorgungssysteme, könnte die Europäer vor einem Europa schützen, das in seiner aktuellen Form unrettbar geworden ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • A
    Alexander

    Lieber Herr Paech,

    in wenigen Worten das Wesentliche gesagt. Vielen Dank auch für das treffliche Zitat von Simmel, das ich bislang nicht kannte. Allerdings deprimierend, dass ein kluger Denker vor 100 Jahren schon das wusste, was die meisten Menschen bis heute nicht sehen können oder wollen.

  • MB
    Maik Balse

    ?? Also ich habe auch VWL studiert, denke, dass ich mich recht gut auskenne und bin definitiv kein Wachstumfanatiker - aber der Artikel ist völlig unverständlich, der Professor völlig unbekannt, ein Lehrstuhl für Produktion und Umwelt wirkt sehr verkrampft indpseudo-progressiv. Der Artikel ist auch vom Schreibstil her sehr hölzern, die Witze sind sehr bemüht. Wo buddelt die taz immer solche Experten aus? Vielleicht eine gute Idee, die Berichterstattung zu Wirtschaftsthemen vollständig einzustellen, der Artikel ist peinlich, langweilig, überheblich, sehr deutsch, arrogant, weltunerfahren - geht echt gar nicht.

     

    So, wie der Professor schreibt, haben bestimmt früher irgendwelche Fürsten oder Priester über den edlen Wilden diskutiert - so was ist echt nicht mal 70er, das ist 19. Jahrhundert. Peinlich, ein sehr, sehr schlichter Beitrag. Für so was zahlt zu recht niemand was.

    • @Maik Balse:

      Sie werfen mit allerhand Kritik um sich, aber ist diese auch berechtigt? Abgesehen von den anderen unbegründeten Vorwürfen, werfen Sie Paech Weltunerfahrenheit vor. Wie stets denn da mit Ihrer?

      Als Volkswirtschaftler sollten Sie nicht nur über gutes Wissen auf dem Gebiet der Wirtschaftsethik verfügen (die ich bei Ihnen nicht vermute, da Sie wie viele wahrscheinlich die Seminare geschwänzt haben). Sie sollten in der modernen Zeit auch die drei Hauptsätze der Thermodynamik verstanden haben! Gegen diese verstößt die Menschheit nämlich gerade. Herr Paech hat das sehr gut verstanden, Sie definitiv nicht, was ziemlich peinlich ist.

      Gehen Sie doch einfach mal in den Fels klettern, ohne Seil, Sitzgurt und Helm. Klettern Sie und ignorieren Sie das Gesetz der Schwerkraft. Beim Fallen denken Sie noch mal daran, weshalb Paech empfohlen hätte, mit Kletterausrüstung zu klettern.

  • V
    V_Schmidt

    Es fragt sich bloß, wie die tollen Ideen der "Postwachstumsökonomie" durchzusetzen sind. Wollen Sie den Unternehmen verbieten, Gewinn zu machen? Und wollen Sie den Mitarbeitern die Arbeitsplätze verbieten und sie stattdessen zwingen, defekte Ferneher zu reparieren und dabei dürfen sie auch nur 20 Stunden arbeiten? Da werden sich alle bedanken, die eine Familie zu versorgen haben, und nicht nur die. Und unsere asiatischen Wettbewerber werden sich dann freuen, dass sie ihre lästigen Konkurrenten loswerden. Und wie soll dieser Irrsinn durchgesetzt werden? Mit demokratischen Mitteln ja wohl kaum. Jede Partei mit so einem Wahlprogramm käme höchstens auf 0,5 %. Wie hat Doris Lessing schon vor langer Zeit geschrieben: "Politische Utopien enden in der Regel im Konzentrationslager".

  • K
    kassandro

    Tja , das alles könnte klappen . Klingt höchst vernünftig . Und auch so dringlich .

    Bedeutet aber nichts weniger als : Abschaffung des Kapitalismus . Kleinigkeit .

    Sagen wir mal so : Die reichen 10 bis 1 % der Bevölkerungen werden sich mit allen Machtmitteln dagegen wehren . Der Rest der atomisierten Gesellschaft aus Konkurrenzsubjekten h a t keine Machtmittel , will zweitens nur seine eigene Haut retten und ist drittens zu blöde zu erkennen , dass sie sich nur zusammen mit dem "Ganzen" retten können .

    Schöne Aussichten ...

  • A
    anke

    Fein. Nun brauchen wir uns eigentlich bloß noch zu überlegen, was wir mit den ewig Unbelehrbaren machen. Mit denen, meine ich, die sich der drohenden Postwachstumsökonomie mit aller Kraft widersetzen werden. Weil sie sich aus biografischen bzw. psychosozialen Gründen ein Leben in robuster, von materieller Genügsamkeit geprägter Sesshaftigkeit und ganz ohne Konkurrenzkampf einfach nicht vorzustellen vermögen. Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten, Reparatur-Cafés, künstlerische Aktivitäten, die gemeinschaftliche Nutzung von Gegenständen und Netzwerke des entgeltlosen Tausches basieren schließlich auf Freiwilligkeit. Und die Freiheit, die aus Einsicht in die Notwendigkeit erwächst, führt laut geltender Ideologie direkt in den Gulag. Es wird verdammt schwer werden, die ohne Gewalt in die Köpfe hinein zu kriegen, schätze ich.

     

    Merke: Wenn die soziale Konflikte zwischen Mensch und Natur in solche sozialer Art zurückverwandelt werden, ist die "Menschheitstragödie" des Georg Simmel noch längst nicht aus der Welt. Sie hat lediglich die Vorzeichen gewechselt.

  • B
    berlin1055

    Sogenannte Wirschaftsliberale werden Ihnen sicherlich schon häufiger vorgeworfen haben, dass der Mensch dann ja wieder zurück auf die Bäume klettern kann.

     

    Ich hoffe, dass sich die von Ihnen skizzierte Postwachstumsgesellschaft irgendwann durchsetzt, sehe aber leider so gut wie keine relevante politische Strömung, die diese Problematik aufgreift. Wahrscheinlich passt sie auch nicht in diese Wirtschaftsordnung, aber manchmal gibt es ja doch schnellere gesellschaftliche Änderungen als gedacht.

     

    Danke für den Artikel

  • SR
    sehr richtig!

    was Sie da sagen, Herr Paech, und es wundert mich hier in der Taz inzwischen, so etwas zu lesen.

    Aber wir haben nun mal den ESM, der auch von der Taz mit herbeigeschrieben wurde, und damit sind Ihre Gedankenspiele leider Luftschlösser bis zum Zusammenbruch oder zur Revolution.