: Embryo auf schwarzem Diwan
Ikonen des Großstädtischen von einem Grenzgängers, der die Extreme liebte: Die Kunsthalle präsentiert die Porträts von Francis Bacon
von Petra Schellen
Das Skelett steht da, und es regnet in Strömen. Das heißt – eigentlich sind es Farb-Kolonnen, die an der Fensterscheibe namens Bild-Leinwand entlangrinnen, und wenn er nicht schleunigst da weggeht, der von Francis Bacon Porträtierte, wird bald nichts mehr übrig sein von dieser merkwürdigen Mixtur aus Abbild und Morbidität. Und zeigt sich hier auch nur verhalten, worin Bacons Methode bestand, wird doch deutlich, was er praktizierte: die De- und Neumontage von Personen und Persönlichkeiten, derzeit zu betrachten anhand der Ausstellung Francis Bacon – Die Portraits in der Kunsthalle – wobei er nicht nur Anonyma, sondern auch Freunde, Bekannte und Liebhaber porträtierte. Dies ist nach einem Auftakt in Schottland die einzige deutsche Station der Schau.
Mit Brillen, Nasen, Zähnen und schreienden Mündern hat der 1909 in Dublin geborene Maler, der nie eine Akademie besuchte, bereits in den 50er Jahren experimentiert. Streng genommen ragen diese frühen Gemälde noch immer heraus aus seinem Werk, das ab Ende der 50er Jahre gleichförmiger zu werden begann und sich oft im stilistischen Selbstzitat verlor.
Wer sind sie aber, jene düsteren, teils von grellen Lichtstreifen Bestrahlten, die die in den Räumen Edward Hoppers geboren sein könnten? Sind sie Ikonen der Vereinsamung des modernen Großstadtmenschen? Geschäftstüchtige Anzugträger – winzige Stäubchen in riesigen, kalt-finsteren Räumen? Vielerlei Deutungen haben die Bacon‘schen Porträts bereits erfahren, auch „der Schlächter“ wurde er aufgrund seiner lustvoll schmerzverzerrten Gesichter genannt.
Doch auch wenn dies unbestreitbare Facette des Bacon‘schen Werks ist, erfassen solche Beschreibungen keinesfalls die Gesamtheit dessen, was in diesen fleischigen Gesichtern und Körpern lagert. Denn dem expressionistischen Schrei, dem auch Edvard Munch und James Ensor huldigten, hat sich Bacon vielmehr in diesen frühen Werken verschrieben – und nicht nur dem Schrei der Einsamkeit: Es ist ein Schrei der Verlorenen in Richtung des Universums, das nicht hören wird. Ein Schrei gegen das latente Verschwinden aufgrund der gnadenlos wandernden Zeit ist es, den die Figuren ausstoßen, vielleicht der heimliche Wunsch, diese Gnadenlosigkeit für eine Sekunde zu stoppen.
Genau dies war es, worauf Bacon zielte: das Einfangen des Augenblicks in Momentaufnahmen intensiven Lebens – wenn er auch stets wusste, dass das nicht möglich war. Denn unaufhaltsam löst sie sich auf, die Materie, deren Teil der Mensch ist, und dem Universum ist es egal, ob wir dabei lachen oder schreien; optisch bleibt sich das bei Bacon fast gleich. Und auch wenn sie es noch so ernst versuchen mögen – ihren Platz im Raum werden sie nicht finden, die Bacon‘schen Figuren: Säuberlich hat er Päpste und Geschäftsmänner in geometrisch abgezirkelte Räume gesetzt, aus denen sie mühsam hervorblinzeln. Aber keiner von ihnen kann sich wehren gegen die Auflösung: Das Schwarze Loch Zeit, von Bacon direkt in Farbe übertragen, saugt alles ein. Vielleicht hat ein Gott sie da vergessen, die ratlosen Menschen, vielleicht hat er das falsche Puzzleteilchen in die düsteren Räume gesetzt: Jedenfalls sind sie drauf und dran, zu Pompeji-gleich erstarrten Mumien zu werden.
Auch die Totenmaske William Blakes hat Bacon 1955 porträtiert: das sehr private Bildnis eines Menschen, der Ernst Barlachs leer geweintem „Schwebendem Engel“ gleicht. Wie auf den niederländischen Porträts des 17. Jahrhunderts auf schwarzen Grund gesetzt wirken diese Köpfe – wie auf Isolations-Folie gesetzt. In Käfigen oder Zellen sind sie zu finden, immer schreiend: Eigentlich sind es akustische Werke und nicht optische, die der Künstler hier schuf.
Auf ein Echo in der Welt mögen sie hoffen, die Schreienden, auf einen, der ihr homerisches Gelächter hört. An der Grenze zur Groteske bewegen sich diese existenziellen Bilder, die in die Seele des Menschen hineinhorchen.
Und doch war Bacon, der immer das Extrem zelebrierte, dies nicht genug, muss sich doch Mitte de 50er Jahre eine Wende vollzogen haben: Gesichts-Verzerrungen in Picasso-Manier begann er da zu praktizieren; in kleinen Triptychen hat er, einer Passfoto-Serie gleich, Freunde und Bekannte porträtiert. Ausgangspunkt waren häufig Porträtfotos, die Bacon so lange zurechtstauchte, riss und faltete, bis der Aspekt hervortrat, den er am markantesten fand.
Als „Spieler“ ist er deshalb oft bezeichnet worden, als einer auch, der den Zufall liebte – und genauso wirken die späteren Porträts: Aus Versatzstücken, aus Aufblähungen und Zerrungen mal der Nase, mal des Mundes hat er Köpfe gezimmert, die ironisch, nachdenklich, oft auch wund und versehrt dreinblicken. Bis zur karikaturartigen Verzerrung hat sich Bacon auf seinen Porträts etwa George Dyers auf rosa Bildgrund vorgewagt, hat Silhouetten verschwimmen lassen und zugunsten markanter Konturen seine expressionistischen Pinselschläge reduziert.
Experimente, die er die gesamten 60er Jahre hindurch praktizierte – doch auch das scheint Francis Bacon in puncto Mensch- und Welterfassung nicht genügt zu haben: Ganze Figuren begann er zeitgleich im Raum zu platzieren. Mit surrealistisch-geglättetem Pinselstrich und collagenartiger Komposition hat er die Malerin Isabel Rawsthorne und „Männliche Rückenansichten“ ins Rund imaginärer Manegen gestellt. Nicht recht entschieden hat er sich wohl auch beim 1960/61 entstandenen „Reclining Man with Sculpture“: Expressionistische Köpfe und aalglatte Körper- und Sofa-Folie erzeugen irritierende Spannungen und weisen Bacon als Grenzgänger aus. Bereits 1936 hatte er für die Internationale Surrealisten-Ausstellung in London eingesandte Werke übrigens mit dem Vermerk „nicht surrealistisch genug“ zurückbekommen. Und wenn man auch den Eindruck gewinnen kann, dass die Raumkompositionen der 60er mit denen der 50er nicht konkurrieren können und zunehmend glatter und gefälliger werden, ist doch eins nicht zu leugnen: die zarte Privatheit etwa der „Liegenden Figur“, eines der raren Männerakte, der Bacons Freund Peter Lacy wund und embryonal auf schwarzem Diwan zeigt. Wer weiß, vielleicht hat der so sanft Ruhende ja gerade von einem Engel geträumt.
Di–Fr 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle; verlängert bis 29.1.2006
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