Bayern stimmen gegen Unigebühren: Deutschland wird gebührenfrei
Das Bezahlstudium steht vor dem Aus. In den beiden letzten Bundesländern mit Studiengebühren wird gerade dessen Abschaffung beschlossen. Ein Rückblick.
Die Studiengebühren sind am Ende. Am späten Mittwochabend hatten sich in Bayern mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten für ein Volksbegehren ausgesprochen – und gegen Studiengebühren. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wird dem Wählerwillen nachgeben. Auch das rot-grün regierte Niedersachsen wird Studiengebühren abschaffen. Das bedeutet, dass bald in ganz Deutschland wieder gratis studiert werden kann.
Die Studiengebühren betrugen 500 Euro je Semester, das sind monatlich 83 Euro. Insgesamt sieben Bundesländer verlangten zwischenzeitlich Geld fürs Studieren. Startsignal war im Jahr 2005 ein Beschluss des Verfassungsgerichts. Karlsruhe hob damals das Verbot des Bezahlstudiums durch ein Bundesgesetz auf. Danach führten, beginnend mit Baden-Württemberg, mehrere unionsgeführte Länder die Gebühren ein.
Die Gebühren wurden gegen den scharfen Protest der Studierendenvertretungen erhoben. Allen voran das „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ beklagte, Gebühren würde Arbeiterkinder am Studium hindern. Eine Studie des renommierten „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ zeigte 2011, dass das Bezahlstudium nicht vom Studium abschreckt. Es könne kein „negativer Effekt von Studiengebühren auf die Studierneigung identifiziert werden", schrieben die Forscher.
Das erste Bundesland, das bei den Gebühren wieder den Rückwärtsgang einlegen musste, war Hessen. Dort schrieb die Landesverfassung schon immer vor, dass „in allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen der Unterricht unentgeltlich ist“. Dennoch hatte der damalige Ministerpräsident Roland Koch (CDU) Studiengebühren beschließen lassen.
Die kurzzeitige rot-rot-grüne Mehrheit schaffte die Gebühren in Hessen im Jahr 2008 wieder ab. Diesem Beispiel folgten reihum die Länder Saarland, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Nun ist die Abschaffung in Niedersachsen und Bayern dran.
Teure Gebührenfreiheit
Damit wiederholt sich Geschichte. Deutschland ist wieder komplett gebührenfrei – wenn man von der Erhebung von Gebühren an den Privathochschulen absieht. Witten/Herdecke etwa hat ein selbstverwaltetes Gebührenmodell so genannter nachlaufender Gebühren – dort zahlen die Studierenden erst, wenn sie als Akademiker gutes Geld verdienen.
Auch an der Zeppelin-Universität in Baden-Württemberg werden die Gebühren von rund 3.000 Euro vorfinanziert. 60 Prozent der Studierenden erhalten einen Studienkredit durch die örtliche Sparkasse in Friedrichshafen*. Sie zahlen den Kredit zurück, wenn sie lukrative Akademiker-Jobs eingenommen haben.
Die Abschaffung der Studiengebühren kommt die Bundesländer teuer zu stehen. In den großen Flächenstaaten müssen dreistellige Millionenbeträge im Landeshaushalt aufgebracht werden, um die Einnahmeausfälle der Unis zu kompensieren. Allein in Nordrhein-Westfalen geht es dabei um eine viertel Milliarde Euro. So viel muss der Finanzminister bereitstellen, damit zumeist Akademikerkinder wieder umsonst studieren können.
Der Anteil der Arbeiterkinder an den Hochschulen ist, wie das Studentenwerk in Sozialerhebungen immer wieder belegt, verschwindend gering – und zwar auch ohne Gebühren. Von 100 Akademikerkindern landen 83 auf der Uni; von 100 Arbeiterkindern aber nur 11.
Drachenboote und Heizkosten
Auch in Bayern wird die Abschaffung der Gebühren Hunderte Millionen kosten. Die Studenten fordern volle Kompensation für die Studiengebühren, „und zwar angepasst an die steigenden Studentenzahlen“, sagte der Erlanger Studentenaktivist Stefan Erhardt am Mittwoch. Solche abstrakten Zahlen lassen sich am Beispiel der Ludwig-Maximilians-Universität in München sehr konkret ausdrücken: Dort werden allein 300 Tutoren, also studentische Lehrkräfte, aus den Studiengebühren bezahlt.
In der Verwendung der Gelder lag von Anfang das große Problem des Bezahlstudiums. Mit den Gebühren der StudentInnen trieben die Unis regelrecht Schindluder: In Bonn sollten für eine halbe Million Euro die Toiletten saniert werden. Hochschulen wie Göttingen oder Dortmund versenkten die Gebühren in ihren Haushaltslöcher. Die Uni in Ulm plante, mit Hilfe der Gelder Hörsäle zu heizen – daraufhin sammelten die Studenten Brennholz für die Uni.
Der am meisten begangene Fehler lag darin, das Geld der Studierenden in Neubauten zu investieren – obwohl Hochschulbau die originäre (und vernachlässigte) Aufgabe des Staates ist. In Passau sollte mit Gebühren einst eine Tiefgarage gebuddelt werden. Nicht nur die Studierenden liefen Sturm dagegen. Die Uni Bochum und das Land Saarbrücken verboten daher, Gebührengelder in Baumaßnahmen zu stecken. Aber auch Vorschriften konnten Blödsinn nicht verhindern. Die FH* Osnabrück etwa finanzierte aus dem Gebührentopf ein Drachenboot.
Gebührenfreunde aus der SPD
Ob die Studiengebühren nun ein für allemal vom Tisch sind, lässt sich schwer vorhersagen. Eine schnelle Wiedereinführung wird es sicher nicht geben, dafür war der Aufwand für das Gebührenexperiment zu hoch. Anfang der 1990er Jahre begann angesichts total unterfinanzierter Unis die Debatte um die Wiedereinführung der Gebühren – die 15 lange Jahre dauerte, ehe sie wirkte.
Die wirkungsvollsten Gebühren-Freunde kamen übrigens aus der SPD. Vorreiter war der legendäre Generalsekretär und Parteiintellektuelle Peter Glotz. „Wieso es ,sozial' sein soll, daß der junge Facharbeiter oder die Verkäuferin die Studienkosten für den gleichaltrigen Medizinersohn bezahlen, bleibt unerfindlich“, sagte Glotz.
Ein anderer Sozialdemokrat provozierte seine Partei jahrelang als Wissenschaftsminister mit dem berühmten Satz von Karl Marx, dass unentgeltliche Unis faktisch bedeuten, „den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel zu bestreiten.“ Der Mann heißt Thomas Oppermann und er forderte diese Gerechtigkeitslücke zu schließen – mit Studiengebühren. Heute sitzt Oppermann als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag und ist selbstverständlich – gegen Studiengebühren.
*Update 1.2.2012: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Sparkasse Ludwigshafen, statt Friedrichshafen, vergebe 60 Prozent der Studienkredite. Außerdem hieß es fälschlicherweise, die Uni Osnabrück, statt der Fachhochschule, besäße ein Drachenboot.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen