Wechselposse um Robert Lewandowski: Echte Liebe stirbt nicht
Borussia Dortmund will börsennotierte Millionenmaschine und romantischer Ruhrpott-Klub zugleich sein. Siehe Robert Lewandowski.
Der Rasen fristet ein ähnliches Dasein im Fußball wie der Wind, die Dreifachbelastung, der Ball und der Schiedsrichter. Aus einem naheliegenden Grund ist es den Pflanzen vollkommen egal, ob sie vom Torwart als Zusammenrottung zu einem Acker oder vom Trainer als Kuhwiese beschimpft werden. Der Rasen bleibt ruhig.
Sonst hätte er sich im Dortmunder Stadtteil Brackel vermutlich längst gemeldet und gesagt: „Hey, mir geht es gut. Ich bin gewachsen, ihr könnt eure Stollen in mich graben und die Fans wieder einladen, euch dabei zuzusehen.“
Es ist inzwischen schon elf Monate her, dass der Ballsportverein Borussia seine Anhänger um Verständnis darum bat, dass er künftig wegen einer dringenden Rasenpflege auf dem hinteren Trainingsplatz üben werde. Außerdem werde es nur noch einmal in der Woche Autogramme geben, in der Regel donnerstags. Öffentliche Trainingseinheiten sind heute mehr denn je die Ausnahme.
Ist das „Echte Liebe“ zwischen Verein und Fans? Der Slogan prangt groß am Mannschaftsbus, auf der Homepage des Klubs, und er ziert als Hashtag die Mitteilungen bei //twitter.com/BVB:Twitter. Etwa am vergangenen Dienstag, als die Vertragsverlängerung mit Kevin Großkreutz bekannt gegeben wurde, einem der „Dortmunder Jungs“. Noch solch ein geflügeltes Wort. Es hat seine Berechtigung, durchaus.
Mit Pathos überladen
Mit Großkreutz und Marco Reus stehen zwei gebürtige Dortmunder im Kader, Mario Götze kam aus Bayern in den Ruhrpott, als er sechs Jahre alt war. Nuri Sahin wurde – nach anderthalb verlorenen Jahren in Madrid und Liverpool – kürzlich zurückgeholt. Die Vorstellung war mit Pathos überladen, der im nahen Sauerland geborene Sahin bekundete mit jedem Satz, dass es echte Liebe sei.
Immer noch können 25.000 Menschen auf der gewaltigen Südtribüne mit relativ günstigen Eintrittskarten die Spiele sehen. Aber insgesamt sind die Preise deutlich gestiegen. Es gab Proteste der Fans. In jedem Sommer bringt der BVB eine neue Trikotkollektion auf den Markt, dazu manchmal ein Weihnachtstrikot und auch ein Derbytrikot. Der Fan kauft, auch in der vergleichsweise armen Ruhrgebietsstadt.
Die Merchandisingumsätze sind von 8,5 Millionen (2010) auf 15,5 Millionen Euro 2012 gestiegen. Der BVB gab zuletzt bei einem Umsatz von 215 Millionen Euro einen Rekordgewinn für die Bundesligageschichte bekannt: 34 Millionen Euro. Die Süddeutsche Zeitung berichtete, dass er im laufenden Geschäftsjahr ähnlich hoch ausfallen dürfte.
Der BVB muss Geld scheffeln. Das ist er als einziger börsennotierter Fußballklub Deutschlands seinen Aktionären schuldig. Vor allem benötigt er das Geld aber, um die Qualität seiner Spieler zumindest auf dem gleichen Level zu halten.
Auf ewige Zeiten festgeschriebene Lücke
Der Meister benötigt sportlichen Erfolg, möglichst in jedem Jahr die Qualifikation für die Champions League, um die für Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wegen der Rahmenbedingungen auf ewige Zeiten festgeschriebene Lücke zum FC Bayern (Umsatz 2011/12: 333 Millionen Euro, Tendenz steigend) nicht größer werden zu lassen, vielleicht sogar noch ein bisschen weiter zu schließen. „Echte Liebe“ gegen „Mia san mia“, das ist Big Business statt verklärter Fußballromantik. Es gilt nur, die schönste Verpackung zu wählen.
Dem BVB gelingt das derzeit gut, auch dank des Marketingdirektors Carsten Cramer, ehemals Vizechef des bedeutenden Vermarkters Sportfive. Im vergangenen Jahr wurde dem Klub mit einem Preis bescheinigt, die „bestgeführte Sportmarke Deutschlands“ zu sein.
Robert Lewandowski ist nicht nur ein hervorragender Stürmer, sondern auch ein Spekulationsobjekt. Er sei sich schon mit Bayern München für die kommende Saison einig, hieß es in der vergangenen Woche. Der Spieler selbst dementierte, allerdings ließ er eine Hintertür offen. Dass Lewandowski, dessen Vertrag bis 2014 gültig ist, darüber hinaus bleiben wird, glaubt kaum jemand. Aus dem hohlen Bauch heraus pappte die Bild-Zeitung dem polnischen Nationalstürmer ein Preisschild von 30 Millionen Euro auf.
Das dürfte eine gute Schätzung sein für eine mögliche erste Ablöseforderung. Sie scheint marktgerecht zu sein. Warum auch nicht? Lewandowski fühlte nie etwas wie echte Liebe für den Klub. Die Fans verehren ihn trotzdem. Solange es beim Doublegewinner weiter gut läuft, kann der BVB trainieren, wo und wann und wie er will. Nur in Gelsenkirchen, das ginge gar nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“