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Die Welt als Augenblick

INDIEROCK Müde, trostlos und ein bisschen bitter: Auch das sechste Album „Le It All In“ des Trios I Am Kloot aus Manchester lebt vom schwarzhumorigen Sarkasmus und defätistischen Zynismus von Sänger John Bramwell. Heraus kommen Hymnen, die überwältigen

Man muss sich nicht überwältigen lassen wollen. Es geschieht einfach

VON MICHAEL SAAGER

Zuerst fällt einem die Stimme von John Bramwell auf. Diese Stimme. So war’s bislang bei jedem Album von I Am Kloot, so ist es auch bei „Let It All In“, dem sechsten der Gruppe aus Manchester. Die Produzenten Guy Garvey und Craig Potter von der befreundeten Band Elbow haben der Platte eine räumliche, ausgewogen-weiche Gestalt verliehen. Bramwell steht unter leichtem Halleinfluss.

Der Wille zur Überanstrengung, zu ostentativ kunstvollem Gesang, ist dem 47-jährigen Songwriter, Gitarristen und Kopf dieses ewig halbberühmten Psychedelic-Folk-Trios mit leichter Blues-Tendenz einigermaßen fremd. Hoch ist Bramwells Tonlage; nasal, sympathisch spröde, charismatisch angekratzt sein Timbre. Womit er sich in die Nähe von Bob Dylan und Nikki Sudden singt. Indes klang Dylan selten so untröstlich wie Bramwell, so ungeschützt und doch gleichsam weltversöhnend. Bei vielen der zehn, zumeist mit eher sparsamem Aufwand an Instrumentalisierung arrangierten Songs ist das so. Bramwells Gesangstimme ist großzügig, weil sie einlädt zur Identifikation und weil sie zu einer empathisch-aufmerksamen Freundin wird in einer sturmumtosten Nacht düsterer Gedanken. Der Trost von Fremden.

„Der Trost von Fremden“ – so heißt ein hintergründiger Roman des britischen Schriftstellers Ian McEwan, der gebaut ist wie ein Schwindel erzeugender Abgrund: Man muss sich in Acht nehmen. Ein wenig in Acht nehmen muss man sich auch vor den Texten Bramwells, denn was er da singt, ist selten so nett, wie er klingt. Legendär ist Bramwells schwarzhumoriger Sarkasmus, sein defätistischer Zynismus. Ein Dichter ist er auch, ein ziemlich guter, zweifellos. Müde, erschöpft und trostlos, aber ein immer auch ein bisschen böse oder bitter wirken die Erzähler. Oder Bramwell selbst? Wer weiß das schon.

Alles vergeht, Bramwell lässt sogar Sterne sterben. In „Even The Stars“, einem majestätisch-trostlosen Wiedergänger von Joy Divisions „Atmosphere“ und „The Girl Who Had Everything“ der Television Personalities singt er: „Did you crack the sky wide open / To find what was inside? / Is it not what you were hoping? / Another case of do or die.“

Man hört es, und will natürlich unbedingt wissen, wie John Bramwell, Schlagzeuger Andy Hargreaves und Bassist Pete Jobson aussehen. Und wieder fällt einem vor allem Bramwell auf, mit seinen tiefen Falten um die Mundwinkel herum und diesen Augenbrauen, die ein trauriges Dach bilden. Meine Güte, er ist auf dem besten Wege, schlohweiß zu werden! Die Zeit, sie rennt, dummerweise, wird immer grauer – und schließlich weiß. Man möchte sie auslöschen, wie der sich in die zeitlose Einsamkeit der Wüste zurückgezogen habende Held in Don DeLillos Roman „Der Omega-Punkt“. Über diesen Ort sagt er: „Die Zeit wird blind.“ Oder Momente, Augenblicke: Wenn sie mächtig genug sind, lassen sie uns die Zeitlichkeit vergessen.

Ein Song kann zu so einem Moment „werden“, „These Days Are Mine“ zum Beispiel, ein Stück mit wenigen, einfachen Akkordfolgen. Lange besteht es nur aus Strophe und Bridge. Der Midtempo-Schunkel-Groove benimmt sich wie ein freundlicher Fluss. Der Bass vibriert wohlig, es macht „clap“ und „clap“. Bramwell singt sich nach oben, in die Höhe. Streicher spielen kleine Strudelpointen, Bläser kommen später hinzu. Als der Refrain im letzten Drittel einsetzt, ersetzt er die Strophen. Der Song beginnt nun hell zu strahlen, wird zur grandiosen Hymne mit Chorgesang. Er wächst über sich, über dich hinaus. Man muss sich nicht einmal überwältigen lassen wollen. Es geschieht einfach. Die Welt als Augenblick.

■ Do, 14. 3., 20 Uhr, Uebel & Gefährloch, Feldstraße 66

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