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Heternormativitätskritik auf dem taz.lab„Aschenputtel darf alles sein“

„Wie liest es sich queer?“ Andreas Kraß erklärt, wie man neue Lesarten erschließt und was sich hinter dem sperrigen Begriff Heteronormativität versteckt.

Darf alles: Cinderella! Bild: dpa
Jan Feddersen
Jan Feddersen
Interview von Jan Feddersen und Jan Feddersen

taz.lab: Herr Kraß, was ist Heteronormativität?

Andreas Kraß: Ein Denken und Handeln, das den scheinbaren Gegensatz von Männlichkeit und Weiblichkeit andauernd reproduziert. Ein Beispiel ist die Debatte um das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Bei manchen Kritikern hat man den Eindruck, dass ihnen die Geschlechterdifferenz wichtiger ist als das Kindeswohl, das nicht vom Geschlecht, sondern von der Liebe der Eltern abhängt.

Wie liest es sich queer?

Ganz hervorragend. Es macht mehr Freude als eine heteronormative Lektüre und auch intellektuell reizvoller. Wenn ich „Tristan und Isolde“ mit dem Ziel lese, dass die beiden ein großartiges Liebespaar waren, bin ich nachher so klug wie vorher. Spannend wird es, wenn ich mir die Rolle von König Marke ansehe und wie die Geschlechterdifferenz von Tristan und Isolde inszeniert wird. Je genauer die Analyse, desto unselbstverständlicher wird der Text. Das ist für einen Literaturwissenschaftler eine gute Nachricht.

Kann man antiheteronormatives Lesen lernen?

Sicher, dafür gibt es Literaturwissenschaft. Aber auch auf der Couch, bei der Lektüre, reicht ein veränderter Blickwinkel, um eine neue Lesart zu finden, die man schon zu kennen glaubte.

privat
Im Interview: Andreas Kraß

geboren 1963 in Schermbeck, lehrt derzeit an der Humboldt-Uni Berlin deutsche Literatur des Mittelalters und Geschlechterforschung.

Auf dem taz.lab lehrt er, nicht heteronormativ zu denken.

Schwul darf man nicht mehr sagen, ist wohl manchen allzu igitt. Aber ist ein Kürzel wie LGBTQIA nicht irgendwie akademisch verblasen?

Die Formel LGBTQIA hat in bestimmten Diskursen ihren Sinn, man darf ja auch in der Physik sagen E=mc2. Für die Alltagsrede sind solche Kürzel natürlich kaum geeignet.

Sollten Märchen im heteronormativen Sinne umgedichtet werden?

Jede Lektüre ist bereits ein Umschreiben des Textes.

Aschenputtel könnte auch ein biomännliches Wesen sein?

Aschenputtel darf alles sein - was Sie sich vorstellen mögen.

Sind wir mit der Destruktion dessen, was man Natur nennt, nicht auf dem Weg in eine konstruierte Beliebigkeitsgesellschaft?

Das Problem ist nicht die Dekonstruktion des Begriffs Natur, mit dem man Heteronormativität als Naturtatsache begründet, sondern die Destruktion der Natur im Sinne von Umweltzerstörung.

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1 Kommentar

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  • J
    Josef Švejk

    Na, in seinem letzten Satz mit seiner Entgegnung auf die konstruierte Beliebigkeit hat Herr Kraß ja ganz schön tief in die Tasche gegriffen:

    Weil - ja weil was denn eigentlich ist mit der "Natur"?

    Rauchende Schlote? Schäumende Flüsse? Reihenweise explodierender Reaktoren? Jaja, die Vorräte an Kohle werden weniger, und das Klima wärmer.

    Was hat aber der Zustand der "Natur" mit der herbeiideologisierten Geschlechtslosigkeit zu tun?

    Die "Natur", möcht ich sagen, hat schon größere Katastrophen überlebt als uns. Asteroideneinschläge, Supervulkane, Eiszeiten.....

    Und die Natur nach uns (in ihrer Geschlechtlichkeit...) wird für "LGBTQIA" kaum mehr als ein müdes Lächeln übrig haben.