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Uraufführung am Bremer TheaterIm Herzen eine Leiche

Elfriede Jelineks „Aber sicher!“ destilliert Scherz, Satire, Ironie zu tieferer Verzweiflung – und Alexander Riemenschneider aus dem Text ein Schauspielfest.

Lisa Guth verglüht, von zwei Männern in roten Einteilern zur "Miss Rosa Luxemburg" gekrönt, im satten Gegenlicht. Bild: Jörg Landsberg/Bremer Theater

BREMEN taz | Der Titel ist bodenlos. „Aber sicher!“ hat Elfriede Jelinek den Text genannt, an dem sie seit 2009 rumdoktert, um Schritt zu halten mit der Entwicklung der Krise, um die er kreist, und in der nichts sicher ist. Und wenn die Ironie eines Beweises bedurft hätte, hat den die Bremer Uraufführung am Donnerstag erbracht.

Denn: Zum Schluss steht Irene Kleinschmidt nach einem resignativen Monolog auf der Bühne, ihr ganzer Körper eine Ratlosigkeit, Licht von hinten und von oben, Goldflitter am Boden, rechts kotzt ein Geldautomat Scheine in den Raum. Und sie sagt: „Ich kann jetzt nicht abgehen. Bitte helfen Sie mir!“ Wiederholt’s. Schweigt. Rührt sich nicht. Das Licht – bleibt.

Niemand bewegt auf der Fläche nichts. Bis ein Zuschauer es nicht mehr aushält. Und er fragt, überwältigt von der Illusion: „Ja, ist das jetzt ernst gemeint?“, ganz aufgeschmissen ob des erreichten Stillstands, der unmöglicher scheint als die Annahme, Kleinschmidt habe durch die Wörter einen Erstarrungszauber auf sich herabgerufen, einen wirksamen.

Ach, dieser Bremer Premierenanrechtler – wenn’s denn kein bestellter Spieler war – er ist nicht zu verspotten. Mag sein, er hat den Witz nicht kapiert. Aber dafür hat er tiefer als alle jenen Blick ins Nichts getan, den Jelinek öffnet. Bei ihm hat die Verunsicherung der Autorin eingeschlagen, die tiefe Verzweiflung der Schöpferin. Denn Jelineks „Aber sicher!“ scheitert fast mutwillig beim Versuch, die gespenstisch-abstrakte Immobilien-, Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise zu begreifen, also: ihr einen Körper zu verleihen und ihn aus den Kulissen zu zerren.

Dafür wohl hat die Autorin ihr Wortwerk, das weder Rollen noch Szenen kennt, ja kaum einmal einen Absatz – zum Bühnentext bestimmt. Und so haben Alexander Riemenschneider und seine Dramaturgin Regula Schröter in Bremen ein großes Welttheater daraus gelesen, ein perverses Mysterienspiel, ein Fest für die SchauspielerInnen. Der Text – Jelinek hat ihn schubweise online publiziert – gibt das her.

Aber er gibt’s nur sehr widerwillig her. Es gehört schon eine sympathetische Lektüre dazu, überhaupt seinem irren Switchen zwischen den sprachlichen Registern noch lustvoll zu folgen, Spaß zu haben an seinen Sprüngen von hochsprachlichsten Mystik-Metaphern in Kabarettisten-Kalauern und von Hofmannsthal zum totgerittenen Grammatikfehler einer Ex-Schönheitskönigin, den „Aber sicher!“ nachnagend ausweidet: „Was ziemt so dem Mann, als helfen, wo er kann. Uns wurden wir geholfen. Hier werden Sie geholfen. In dieser Bank werden Sie geholfen.“ Und wer meint, Jelinek versuche damit, ernsthaft witzig zu sein, ist leider zu blöde und sollte wegbleiben.

Es dauert zwei Stunden, und deren Herz bildet ein großer Monolog. Den hat Jelinek Rosa Luxemburg gewidmet und er spielt mit Antigone-Motiven und speist sich aus der Entmystifikation des Gerüchts vom Fund der Revolutionärinnen-Leiche in der Charité-Pathologie. In der Enttäuschung aber, diese typische Fettwachsleiche doch nicht zu kennen, lässt Lisa Guth wundervoll subtil den Funken revolutionärer Hoffnung aufglimmen, lässt ihn schließlich auflodern bis zur flammenden Empörung, süperb, „diese Frau ist tot“. Um dann, von zwei Männern in roten Einteilern zur „Miss Rosa Luxemburg“ gekrönt, im satten Gegenlicht – zu verglühen. Und umgestürzt ist nichts als eine Wand.

Gegen die hatte ein clowneskes Männerquintett zu Beginn erst mal die Sache gefahren. Wobei die Sache ein Klavier ist, an dem dann Gregor Schwellenbach Platz nimmt. Und die Wand hat Bühnenbildnerin Rimma Starodubzeva aus OSB-Platten gebaut, ein roher Bretterzaun. Gegen den rennen nacheinander Siegfried W. Maschek, Alexander Swoboda, Robin Sondermann und Nikolai Plath ihre Köpfe, mit Anlauf und Freude. Das Blut spritzt, die Scheiße strömt: Auf sie hat Riemenschneider Jelineks Sprachkonzert zum Kreditsystem und das Cross Border Leasing verteilt, jenes Geschäftsmodell, über das Kommunen ihre Abwassersysteme verpachtet haben.

Die Vier mit den blutigen Nasen changieren dabei, von Schwellenbachs elegantem Salonklimpern beschwingt, zwischen den Identitäten: Sie sind Opfer des Systems und sie sind dessen Mover und Shaker, sie sind die Familie, die ihr Haus verliert, sind die bekloppten Beamten, die den Deal eintüten, sie sind zynische Banker und sie schreiten als anonyme Vertreter großer Kanzleien federnd über die Menschen hinweg – einfach so, ganz wörtlich, von einer Stuhllehne zur nächsten. Und zugleich sind sie doch auch Ödipus. Denn, so wie Jelinek von der geruchfreien Finanzwelt über die Kanalisation nach Venedig gleitet, macht sie den Mythos zum Glutkern ihres Werks dank eines Wortspiels. Aber, Schulden, Schuld, fallen die nicht im gültigen Glaubenssystem wirklich längst in eins?

Die schlechte Nachricht: Alles geht nicht den Bach runter. Nach der Finanzkrise, hat Jelinek mit Entsetzen festgestellt, ist ja alles gerade so wie vor ihr. Hat’s auch noch in einen hastigen Epilog zum Stück bekräftigt, das sie selbst schon als „Eine Fortsetzung“ bezeichnet. Fertig war er erst in der heißen Probenphase, und im Grunde ist das ein Glück. Denn nun sprechen die sechs SpielerInnen diesen „Epilogepilog“ vom Blatt, und das ist, gerade durch seinen provisorischen Charakter, ein raffiniert beklemmendes Schlussbild: Nach diesen zwei furiosen Stunden steht alles wieder da, wie ganz an einem Anfang, eine zweite Leseprobe vielleicht, bei der man sich versuchsweise chorisch in dieses monolithische Sprachgebilde reintastet, das einem da jetzt vor die Füße gefallen ist. Im Fels einen Angriffspunkt zu finden. Um ihn wegzuschieben – bis er zurückrollt, bestimmt. Hölle. Aus.

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