Gorleben wieder dabei: Wahlversprechen bröckelt
Als SPD-Spitzenkandidat schloss Stephan Weil den Salzstock von Gorleben als Atommüll-Endlager strikt aus. Als Ministerpräsident jetzt nicht mehr.
Keine fünf Wochen nach seinem offiziellen Amtsantritt weicht Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) von einem seiner großen Wahlversprechen ab: Am Sonntag einigte sich Niedersachsens rot-grüne Landesregierung mit Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) auf einen gemeinsamen Entwurf für ein Gesetz zur bundesweiten Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Müll. Der Salzstock Gorleben wird darin vorerst nicht kategorisch ausgeschlossen – anders als der SPD-Spitzenkandidat Weil es vor der Landtagswahl im Januar noch vehement gefordert hatte.
Er sei nicht bereit, „aus taktischen Gründen einen Standort in der Diskussion zu lassen, der geologisch immer streitig sein wird“, hatte sich Weil schon früh im Wahlkampf profiliert. „Ich bin ein sehr loyaler Sozialdemokrat, aber ich werde Gorleben nicht mittragen“, kündigte er damals an – und setzte auf Konfrontation zur Bundespartei.
SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel hat sich stets dafür ausgesprochen, Gorleben nicht aus politischen Gründen vorab auszuschließen, sondern im Zuge des Suchverfahrens durch entsprechend strenge Kriterien. Eine Position, auf die sich auch die Grünen mit einem Bundesparteitagsbeschluss festgelegt haben, nicht zuletzt, um Schadensersatzklagen der Atomindustrie zu vermeiden. So zogen die Niedersachsen-Grünen im Wahlkampf zwar mit beim strikten Weil-Kurs – aber irgendwie verhalten.
„Ich betrachte das nicht als Einknicken“, erklärte Weil am Montag, als er in Hannover Niedersachsens Einigung mit dem Bund vorstellte – diese enthalte nämlich „noch keine Aussage Richtung Gorleben“. Die Frage, wo genau in Deutschland potenzielle Standorte für ein Atommüllendlager liegen, kommt nach dem gemeinsamen Gesetzentwurf Weils, Altmaiers sowie des Landesumweltministers Stefan Wenzel (Grüne) frühestens Ende 2016 auf den Tisch. Mit einer konkreten Standortentscheidung rechnet Weil erst „im nächsten Jahrzehnt“.
Zunächst soll eine Enquete-Kommission aus Politik, Umweltverbänden, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Wissenschaft und Wirtschaft bis Ende 2015 Kriterien für eine Standortauswahl ausarbeiten. Die Empfehlungen sollen im Gesetz aufgenommen, konkrete Standorte erst danach benannt werden.
Gorleben, sind sich Weil wie Wenzel sicher, dürfte da längst rausgeflogen sein: Kriterien wie eine rückholbare Lagerung des Atommülls oder ein durchgängiges Deckgebirge könne der Salzstock nicht erfüllen.
Schließen sich die restlichen 15 Bundesländer dem Vorstoß an, soll es zudem keine weiteren Vorfestlegungen auf Gorleben geben. Konkret: Keine neuen Castortransporte ins dortige Zwischenlager, wo schon jetzt 113 Behälter mit Atommüll stehen. Auch die seit Jahrzehnten laufenden Erkundungsarbeiten des Salzstocks sollen eingestellt werden – „unbefristet“, so Umweltminister Wenzel am Montag. Er nennt den Vorschlag einen „Meilenstein“, spricht von der Chance auf einen „echten Neubeginn“ der Endlagersuche.
Ganz so weit mag man im Wendland nicht gehen. Während von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und von Grün-Rot in Baden-Württemberg Lob kommt, dominiert rund um Gorleben Skepsis. Hannover sei dabei, ein „wenige Monate altes Wahlversprechen zu brechen“, heißt es von Greenpeace. Die Anti-Atom-Initiative Ausgestrahlt warnt, bei der geplanten Kommission könne es nur um „Scheinbeteiligung“ gehen.
Dass Gorleben im Rennen bleibe, nennt die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg schlicht „untragbar“. Dadurch werde zudem das „Lügengebäude“ Gorleben anerkannt: Mit „Verfahrenstricks und Lügen“ habe die damalige Landesregierung Ernst Albrecht (CDU) den Salzstock 1977 überhaupt als Standort ausgewählt. Weitere Proteste und Widerstand, warnt die Initiative, seien absehbar.
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