Ex-Banker über Steueroasen: „100.000 Euro lohnen sich nicht“
Der Ex-Banker Rudolf Elmer erzählt, wie leicht man seine Millionen dem Staat entziehen kann. Und welchen Service die Banken dabei bieten.
taz: Herr Elmer, Sie haben jahrelang für Schweizer Banken gearbeitet, auch in Steuerparadiesen wie Mauritius und den Cayman-Inseln. Nehmen wir an, ich wäre mit 100.000 Euro zu Ihnen gekommen – was hätten Sie mir damals geraten?
Rudolf Elmer: 100.000 Euro? Nichts. Das lohnt sich nicht. Für europäische Verhältnisse an der unteren Grenze sind 3 Millionen Euro aufwärts, da hätten wir Ihnen ein Offshore-Produkt angeboten.
Okay, dann komme ich mit 20 Millionen. Spielen wir das mal durch.
Dann hätte ich Sie gefragt: Woher haben Sie das Geld? Lottogewinn? Erbe vom Onkel in den USA? Das Risk Managment der Bank verlangt dann eine Identitätsprüfung, um herauszubekommen, ob gegen Sie ein Verfahren läuft oder Ähnliches. Vielleicht sind Sie aber auch eine Politically Exposed Person – im Fachjargon PEP.
Etwa eine der Töchter des aserbaidschanischen Präsidenten Aliyev?
Zum Beispiel. Gewisse Banken führen PEPs als „permanent exception“, als dauerhafte Ausnahmen. So ein gutes Geschäft lehnt man nicht ab – das haben die Daten von Offshore-Leaks gezeigt.
Kommen diese Leute dann in der Bank vorbei?
Ich als Kundenberater hätte gesagt: Besuchen Sie mich in meinem Schweizer Büro, damit wir die Sache ungestört besprechen können. Bei dieser Größenordnung ist man zu gewissen Konzessionen bereit.
Wirtschaftsprüfer: Der 57-jährige Zürcher Rudolf Elmer arbeitete von 1994 bis 2002 für die Schweizer Bank Julius Bär auf den Cayman Islands und von 2006 bis 2008 für das südafrikanische Geldhaus Standard Bank auf der Insel Mauritius. Dann wurde der Bankmanager entlassen.
Whistleblower: In der Folge übergab Elmer geheime Kundendaten an Steuerbehörden und an die Enthüllungsplattform Wikileaks. Laut Elmers Angaben sollen allein der Schweiz durch seine Tätigkeit rund 100 Millionen Franken Steuergelder entgangen sein. 2005 schickte Elmer der Schweizer Wirtschaftszeitung Cash eine CD mit 169 Megabyte Kundendaten.
Angeklagter: Kurz darauf wurde Elmer in Zürich verhaftet. Anfang 2011 verurteilte ihn das Bezirksgericht Zürich wegen versuchter Nötigung und Verletzung des Bankgeheimnisses zu einer Geldstrafe. Dagegen legten Elmer sowie die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Stunden nach dem Urteil wurde Elmer erneut festgenommen. Er hatte schon wieder Daten an Wikileaks geleitet und in London zwei CDs an Julian Assange übergeben. Das Verfahren läuft noch. Elmer glaubt, dass es gut für ihn aussieht. Er lebt derzeit vom Einkommen seiner Frau.
Modell: Der Schweizer Tages-Anzeiger schreibt: „Elmer ist der Modellfall eines Whistleblowers. Gerade weil er kein Engel ist. Fast alle Whistleblower sind schwierige Fälle. Sie verraten Missstände nicht nur aus Gerechtigkeitsempfinden, sondern auch aus anderen Motiven, etwa verletzter Eitelkeit.“ (ksc)
Welche Konzessionen?
Nehmen wir an, Sie sind der Sohn von Gunter Sachs – dann würde man gar nicht erst groß prüfen.
Und dann?
In unserem Familiy Office sitzen Anwälte, die setzen für Sie eine Offshore-Struktur auf. Zum Beispiel einen Trust mit verschiedenen Companys: eine Aktiengesellschaft auf den Virgin Islands, die das Wertschriftenportfolio hält, eine Aktiengesellschaft auf den Cook Islands für die Yacht in Monaco, auf Singapur deponieren wir Ihre Kunst oder Ihre Immobilien.
Welchen Zweck haben solche Briefkastenfirmen?
Grundsätzlich sollen die Gewinne in steuerneutrale Staaten verschoben und Ihr Einkommen und Vermögen in Deutschland möglichst kleingerechnet werden. Zum Beispiel: Von den 20 Millionen gibt Ihnen die Liegenschaftsfirma einen Kredit, mit dem Sie in Berlin eine Immobilie kaufen. Dafür zahlen Sie Zinsen nach Singapur.
Das nützt Ihnen doppelt: Einmal ist der Zinsaufwand abzugsfähig von Ihrem Einkommen in Deutschland, auf Singapur ist der Zinsgewinn Ihrer Firma steuerfrei. So gehen viele Superreiche in eine steuerliche Auszeit. Viele dieser Leute haben sich von jeder sozialen Verantwortung abgenabelt – und nutzen dennoch Schulen, Flughäfen oder Autobahnen, die die Allgemeinheit finanziert.
Wo lege ich denn mein Geld am besten an? In Delaware, in Norderfriedrichskoog, in Panama oder auf den Cayman-Inseln?
Auf keinen Fall im Offshore-Paradies. Diese Zwergstaaten sind politisch viel zu instabil, besser ist ein anerkannter Finanzplatz. Die Schweiz, Luxemburg, London oder Frankfurt. Es ist auch viel zu gefährlich, Post oder Telefonate aus Übersee zu erhalten, das merken deutsche Steuerfahnder sofort. Sie als Superreicher versuchen besser, die Banken gegeneinander auszuspielen. Das geht wie beim Pferderennen: Sie schicken fünf Pferdchen mit Namen wie „Deutsche Bank“, „UBS“, „Barclays“, „HSBC“ und „Commerz“ auf die Rennbahn. Die bekommen je 2 Millionen Euro – und dann schauen Sie, welches am besten springt, also die beste Rendite abwirft. Währenddessen sind Ihre Eigentumsverhältnisse längst Richtung Offshore „abgetaucht“.
Was kann man denn in diesem Bereich verdienen?
Das ist ein hochprofitables Geschäft. Eine Anwaltskanzlei in Panama gründet schon für 4.000 Dollar per Internet eine Firma. Aber da können noch Gebühren dazukommen. Zum Beispiel für eine Fluchtklausel, die Ihnen garantiert, dass Sie Ihr Konstrukt binnen 24 Stunden in eine andere Oase verschieben können. Oder für einen „Convenience Settler“, einen Strohmann, der für Sie einen „Sunshine Trust“ oder „Rainy Day Trust“ – reine Fantasienamen – gründet.
Er kassiert noch mal bis zu 40.000 Euro. Für Ihre 20 Millionen nimmt die Bank Ihnen im ersten Jahr mindestens 100.000 Dollar ab, wenn alles anonym laufen soll. Kunden akzeptieren dies, es ist immer noch weniger als Ihre Steuerlast. Und: Wer einmal Ja gesagt hat, ist der Bank auch zu einem gewissen Grad ausgeliefert. Beide haben ein Geheimnis – und beide verdienen daran!
Und wenn ich mein Geld brauche?
Kein Problem. Der Banker gibt Ihnen beim Diner-Gespräch über ihre Vermögensentwicklung in der Schweiz oder in New York oder London einfach die 50.000 in bar. Wenn Sie die Quittung nicht unterschreiben wollen, unterschreibt der Banker für Sie – er hat ja die Vollmacht.
Recherche: Ein Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) aus 46 Ländern hat vergangene Woche die Veröffentlichung von Material über Geheimgeschäfte in Steueroasen gestartet. Die Storys basieren auf einem Datensatz mit 2,5 Millionen Dokumenten, in denen 130.000 Personen aus mehr als 170 Ländern genannt werden. Ein Unbekannter machte die Daten dem ICIJ zugänglich.
Namen: Oligarchen, Waffenhändler und Finanzjongleure aus der ganzen Welt werden genannt. In den Unterlagen finden sich auch hunderte Deutsche wie der 2011 verstorbene Millionenerbe Gunter Sachs. Dessen Nachlassverwalter weisen die Vorwürfe zurück.
Ursprung: Die Datenmenge umfasst 260 Gigabyte. Die Dokumente stammen von zwei Firmen, die auf die Errichtung von Offshore-Gesellschaften spezialisiert sind. Sie gehören zu den größten Anbietern weltweit.
Offshore: Der englische Begriff bedeutet „außerhalb der Küstengewässer liegend“ und beschreibt eigentlich die zu einem Land gehörenden Hochseeinseln. Später wurden daraus steuerlich begünstigte Gebiete in Übersee. 1960 gab es weltweit 10 Steueroasen, heute spricht das Tax Justice Network von über 70. (ksc)
Steckt denn hinter den 32 Billionen Dollar, die weltweit angeblich in Steueroasen angelegt sind, automatisch Geld aus schwarzen Kassen?
Nun, je nach Kunde variiert die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Vermögen handelt, das dem Fiskus nicht offengelegt wurde.
Handeln die Banken bewusst illegal – oder agieren sie nur besonders geschickt an der Grenze zur Legalität?
Das Staaten-Geschäftsmodell „Offshore“ ist hochprofitabel, die Gesetze sind kulant. Die gleiche Transaktion, die auf den Cayman-Inseln legal ist, ist in Deutschland illegal. Viele Banken handeln lieber nach den Gesetzen in Übersee.
Unser 20-Millionen-Deal ist aber illegal – oder?
Wie denn und in welchem Land? Nur ein Einwand: Die Banker sind nicht dafür verantwortlich, was auf den Jungferninseln passiert, sie verwalten das Geld nur. Und doch haben wir bei Julius Bär einst 40 bis 50 Prozent des Konzerngewinns im Offshore-Geschäft verdient. Damit, dass die Gewinne am richtigen Ort anfallen und an den Finanzämtern vorbeigehen!
Weiß denn der Banker, dass es häufig um Drogen- oder Mafiageld geht?
Der Banker kann es ahnen, dem Geld sieht man es nicht an.
Was kann die Politik tun?
Es braucht einen politischen Willen, die Geschäftsmodelle ganzer Staaten zu beenden. Man muss die Steueroasen unter Druck setzen, ihr Bankgeheimnis zu opfern – das machen die USA im Moment mit der Schweiz und Liechtenstein.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück fordert den automatischen Informationsabgleich zwischen Banken und Finanzämtern der Welt – das Ende von Anonymität und Bankgeheimnis. Halten Sie das für realistisch?
Der Ansatz stimmt, aber das Problem muss weltweit bekämpft werden. Die OECD muss ihre eigenen Steueroasen austrocknen, da muss etwas in der Größenordnung eines Marshall-Plans her. Das traue ich Herrn Steinbrück, mit Verlaub, nicht zu.
An diesem Wochenende versuchen die Finanzminister der Eurozone, den Informationsaustausch über Dividenden und Veräußerungsgewinne durchzusetzen. Und immerhin wollen sich jetzt auch Luxemburg und Österreich zu diesem Informationsaustausch bei den Zinserträgen durchringen. Was halten Sie davon?
Ein erster Ansatz, aber die Finanzindustrie hat sich längst darauf eingerichtet, Schlupflöcher zu bauen, um das alles zu umgehen. Für wichtiger halte ich, dass das Country-by-Country-Reporting bei Großkonzernen durchgesetzt wird.
Was ist das?
Die Firmen müssen dann im Geschäftsbericht zeigen, wo ihre Gewinne und Verluste anfallen. Es ist doch höchst seltsam, wenn eine Firma auf den Virgin Islands Riesengewinne einfährt, aber quasi keine Angestellten hat. Oder dass bei ihrer Tochter in Deutschland nur Verluste anfallen. Warum zahlen Konzerne wie Google oder Starbucks in England und Deutschland kaum Steuern?
Nach den Bankdaten-CDs nun Offshore-Leaks. Was erfahren wir durch Offshore-Leaks, was wir nicht schon gewusst haben?
Das hat eine neue, gewaltige Dimension. Bislang hatten wir nur ein paar CDs mit Daten von Bankkunden einer bestimmten Bank, jetzt ist die Steuervermeidungsindustrie weltweit in Gefahr. Ihre Offshore-Konstrukte werden offengelegt: Banken, Versicherungen, Steueranwälte, Treuhänder und Prüfer sind daran beteiligt – jetzt könnte es ihnen an den Kragen gehen. Natürlich zittern auch viele Anleger.
Sie haben einst als Whistleblower Julian Assange zwei CDs mit Angaben von mutmaßlichen Steuersündern überreicht. Was bedeutet Offshore-Leaks für Wikileaks?
Professionelle, investigative Journalisten decken auf, die vierte Macht tut endlich ihre Arbeit: die Machenschaften eines der Krebsgeschwüre unserer Gesellschaft aufdecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos