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Kolumne Geht's noch?Achtung, Friedensradler unterwegs!

Jürn Kruse
Kolumne
von Jürn Kruse

Manche Menschen wollen mit dem Rad einfach von A nach B. Andere wollen träumen, quatschen – und drängeln.

Man weiß nie, wo noch einer auftaucht. Bild: dpa

E ndlich ist er da: der Frühling. Die Bäume knospen, die Cafés sind voll, auf den Straßen Berlins begegnet einem allerorten ein freundliches „Guten Morgen“ oder ein herzliches „Lern erst mal die Straßenverkehrsordnung, du Penner“ – denn alle scheinen in spontaner Gleichzeitigkeit ihr viel zu lange eingemottetes Fahrrad aus dem Keller geholt zu haben. Es ist zum Kotzen.

Peter Ramsauer wusste ja schon viel früher als wir, dass der Frühling bald kommen würde, deshalb ist er auch Bundesverkehrsminister. Und deshalb hat er schon mal vorsorglich den „Kampfradlern“ den Kampf angesagt. Dabei sind nicht die Kampfradler die größte Gefahr für Leib und Leben. Es sind die Friedensradler.

Wenn es kalt ist, ist der zügige Radfahrer der König der Straße oder zumindest der König des Fahrradwegs. Sobald die Temperaturen steigen, ist der mit vernünftiger Geschwindigkeit sich fortbewegende, sich dabei – selbstverständlich – dennoch an die Verkehrsregeln haltende Fahrradfahrer der dümmste Idiot.

Denn dann kommen sie, die Friedensradler. An jeder Ampel schlängeln sie sich an allen anderen Fahrrädern vorbei, um sich ganz vorne einzureihen.

privat
Jürn Kruse

ist Medienredakteur der taz.

Dass sie zuvor von all diesen Radfahrern überholt wurden, kümmert sie nicht. Dass sie beim Anfahren die Langsamsten sind, kümmert sie auch nicht. Dass sie nun wieder von all jenen mit halbwegs normaler Durchschnittsgeschwindigkeit auf viel zu engen Fahrradwegen oder – noch gefährlicher – auf der Straße passiert werden müssen, ist ihnen ebenfalls egal. Ich stell mich doch auch nicht mit einem Bobby-Car in die erste Startreihe beim Formel-1-Rennen!

Doch die Friedensradler ficht das nicht an. Im Gegenteil. Sie fahren gern noch in Zweierreihen nebeneinander und unterhalten sich in ihrer grenzenlosen moralischen Überlegenheit darüber, wie gefährlich doch die anderen Radler seien. Dabei strampeln sie so langsam, dass sie auch absteigen und warten könnten, bis die Plattentektonik sie an ihr Ziel schiebt.

Die meisten anderen Radler fallen bei solch einer geringen Geschwindigkeit einfach um. Nicht so die Friedensradler, sie werden gehalten von ihrer Selbstzufriedenheit und in ihrer Tugendhaftigkeit, gestützt von Peter Ramsauer. Glückwunsch.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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20 Kommentare

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  • F
    Frank

    Danke. Spricht mir aus der Seele der Artikel. Vielleicht sollten der Autor und ich dochmal eine Klingel montieren. Die alte Radlauf- bzw. Sturmklingel macht im Sommer besonders viel Spaß meinte ein Kumpel von mir ;-)

  • A
    aujau

    @ Michael: Das Autokennzeichen HSK wird auch bei Eingeweihten mit "Hoerst du sie kommen" uebersetzt.

  • T
    Tobo

    Sehr schön! Und ich dachte schon, es würde nur mir so gehen. Es fehlen noch die Hipster-Weibchen in Universum-Leggins, die einen umfahren, weil sie permannent SMS schreiben beim Fahren ;)

  • AB
    Achim B.

    Oh, ja, danke. Stimmt leider alles. Vor allem die Spezialisten und noch mehr die Spezialistinnen, die sich an einer roten Ampel vordrängeln und dann nicht in die Puschen kommen, wenn’s Grün wird, sind mir die Allerliebsten.

  • P
    Perejil

    @kerstin mahr:

    Der Autor hat Ihnen ja nicht das Recht abgesprochen, auch mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Bloß - und das ist die Crux -, dann sollten Sie sich eben auch nicht immer an Ampeln ganz nach vorne drängeln (wie es oft geschieht). Wenn Sie nun sagen: "Das tue ich doch eh nicht!", umso besser, dann brauchen Sie sich von dem Artikel auch nicht angesprochen fühlen...

    Allzeit gute Fahrt wünscht

    Perejil

  • M
    Michael

    Warum soll das bei Fahrradfahrern (vulgo: bessere Menschen) anders sein als bei Autofahreren? Schon mal am Sonntag durch das Sauerland gefahren? Ich denke, "Egozentrische Idis", wie sie ein Mitkommentator nannte, gibt es auch unter den Fußgängern (dort nehmen sie die Umgebung nicht wahr, weil sie gerade ihre mails checken müssen), ist alles einfach nur ein gradueller Unterschied in der Nerverei / Gefährdung anderer.

  • GA
    Gegen Autos

    Knüppel zwischen die Speichen von Bürgersteigrasern, schnelle Fahrräder gehören auf die Strasse. Überholen Autos unter 50cm Abstand, massenhaft Spiegel umkloppen und die Strassen werden sicherer. Sind sie lernresistent, dann auf 1,00, bzw. 1,50 Sicherheitsabstand ergänzen.

  • BR
    Brakes R For Weiners

    Am besten sind diese Spreebulettentaucher, die, weil sie zu feige sind ohne Bremsen zu fahren, sich ihr Singlespeed so gestalten lassen, daß es von weiten aussieht wie ein Fixie. Man nennt diese Posenger auch "Free-Wheel-Pussies."

  • KM
    kerstin mahr

    Schon mal daran gedacht, dass nicht alle Leute gleich jung und gleich fit sind? Fahrradfahren liebe ich, doch brauche ich wegen eines Knieproblems beim Anfahren etwas länger. Soll ich deshalb nur noch am Wochenende im Wald radeln, damit Herr Nicht-Friedensradler beim Fahren auf dem Fahrradweg sein gewohntes Tempo hält?

  • O
    ohno

    Lern' Du mal erst, zwischen "auf der Straße" und "auf der Fahrbahn" zu unterscheiden. "Auf der Straße" fahren (und gehen) nämlich hoffentlich alle - oder benutzt Du fremder leute Vorgärten?

  • R
    Radilo

    Und die seh' ich auch immer schon von weitem, die sich unter Garantie dafür entscheiden, dir in den Weg zu laufen, sobald sie dich als den Radfahrer ausgemacht haben, dem man jetzt ausweichen muss. Hühnerstall und Plattentektonik: unschlagbare Kombination.

  • E
    Emre

    Lustig. Ich bezeichne mich selbst als Kampfradler da ich mich ständig über Autofahrer, Fußgänger, Radfahrer ärgere. Der Verkehr muss flüssig fließen, leider ist dies nicht so daher fahr ich wie es passt ohne aber Jemanden zu gefährden.

  • V
    vic

    Wie jetzt, Herr Kruse?

    Besser parkende SUVs, Kinderwagen und Friedenswalker auf dem Radweg?

    Grüße vom Einfachsoradler.

  • SR
    Speedpedelec Raser

    Und immer schön intollerant bleiben, Freunde :-)

  • A
    aujau

    Egozentrische Idis gibt es unter allen Verkehrsteilnehmern. Sind in der Stadt besonders nervend.

  • M
    ma10

    Herrlich! Selten so schön gelacht. Und wie recht Sie haben: Vor ein paar Wochen kam ich wirklich zügiger und vor allem entspannter zur Arbeit.

    Es gibt eben solche und solche "Rad fahrende" (was ja auch völlig in Ordnung ist solange es breite Radwege gibt).

  • K
    Krampfradler

    "Dabei strampeln sie so langsam, dass sie auch absteigen und warten könnten, bis die Plattentektonik sie an ihr Ziel schiebt."

     

    Sehr schön :-)

  • R
    Rixdorf

    Schöner Artikel - spricht mir aus dem Herzen...

    und als Krönung gibt es dann noch die Pseudorennradfahrer_innen, die bei Schneckentempo Lenker tief greifen und beim Anfahren nach rechts und links taumelnd versuchen, in die Pedalriemen zu kommen. Weil es so hipp ist.

  • ET
    Ed Tachmond

    Sind die Radwege in Berlin umzäunt? Was können denn die Saisonradler dafür, das du stehen bleibts? Ich fahr mindestens 1000Km pro Monat in der Stadt - und zwar das ganze Jahr - und wenn mich was nervt, dann Fliegen im Mund. Hör ma auf zu heuln und fahr auf der Straße.

  • J
    Jan

    Netter Artikel, aber "Friedensradler"? Wohl eher schönwetterausflugsradler, oder ähnliches. Naja, die Menschen sehen eben immer nur sich selber. Kinderwagenarmee, bei 3 Grad Draußenkaffeeschlürfer oder eben die Großgruppenspaziergänger, erstmal komm ICH und danach kommt keiner.