Kommentar Leitzins: Götterdämmerung
Die Europäische Zentralbank hat sich von der reinen Lehre des Neoliberalismus verabschiedet. Doch das allein wird Europa nicht aus der Rezension holen.
W ir erinnern uns: Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg, ein niederländischer Sozialdemokrat, wurde noch als „germanischer Geldpolitiker“ beschimpft. Die geradewegs manische Fixierung der Europäischen Zentralbank auf Preisstabilität als selig machendes Heilsversprechen galt als Fortschreibung der engstirnigen Geldpolitik der Deutschen Bundesbank.
Doch die germanische Geldpolitik ist am Ende. Schon der französische, moderat linke Nachfolger Jean-Claude Trichet reagierte auf die Banken- und Finanzkrise seit 2007 mit Lockerungen wie der direkten Staatsfinanzierung und stellte die Krisenbewältigung über die reine neoliberale Lehre. Mit der gestrigen Leitzinssenkung setzt der ausgerechnet von Goldman Sachs kommende Mario Draghi diesen Trend gegen den ausdrücklichen „Rat“ der Kanzlerin Merkel fort.
Nutznießer des neuen Mini-Leitzinses von 0,5 Prozent gibt es viele. So kosten die neuen Staatsanleihen, mit denen alte Schulden abgelöst und neue gemacht werden, immer weniger Zins – wodurch die Euro-Finanzminister, vor allem Wolfgang Schäuble, Abermilliarden Euro „einsparen“. Der Mini-Leitzins wird so die Kreditvergabe an die Wirtschaft ankurbeln – aber nicht beflügeln.
ist Autor der taz.
Jedes neunte kleine oder mittelständische Unternehmen in der Eurozone bekommt laut EZB kein Bankdarlehen mehr. Und das liegt kaum an zu teuren Krediten als vielmehr an tragfähigen Geschäftsmodellen in der Realwirtschaft: Europa, mit Ausnahme des Sonderfalls Deutschland, steckt tief in der Rezession, ganze Volkswirtschaften schrumpfen, an zweistellige Arbeitslosenraten und Jugendmassenarbeitslosigkeit hat sich die Politik offenbar gewöhnt. Leitzinssenkungen und andere Lockerungsmaßnahmen der EZB können niemals ausreichen, um Europa zu retten. Auch der dogmatische Sparkurs der Politik bedarf einer Götterdämmerung.
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