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Kommentar LeitzinsGötterdämmerung

Hermannus Pfeiffer
Kommentar von Hermannus Pfeiffer

Die Europäische Zentralbank hat sich von der reinen Lehre des Neoliberalismus verabschiedet. Doch das allein wird Europa nicht aus der Rezension holen.

W ir erinnern uns: Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg, ein niederländischer Sozialdemokrat, wurde noch als „germanischer Geldpolitiker“ beschimpft. Die geradewegs manische Fixierung der Europäischen Zentralbank auf Preisstabilität als selig machendes Heilsversprechen galt als Fortschreibung der engstirnigen Geldpolitik der Deutschen Bundesbank.

Doch die germanische Geldpolitik ist am Ende. Schon der französische, moderat linke Nachfolger Jean-Claude Trichet reagierte auf die Banken- und Finanzkrise seit 2007 mit Lockerungen wie der direkten Staatsfinanzierung und stellte die Krisenbewältigung über die reine neoliberale Lehre. Mit der gestrigen Leitzinssenkung setzt der ausgerechnet von Goldman Sachs kommende Mario Draghi diesen Trend gegen den ausdrücklichen „Rat“ der Kanzlerin Merkel fort.

Nutznießer des neuen Mini-Leitzinses von 0,5 Prozent gibt es viele. So kosten die neuen Staatsanleihen, mit denen alte Schulden abgelöst und neue gemacht werden, immer weniger Zins – wodurch die Euro-Finanzminister, vor allem Wolfgang Schäuble, Abermilliarden Euro „einsparen“. Der Mini-Leitzins wird so die Kreditvergabe an die Wirtschaft ankurbeln – aber nicht beflügeln.

Hermannus Pfeiffer

ist Autor der taz.

Jedes neunte kleine oder mittelständische Unternehmen in der Eurozone bekommt laut EZB kein Bankdarlehen mehr. Und das liegt kaum an zu teuren Krediten als vielmehr an tragfähigen Geschäftsmodellen in der Realwirtschaft: Europa, mit Ausnahme des Sonderfalls Deutschland, steckt tief in der Rezession, ganze Volkswirtschaften schrumpfen, an zweistellige Arbeitslosenraten und Jugendmassenarbeitslosigkeit hat sich die Politik offenbar gewöhnt. Leitzinssenkungen und andere Lockerungsmaßnahmen der EZB können niemals ausreichen, um Europa zu retten. Auch der dogmatische Sparkurs der Politik bedarf einer Götterdämmerung.

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Hermannus Pfeiffer
Autor
Soziologe und promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Spezialgebiete: Banken/Versicherungen/Finanzmärkte und maritime Industrie. Arbeitet seit 1995 als freier Wirtschaftspublizist in Hamburg. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, zuletzt „Gewinn ist nicht genug! 21 Mythen über die Wirtschaft, die uns teuer zu stehen kommen“, Rowohlt Verlag, Reinbek 2021.
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2 Kommentare

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  • M
    Majorg

    Den Einzigen denen ein Kredit nützt sind die Banken, diese dürften in der Regel die Zinssenkung nicht an die Realwirtschaft weitergeben sondern ihre Bilanz aufbessern durch Nichtweitergabe an die Realwirtschaft oder Umleitung in den Finanzmarkt. Anosonsten spielt die EZB weiter keine Rolle, solange es am Bankenmarkt Kapital gibt. Ist dieser ausgetrocknet sind die Banken kapitalbedürftig und die EZB muss Geld ins System pumpen.

    Es geht meines Erachtens nicht um die Förderung der Realwirtschaft durch Zinssenkung sondern um Erhalt des Finanzsystems.

     

     

    Deswegen würde mich interessieren, wie es derzeit auf dem Interbankenmarkt aussieht? Was wurde reguliert und wieviel investieren die Banken momentan in die Realwirtschaft und was liegt schon wieder auf den Finanzmärkten?

  • JJ
    Jared J. Myers

    "Und das liegt kaum an zu teuren Krediten als vielmehr an tragfähigen Geschäftsmodellen in der Realwirtschaft" -

    Bingo. Der nächste Schritt zur Erkenntnis bestünde aus der Frage, wo es denn in der Realwirtschaft hakt. Schließlich gibt es genügend Wünsche und Bedürfnisse - in vielen Gegenden der Welt existenzielle, in Deutschland immerhin dringende. Es klingt völlig trivial: Da, wo die Bedürfnisse sind, fehlt das Geld, und wo das Geld ist, fehlen die Bedürfnisse. So wird nie ein Markt für Produkte der Realwirtschaft daraus.

     

    Nun könnten die Geldbesitzer ja einen Teil ihres Geldes für Erweiterungs-Investitionen ausgeben, in der Hoffnung, dass dies genügend Jobs schaffen müsste, um aus einem paar Bedürfnisbesitzern wieder einen Markt zu machen, wenn es nur genügend Geldbesitzer täten. Hier wird das Ganze zu einem spieltheoretischen Problem:

    - Kooperieren alle Geldbesitzer (mittels Investitionen), haben alle gewonnen (sie machen Gewinne auf den entstehenden Märkten).

    - Kooperiert einer, und der Rest macht nix, gewinnen die, die nix machen, weil durch die Investitionen des Einen ein kleiner Markt entsteht, den aber alle bedienen können, auch ohne groß erweitern zu müssen.

    - Kooperiert die Mehrzahl, und einer macht nix, ist der Eine der Verlierer, weil er - im Gegensatz zu seinen Mitbewerbern - für die plötzlich anschwellende Kaufkraft keine zusätzlichen Erzeugnisse in die Regale stellen kann.

    - Verweigern sich alle, geht es auf Dauer allen schlechter; ihre Umsätze und Gewinne gehen zurück.

     

    Wie das Spielchen diesmal ausgeht, ist noch nicht ganz klar - es ist nur eines offensichtlich. Sollten alle oder die Mehrzahl kooperieren, gewinnen diejenigen, die die schlechtesten Löhne und Gehälter zahlen (bzw. nach umfangreicher Rationalisierungs-Investition die niedrigsten Lohnstückkosten haben), am meisten. Was zur Folge hat, dass es am Ende des Zyklus noch mehr Bedürfnisse ohne Geld und noch mehr Geld ohne Bedürfnisse gibt. Man nennt diesen Zustand, sofern Güter betroffen sind, "Fehlallokation". Hier ist das Zahlungsmittel selber betroffen, und dessen Fehlallokation ist weltweit gigantisch - mit wachsender Tendenz.

     

    Lösungsmöglichkeiten dafür gäbe es einige; ansatzweise könnten die Gewinne durch Steuern abgeschöpft und vom Staat sinnvoll investiert werden. Dazu müssten Kapitalerträge höher besteuert werden als Arbeit. Hierzulande ist es gerade umgekehrt.

     

    Mein Favorit wäre die weitgehende Abschaffung der Institution des Erbens (oberhalb eines großzügigen Freibetrages von vielleicht 100.000 EUR), kombiniert mit dem Verbot der Anteilsrückkäufe von Kapitalgesellschaften - es geht darum, dass jeder Anteil an einer Kapitalgesellschaft um ein oder zwei Ecken herum einer natürlichen Person gehört, nach deren Ableben also den Besitzer wechselt.

     

    Erben ist geradezu die Antithese zum Leistungsprinzip, es zementiert die Ungleichverteilung, ist das Gegenteil von gerecht und kann sogar Unternehmen in Privatbesitz schwer schädigen. Das häufig gehörte Argument, Betriebe wären in der Gründerfamilie am besten aufgehoben, ist bei mehr als zwei Erben meistens Makulatur; für die meisten Betriebe wäre die Vergabe der Fortführung an eine Person, die sich auf dem Wege der Ausschreibung und durch Einlage einer gewissen Beteiligung als Geeignetste erweist, die beste Lösung.