Polizeiruf 110 aus der Westernstadt : Oh, wie grau ist Brandenburg
Es sind Wendeverlierer, die zum Betriebsausflug in die brandenburgische Westernstadt einfallen. Die Chefin entkommt nur knapp dem Tode, ihr Insulin war verschwunden.
Ein Mann sitzt im Frühstücksraum eines Westernhotels mitten in Brandenburg, er schneidet sein Brötchen auf und schaut seiner Chefin (Catherine Flemming) beim Sterben zu. Die hat Diabetes, war soeben im eiskalten See neben dem Hotel schwimmen – es ist Herbst im neuen RBB-„Polizeiruf“ – und kann sich nach einem Zuckerschock zwar noch an Land retten, doch ihre Notfalltasche mit den Insulinspritzen ist verschwunden.
Nackt robbt sie schließlich über den Holzfußboden der Hotellobby und schafft es nicht zum Telefon.
Die letzten Zuckungen eines missratenen Betriebsausflugs der Bootswerft Stolze – zu DDR-Zeiten ein gut gehender Betrieb, nun vom Kapitalismus beinahe aufgezehrt – tun weh.
Diese Polizeiruf 110-Ankündigung und andere Geschichte lesen Sie in der neuen taz.am wochenende vom 4./5. Mai 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit dem heimlichen Star des Kirchentages Fulbert Steffensky. Und: Wie in einem Dorf in Brandenburg ein Schweinestall zur Opernbühne wird. Außerdem klingelt die taz mal wieder an fremden Türen – diesmal in Friedland. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im //:Wochenendabo.
Es ist gleichzeitig die stärkste Szene in „Vor aller Augen“, das eigentlich mehr Sozialdrama (die Wende, ihre Verlierer) als Krimi sein will. Was auch keine schlechte Idee war, denn die schnarchnasige Beinahe-Mordfall-Geschichte ist nicht mehr als solide Fleißarbeit (Buch und Regie: Bernd Böhlich) und ermittelt sich halt so weg.
Brandenburg ist grau und die Gesichter der Menschen sind leer. Weil sie, wie die Mitarbeiter der Bootswerft Stolze, allesamt Wendeverlierer sind und Sätze sagen wie: „Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden.“ Noch 20 Jahre nach dem Mauerfall sind sie verzweifelt, weil sie am Telefon Englisch sprechen sollen (die Sekretärin) oder mal „so ’ne Art Ökonom“ waren, und jetzt? „Einkäufer. Wenn’s was einzukaufen gibt.“
Und doch schafft es der Fall – allzu viel Herbstnebel und einer ganzer Menge Klischees zum Trotz – glaubhaft zu bleiben. Was zu einem großen Teil an Maria Simon liegt, deren heiter-leichtes Spiel der Kommissarin Olga Lenski verhindert, dass der Fall vor lauter Bedeutungsschwere an sich selbst erstickt.
Beinahe jedenfalls. „Man darf schimpfen, auf die Welt, auf das System, auf korrupte Dumpinglöhne“, referiert sie am Ende. Aber einen Menschen sterben lassen, „das darf man nicht.“
„Polizeiruf 110 – Vor aller Augen“; So., 20.15 Uhr, ARD
Leser*innenkommentare
ElbeRunner
Gast
Nein, die Frau stirbt nicht.
Das Grauen kehrt zurück.
lion
Gast
also für ne 10. klasse projekt-arbeit wärs grade noch so durchgegangen
I love Olga
Gast
Ich mag Maria Simon und ihren Co Ermittler.
Im Moment der einzige "Tatort", den ich noch anschaue.
Differenziertes menschliches Beziehungsspiel.
DerDemokrator
Gast
Und Otto Sander hat richtig schön böse geguckt ohne viel zu sagen.So schön können das nur Charakterdarsteller-aber´n bißchen öde war die Story schon über 20 Jahre nach dem Mauerfall.
Wüstenratte
Gast
In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder einer gegen `n Baum gegurkt!!....
Isaacs
Gast
Die Chefin ist gar nicht gestorben. Man muss den Film nur bs zum Schluss gucken.
(In der Tat, das ist richtig: Die Chefin stirbt nicht. Es war ein Fehler des Redakteurs und nicht der Autorin. Wir haben geändert. Danke für den Hinweis. Die Red./wlf)