piwik no script img

ZWISCHEN DEN RILLENMächtiges Zusammenspiel kleiner Elemente

Apparat: „Krieg und Frieden“ (Mute/Good to Go)

Den Berliner Lockenschopf Apparat prägt seine atmosphärische Musik, mit der er einen eigenen Kosmos zu schaffen weiß. Dass diese Fähigkeit für eine Auftragsmusik Gold wert ist, zeigt er auf dem neuen Album „Krieg und Frieden“, Musik für das gleichnamige Theaterstück.

Als Sascha Ring, der Mann hinter dem geheimnisvollen Pseudonym Apparat, vom Regisseur Sebastian Hartmann darum gebeten wurde, seine Inszenierung von Tolstois Klassiker der Weltliteratur musikalisch zu begleiten, rechnete er nicht mit einem solchen Prozess.

Mit dem Roman im Gepäck verbrachte Ring vier Wochen in Thailand. Dort ließ er sich vollständig auf die Geschichte ein und tat das, was ihm am meisten liegt: experimentieren. Im Anschluss mietete er mit zwei seiner Bandkollegen eine alte Fabrikhalle zum Proben.

Die Unmittelbarkeit der Aufführung stellte für den 34-jährigen Elektronikproduzenten eine Herausforderung dar. Zu seiner Erleichterung platzierte man ihn am Bühnenrand, im Mittelpunkt stand immer noch die Schauspielkulisse.

Nach Abschluss des Projekts zog sich das Trio in ein Studio zurück und erweiterte die Sequenzen zu ganzen Tracks, die später von Ring editiert wurden. Daraus entstand das neue Album.

Was „Krieg und Frieden“ auszeichnet, ist das durch die Klangkulissen aufblitzende Kopfkino. Die für Apparat typischen elektronischen Klangelemente wie Surren, Kratzen, Klopfen und verzerrte Bassläufe werden mit Streichern, Posaunen und einer Gitarre zu einem imposanten Werk zusammengefügt.

Trotz Krieg und Tod herrscht eine optimistische, lebensbejahende Grundstimmung in Tolstois Werk, die auch auf dem Album zum Vorschein kommt. Der ruhige Auftaktsong „44“ versetzt die Hörer in die kalte Szenerie Russlands. In seiner Noise-Version drängen elektronische Verzerrungen das Motiv in den Hintergrund.

Mithilfe von Gesang schafft Ring in „Light On“ Bilder von verlassenen Häusern und einsamen Menschen. Dann folgen drei ineinander überfließende Titel. „Tod“ leitet mit Posaunen-Tönen die Dunkelheit ein. „Blank Page“ verstärkt sie, und in „PV“ kommt es zu einem heftigen Ausbruch der Melancholie.

Zarter wird es in den beiden Versionen vom „K&F Thema“. Mal mit Zupfinstrumenten, mal mit einem verträumten Glockenspiel lösen die organischen Klänge Gänsehaut aus, das Süße bekommt einen bitteren Beigeschmack, äußert Schmerz. Dafür bietet das konstante Trommeln Halt. Auch in „Austerlitz“, Ort einer geschichtsträchtigen Schlacht, bleibt die Schwere nicht aus, sie gewinnt sogar an Volumen und wird langsam ausgeleitet. „A Violent Sky“ rundet das Album ab: Der Gesang resümiert, was vorher nur gefühlt und nicht ausgesprochen wurde, nämlich die Macht des Zusammenspiels kleiner Elemente.

Sascha Rings musikalische Laufbahn lebt von Zufluss, so startete er 2001 mit seinem Debüt „Multifunktionsebene“ solo. Es folgten Kollaborationen mit DJane Ellen Alien und Modeselektor, mit dem er als Moderat zwei Alben veröffentlichte. Schließlich erweiterte er 2010 Apparat um die festen Mitglieder Philipp Timm und Christoph Hartmann. Die instrumentale Darbietung aus den Anfangszeiten gewann ab dem Album „Walls“ Rings Stimme dazu und glänzt nun durch die Kombination mit organischen Klängen.

Obwohl „Krieg und Frieden“ zuerst als Bühnenmusik diente, kann sie auch im Albumformat prächtig bestehen. Wem die dunkle Stimmung aus „Goodbye“, dem gemeinsamen Track von Apparat mit Soap&Skin, gefallen hat, wird die Klangsignatur auf „Krieg und Frieden“ lieben. In puncto Tanzbarkeit bleibt Apparat zwar etwas schuldig, aber das macht in diesem Fall überhaupt nichts.

HENGAME YAGHOOBIFARAH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen