piwik no script img

ARBEITNachsitzen für den Arbeitsmarkt

Opposition attackiert Rot-Schwarz wegen Arbeitsmarktpolitik. SPD kopiert Landesmindestlohngesetz der Grünen. Ausschusssondersitzung am Mittwoch.

Realität für viele Menschen in Berlin. Bild: dpa

Ein Ausschuss muss nachsitzen: An diesem Mittwoch tritt der Arbeitsausschuss im Abgeordnetenhaus auf Antrag der Opposition zu einer außerplanmäßigen Sitzung zusammen. Grüne, Linke und Piraten werfen Rot-Schwarz „Arbeitsverweigerung“ vor, weil die Regierungskoalition bei der letzten Sitzung zwei Themen von der Tagesordnung stimmte: den Entwurf der Grünen für ein Mindestlohngesetz sowie die Diskussion über eine Evaluation der Berliner Jobcenter. Die Koalition könne ja Änderungsanträge einbringen, so die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Sabine Bangert zur taz: „Aber wie sie sich schlichtweg einer Auseinandersetzung verweigert, das ist unerträglich.“

Mit dem 8080/starweb/adis/citat/VT/17/DruckSachen/d17-0228.pdf:Landesmindestlohngesetz wollen die Grünen einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze von mindestens 8,50 Euro brutto pro Stunde zumindest näherkommen. Die Gesetzgebungskompetenz hierfür liegt beim Bund, doch Berlin soll zumindest in allen Landeseinrichtungen wie Verwaltungen, Körperschaften und Hochschulen einen Mindestlohn garantieren. Dessen Höhe würde eine Kommission mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern jährlich festlegen, die Untergrenze läge bei 8,50 Euro.

Zum dritten Mal vertagt

In der vergangene Woche hatte die rot-schwarze Gremiumsmehrheit eine Behandlung des Gesetzentwurfs bereits 8080/starweb/AHAB/servlet.starweb?path=AHAB/lisshfl.web&id=ahabwebdokfl&search=%28%28DNRS%3d0228%29+AND+%28DART%3dD%29+AND+%28WP%3d17%29%29+AND+ID%3DD-226547&format=WEBDOKFL:zum dritten Mal vertagt, seit er im März 2012 8080/starweb/adis/citat/VT/17/PlenarPr/p17-011-wp.pdf:vom Plenum in den Ausschuss überwiesen worden war. Begründung diesmal: Die Koalition will jetzt selbst ein solches Gesetz vorlegen. Der SPD-Entwurf, der der taz vorliegt, gleicht in weiten Teilen dem Grünen-Antrag. Lediglich die Kommission ist nicht vorgesehen, stattdessen soll der Senat selbst die Höhe des Mindestlohns bestimmen. Ihre Fraktion habe das Papier am Dienstag gebilligt, sagte SPD-Arbeitsmarktpolitikerin Birgit Monteiro. Nun ist die CDU-Fraktion an der Reihe. Ihrem Sprecher zufolge stand das Thema am Dienstag aber nicht auf der Tagesordnung der Fraktionssitzung.

Die Verlegung des zweiten strittigen Themas im Arbeitsausschuss – die Evaluation der Jobcenter – sei einem „Kommunikationsproblem“ geschuldet, erklärte Monteiro. Auf der erzwungenen Sondersitzung müssen die Ausschussmitglieder nun am Mittwoch über die Untersuchung diskutieren, die seit August 2012 der Verwaltung von Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) vorliegt. In Auftrag gegeben hatte sie Kolats Vorgängerin Carola Bluhm (Linke) Ende 2010.

Auf fast 500 Seiten belegen Experten, dass es bei der kommunalen Verantwortung für Berlins Jobcenter gewaltig hakt. Es gebe „Steuerungsdefizite“ in Senats- und Bezirksverwaltungen und ein „intransparentes bzw. fehlendes gesamtstädtisches Zielsystem“ bei der Organisation der Grundsicherung für Menschen ohne Erwerbsarbeit. Senat und Bezirke müssten ihre Organisations- und Kommunikationsstrukturen erheblich verbessern, wenn es um die Versorgung erwerbsloser Bürger mit sozialintegrativen Leistungen geht: Sucht- und Schuldnerberatung oder Unterstützung bei der Kinderbetreuung sind für viele Erwerbslose eine Voraussetzung dafür, den Weg zurück auf den Arbeitsmarkt zu finden.

Die Opposition will am Mittwoch mit SPD- und CDU-Fraktion sowie Senatorin Kolat diskutieren, wie die Empfehlungen der Gutachter umgesetzt werden können. Eine Senatsvorlage Kolats zum Thema befindet sich in Abstimmung mit der Finanz- und der Sozialverwaltung, der genaue Inhalt ist unbekannt. Vor sieben Wochen hatte Kolats Staatssekretärin Barbara Loth (SPD) den zuständigen Bezirksstadträten sowie Vertretern von Jobcentern und Arbeitsagentur das Gutachten vorgestellt. Weitergehende Maßnahmen wurden nicht bekannt.

Kolat steht derzeit unter Druck, weil ihrem Ressort laut Parlamentskreisen im Landeshaushalt 2014/2015 Kürzungen um 35 Millionen Euro drohen – rund ein Drittel ihres Gesamtetats. Dem Vernehmen nach will Finanzsenator Ulrich Nußbaum (für SPD) allein 15 Millionen beim Ausbildungsplatzprogramm einsparen. Kolat und ein Sprecher Nußbaums wollten sich dazu am Dienstag nicht äußern.

Die gute Nachricht

Die Arbeitssenatorin präsentierte stattdessen nach der wöchentlichen Senatssitzung eine andere gute Nachricht: Das Förderprogramm für Ausbildungsbetriebe wird weitergeführt. Es soll vor allem Betrieben zugute kommen, die Jugendliche ohne hochwertigen Schulabschluss oder junge Alleinerziehende ausbilden. Heute legt die Regionaldirektion der Arbeitsagentur ihren neuen Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt vor. Im April standen 6.483 unbesetzten Ausbildungsplätzen 9.026 Suchende ohne Ausbildungsplatz gegenüber.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • X
    xonra

    Es handelt sich um ein Amt für Nichtarbeit.Gut informierte Kreise berichten über zunehmende Schikane und die Vermittelung an Leiharbeitsfirmen, die den Bewerber am liebsten erst einmal Röntgen würden. Mal sehen wie weit man die Leute schikanieren kann. Das System ist Marode wie die klassische Misswirtschaft die durchweg mit Lug und Trug operiert.

  • X
    xonra

    Es handelt sich um ein Amt für Nichtarbeit.Gut informierte Kreise berichten über zunehmende Schikane und die Vermittelung an Leiharbeitsfirmen, die den Bewerber am liebsten erst einmal Röntgen würden. Mal sehen wie weit man die Leute schikanieren kann. Das System ist Marode wie die klassische Misswirtschaft die durchweg mit Lug und Trug operiert.

  • D
    DHL-Fahrerin

    Und die zwangsselbsständigen Arbeitsverhältnisse werden weiter bestehen und dank Mindestlohn noch weiter ausgebaut werden.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Arbeit,Arbeitz und nochmals Arbeit,dies solltn alle relevanten gruppierungen,von der Politik,Gewrkschaften,Kirchen Sozialverbände sich uir Grundlage machen.Arbeit bedeutet Selbstwertgefühl,gebracht zu werden,seienn Lebensunterhalt selbst durch Arbeit bestreiten zu können.

  • S
    Stratege

    Die Berliner Arbeitsmarktpolitik verdient den Namen nicht.

    Seit 10 Jahren ist die Bürokratie nicht in der Lage, die zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen und lässt hunderte Millionen € einfach verfallen.

     

    Zudem: die Jobcenter sind in den Bezirken völlig unterschiedliche aufgestellt.

    Von preußisch-bürokratischer Ordnungs- und Drangsalierungs-Politik bis humaner Einzelfall-Sensibilität in der Vermittlung reicht die Spannweite.

     

    Manche Jobcenter haben wege hoher Mitarbeiter-Fluktuation ernste Qualitätsprobleme, die bei den Sozialgerichten abgeladen werden.

     

    In der Trägerlandschsaft steht die Beschäftigungssicherung der Träger - nicht das Vermittlungsinteresse der Arbeitslosen im Mittelpunkt.

     

    Die hohe Arbeitslosigkeit in Berlin ist durch jahrzehntelanges Mißmanagement und Fehlqualifizierungs-Strategien mit verursacht.

     

    Es werden Berufsbilder in die Welt gesetzt - die innovativ klingen - die aber Bewerber und Arbeitsgeber im Regen stehen lassen.

     

    Vom Gerontotherapeuten bis zum Social-Media-Manager gibt es Durchlauferhitzer-Weiterbildungen, die im Markt nichts taugen.

     

    Im Amt der Arbeitssenatorin wurde zudem eine unerfahrende "Migrations-Quoten-Frau" eingesetz, die gar nicht in der Lage ist, mit den raffinierten Bürokraten in Jobcentern und Landesverwaltung klarzukommen und dortige Mißstände aufzuräumen.

     

    Reformvorschlag:

    1. Trägergesellschaft gründen

    2. H4 Gesamt-Jahreskosten pro Empfänger von 13.500 €

    einfach als Lohn-Brutto auszahlen.

    3. Fehlbedarf durch Wohngeld und Kinderhilfe decken.

    4. Jobcenter für H4 einfach schließen

    5. Sozialämter in Grundsicherung einbinden.

    6. H4 Empfänger an Firmen, Träger und Behörden

    freistellen und mitarbeiten lassen.

     

    Umbenennung in Bürgerarbeit = 100 Stunden im Monat.

    Das entpricht auch dem Mindestlohn von 8,50 €.

     

    (... nein das ist kein Witz! Nachrechnen lohnt!)

  • I
    Irmi

    Die Politiker glauben wohl etwas besonders tolles geschaffen zu haben mit dem Mindestlohn von 8.5 €.

     

    Davon kann immer noch kein Mensch leben. Denkt mal an die Mietpreise, Strom und Gaspreise, die Lebensmittel unglaublich teuer, Rentenvorsorge muss man auch noch betreiben wovon denn. Bei 8 Std. pro Tag monatl. 160 Std. sind das 1.160,00 Brutto, Abzüge etwa 40 %.

     

    Wie lebensfremd sind Politiker.