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Verlags-Vertreterin Heckel über linke Buchläden"Die linke Szene ist geschrumpft"

Ihre abgeschabten Sessel waren Orte der der politischen Sozialisation. Doch wie lange wird es die linken Buchläden noch geben? Mehr in der taz.am.wochenende.

Marx-Leserin: Ein Auslaufmodell? Bild: dpa
Jean-Philipp Baeck
Interview von Jean-Philipp Baeck

taz: Frau Heckel, kann ich mit linken Büchern noch reich werden?

Judith Heckel: Das konnte man noch nie. Aber dem Buchhandel insgesamt geht es nicht gut und bei linker Literatur gehen die Zahlen noch deutlicher zurück.

Wegen der Konkurrenz des Internets?

Nicht nur. Auch die linke Szene ist kleiner geworden und das Bedürfnis der Linken, Bücher zu lesen. Heute reicht es vielen, online etwas zu lesen, eine Zeitung durchzublättern und einmal im Monat auf eine Veranstaltung zu gehen. Ein akademisches Publikum, das sich noch vor 20 Jahren jede Neuerscheinung zur politischen Ökonomie gekauft hat, gibt es heute auch nicht mehr.

Warum nicht?

Weil die alle emeritiert sind und nicht für Nachwuchs gesorgt haben.

Aber es gibt doch noch Linke, denen Theorie wichtig ist.

Klar, es gab eine kleine Marx-Renaissance, von Michael Heinrichs Marx-Einführung hat der Schmetterling-Verlag ziemlich viele verkauft. Trotzdem ist es kein Vergleich zu dem, was in den 70ern an Ernest Mandels oder W. F. Haugs Einführungen ins Kapital verkauft wurde. Von einem Antifa-Buch verkaufen sich heute vielleicht noch 1.000, wo es früher 3.000 waren.

Es gibt doch auch linke Verlage, denen es gut geht, oder?

Der einzige der mir so einfällt, ist Nautilus. Und die haben ihr Geld nicht mit linken Büchern, sondern mit Andrea Maria Schenkel verdient. Davon abgesehen ist es fast immer prekäre Selbstausbeutung.

Und was geht verloren, wenn linke Buchläden verschwinden?

Neben dem Sortiment auch die Strukturen. Die meisten Läden sind als Kollektiv organisiert, mit der Idee, eine Alternative zu leben. Für linke Buchläden war es immer wichtig, ein Ort für Veranstaltungen zu sein und dass ein Netzwerk aufgebaut wird.

Judith Heckel

38, Diplom-Psychologin und seit 12 Jahren Vertreterin unabhängiger Sachbuch- und Belletristik-Verlage - erst in Norddeutschland, dann unter dem Namen "indiebook" in ganz Deutschland. Angefangen hat sie mit Verlagen für linke Sachbücher wie Unrast, Schmetterling, Assoziation A und Alibri.

Das ginge auch im Internet.

Im Buchladen stehst du vor einem Regal, drehst dich um und denkst: „Was ist denn das für ein blaues Buch?“ Dann nimmst du es in die Hand und bist woanders. Das kann online nicht funktionieren, dort gibt es keine Zufälle. Ein Buchladen prägt und vernetzt im echten Leben. Selbst wenn es auch dort nicht immer an den Verkauf von Büchern gekoppelt ist.

Nein?

Wenn ich zum Beispiel bei „Schwarze Risse“ in Berlin sitze, kommen viele Leute rein, die nur zum Flyertisch gehen. Sie holen Plakate ab, kaufen Busfahrkarten oder legen Flyer aus und sind wieder weg.

Dennoch: Müsste es linken Buchläden nicht besser gehen, weil sie ein besonderes Profil haben?

Buchhändler jammern gern. In Hamburg oder Berlin gibt es eine Reihe von Läden, deren Umsätze wachsen und die Leute einstellen. Für „Zapata“ in Kiel oder „Guten Morgen“ in Braunschweig ist die Szene nicht so groß und so einig, dass sie die Läden allein mit Solidarkäufen über Wasser halten könnte. Die neue Generation fühlt sich den Läden nicht mehr automatisch verbunden. Es gibt unterschiedliche Strategien, damit umzugehen.

Wie sehen die aus?

Ein Beispiel aus Bremen ist der Ostertor-Buchladen. Der erlebt auch keine goldenen Zeiten, versucht aber auch nicht, alle fünf Jahre die nachgewachsene linke Szene anzulocken. Er ist mit seinem Publikum älter geworden. Wenn die nun alle Psychotherapeuten werden, gibt es halt eine große Abteilung zur Psychotherapie. Die haben nun Geld um zu reisen, also gibt es eine große Reisebuch-Abteilung.

Ist das dann noch „links“?

Von außen vielleicht nicht mehr, aber vom Selbstverständnis her schon. Auch bei Reiseliteratur und Wissenschaft gibt es linke Ansätze. Ein anderes Beispiel in Bremen ist der Golden Shop. Ich würde den immer als linken Buchladen bezeichnen, er hat auch diese soziale Funktion. Aber die Abgrenzung funktioniert nicht mehr ausgewiesen über das Politische.

Ein linker Buchladen, der nicht über politische Bücher funktioniert?

Natürlich gibt es dort auch Antifa- und Tierrechts-Titel und alles, was aus linken Verlagen kommt. Aber die Abgrenzung funktioniert eher ästhetisch, über den literarischen und musikalischen Geschmack. Die Inhaberin ist total entschieden in der Belletristik, ihrem Comic-Sortiment oder darin, welche Foto-Bände sie verkauft. Vielleicht haben sich in einer urbanen Linken auch Kriterien geändert.

Inwiefern?

Womöglich ist eine ästhetische Distinktion heute wichtiger als eine inhaltliche. Also, dass man sich einem Laden eher zugehörig fühlt, wenn da die eigene Musik läuft und Literatur empfohlen wird, die cool ist. Das ist wichtiger, als dass jemand hinter dem Tresen steht, der sich wahnsinnig gut mit Trotzkismus auskennt. Wenn ein Laden nur ein paar Bücher aus dem Unrast-Programm da hat, ein bisschen Nautilus und noch ein bisschen Christoph Links und Dampfboot, ansonsten aber mit Krimis bestückt ist und so langweilig wie Thalia, dann ist das nicht interessant.

Sind linke Buchläden auf dem Land wichtiger als in der Stadt?

Ich weiß von relativ wenigen auf dem Land. Einer ist „Peter Panter“ in Meldorf im Kreis Dithmarschen. Das war aber auch klassisch eine Gegend, wo die linke Stadtflucht aus Hamburg hingegangen ist. Die haben da so ein bisschen Öko-Kram gemacht, gegen AKWs protestiert und Antifa auf dem Land gemacht. Aus solchen Strukturen ist dann der Laden entstanden. Meldorf ist klein, vom Sortiment her könnten die da als rein linker Buchladen nicht leben. Trotzdem war immer klar, es ist der Ort, wo die Linken hingehen, wo man Infos austauscht, wo man sich vernetzt, wo man eben auch mal ein Anti-AKW-Buch und die passenden Aufkleber und ein Antifa-Buch kaufen konnte und auch immer noch kann.

Wie weit kann dieser Kompromiss gehen?

Das ist die Kröte des Selbstwiderspruchs, die man immer schlucken muss, wenn man ein linkes Projekt macht: dass man gleichzeitig auch ökonomisch funktionieren muss. Es würde sowieso niemand zum Beispiel in den Schanzenbuchladen in Hamburg gehen und da nach dem neuen Sarrazin fragen. Aber es gehen dort Leute hin und wollen „50 Shades of Grey“. Das liegt zwar nicht aus, aber sie kriegen es dort bestellt. Dass der Schanzenbuchladen gut funktioniert liegt daran, dass er eine Institution in der Hamburger linken Szene ist, aber auch daran, dass die Schanze voll ist mit Touristen und er auf dem Schulterblatt der einzige Buchladen ist. Das wissen sie und deswegen werden die Touris auch nicht rausgeschmissen.

Also muss ein linker Ladeninhaber seine Kunden gar nicht immer anmuffeln?

Du musst auch einen gewissen Missionierungs- und Erziehungsauftrag haben wollen. Aber nicht zu viel. In meiner ersten Lieblingsbuchhandlung in Mainz hat der Inhaber am Telefon jemanden rund gemacht, der versucht hat, einen Mondphasen-Kalender bei ihm zu bestellen. Er wollte nicht jeden Schrott verkaufen. Das hat doch was

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8 Kommentare

 / 
  • HG
    Harry Gelb

    Vielleicht sind sie muffig und sperrmüllhaft möbiliert, die letzten (linken) buchläden, vielleicht sind sie stets genervt und schlecht gelaunt, die buchhändler, vielleicht ist das alles ein bischen von gestern, vielleicht gehts bei mcdonalds alles ein bischen schneller (bei amazon jedenfalls nicht), vielleicht wäre die serie black books ohne das alles garnicht witzig. aber sicher ist, wenn wir diese buchläden sterben lassen, kriegen wir sie niemals mehr zurück.

  • TT
    Theobald Tiger

    "Womöglich ist eine ästhetische Distinktion heute wichtiger als eine inhaltliche. Also, dass man sich einem Laden eher zugehörig fühlt, wenn da die eigene Musik läuft und Literatur empfohlen wird, die cool ist. Das ist wichtiger, als dass jemand hinter dem Tresen steht, der sich wahnsinnig gut mit Trotzkismus auskennt."

     

    Das ist, mit Verlaub, Quatsch. Ich weiß noch, wie hoch erfreut ich war, als mir Elke, eine belesene linke Hamburger Buchhändlerin weiterhalf, als Wassili Grossmanns "Leben und Schicksal" in der ersten Auflage ausverkauft war. Sie hatte noch ein Exemplar, fand es mit sicherer Hand schnell in einem überfrauhohen Regal. Das war ein schöner Moment. Das Buch ist für mich ein sehr wichtiges, weil in ihm bei aller Schonungsloskeit der Kritik am Lagersystem zu Zeiten Stalins in der parallel geschilderten Darstellung des nationalsozialistischen Deutschlands, seines eleminatorischen Antisemitismus, seines Ziels der Vernichtung der RotarmistInnen und Verfolgten im KZ-System deutlich wird, warum eben diese Verbrechen der Deutschen welche gegen die Menschheit sind - die Singularität von Auswchwitz. Bei der Suche nach büchern hierzu hilft kein Kommerzversand, der die linke Debattenkultur nicht ersetzen kann.

  • M
    Meldorfer

    Ein dreifach Hoch auf "Peter Panter" und seine Betreiber!

  • B
    Buchhandelskundin

    @Stratege: Der Buchladen im Mehringhof heißt immer noch Schwarze Risse.

     

    Und was hier in mehreren Kommentaren als "Ideologie" verdammt wird, nenne ich "Sortiment". Ja, das blaue Buch liegt nicht zufällig da im Regal, sondern weil ein Buchhändler oder eine Buchhändlerin es dorthin getan hat. Und im besten Fall hat sie sich Gedanken dazu gemacht, warum sie dieses Buch einkauft und ein anderes nicht. Ich als Kundin kenne "meine" Buchläden, weiß die inhaltliche und politische Ausrichtung (die natürlich an den Rändern immer ausfranst) ungefähr einzuschätzen und lass mich gerade deswegen gerne durchs Sortiment treiben, weil hier nicht einfach unterschiedslos das VLB abgebildet ist, sondern jemand mit persönlichem Geschmack, politischer Haltung und Kenntnis seiner Kundinnen ein Programm "kuratiert" hat. Von einer guten Buhhandlung erwarte ich nicht unbegründete Breite, sondern Tiefe. Dann darf da auch gerne Ganghofer neben Burroughs liegen.

  • M
    Meier3

    Zitat: "Das ist die Kröte des Selbstwiderspruchs, die man immer schlucken muss, wenn man ein linkes Projekt macht: dass man gleichzeitig auch ökonomisch funktionieren muss."

     

    Sehr gute Einsicht, gewonnen nicht aus linker Literatur sondern aus der Realität.

     

    Die Welt außerhalb von linken Buchläden muss nun einmal ökonomisch funktionieren - ob man das gut findet oder nicht.

     

    Warum versucht Ihr also immer noch, den Rest der Welt als linkes Projekt zu organisieren?

     

    PS: Zahlt Ihr (auch taz) eigentlich den linken Mindestlohn?

  • S
    Stratege

    Der Buchladen "Schwarze Risse" wurde vor über einem Jahr in Buchladen zur schwankenden Weltkugel umbenannt.

     

    "Das Buchladenkollektiv Schwarze Risse (Berlin) teilt sich in zwei. Der Kreuzberger Laden im Mehringhof bleibt unter dem alten Namen bestehen, der Laden in der Kastanienallee 85 wird ab 1. April unter dem Namen Buchladen zur schwankenden Weltkugel weitergeführt."

     

    Buchmarkt 27.3.2012

     

    ... im selben Zeitraum haben in Prenzlauer Berg 3 andere Buchläden neu eröffnet ...

     

    ... und Links ist irgendwie "Mainstream" geworden!

  • C
    chris

    Der Charme dieser Kollektive, die Strukturen der linken Szene atmen, besteht zum großen Teil aus Selbstausbeutung von unbezahlten Überstunden, teilweise nicht einmal Tariflöhnen und wenn es ganz putzig wird (habe ich selbst vor Zeiten getan) selbstverordnete Lohnkürzung, um den Laden neben Spendenaufrufen am Leben zu halten.

     

    Bei jedem anderen Geschäft wie diese Woche zu lesen (denn's im Bereich Lebensmittel) kommt das Ausbeuter-Argument. Bei Buchläden und ähnlichem wird die Ideologie über die Arbeitnehmerrechte gestellt, erwartet und massiv eingefordert zur Not mit Boykottaufrufen.

     

    Die Schwierigkeiten der Läden liegen nicht am Schrumpfen der Szene sondern auch an den Erwartungen, die man ans Auswählen hat.

     

    Das "blaue Buch", das ich scheinbar zufällig finde, wenn ich mich umdrehe, steht da gar nicht zufällig. Der Buchhändler oder auch ideologich Aktive, der angelernt dort tätig ist, hat dieses Buch ausgewählt. Diese Auswahl wollen viele Menschen auch links nicht mehr treffen und lassen sich eher auf die Recherchemöglichkeiten der Onlinekataloge ein.

     

    Und dann gibt es auch links mittlerweile Ebooks gerade wenn man nicht auf die deutsche Sprache allein angewiesen ist oder wissenschaftlich arbeitet.

     

    Wieso soll ein Mensch, der auch nur seinen Blick schweifen läßt, für mich mich vorauswählen, wenn ich heute mit gleichen Mitteln online diese Auswahl zu treffen in der Lage bin?

     

    Das läßt sich kaum mehr vermitteln und ergibt, wenn man sich mit Recherche und dem Fachgebiet auskennt auch keinen Sinn.

     

    Als Treffpunkt mögen die "Buchläden" für Papier-Flyer nett sein. Da aber auch für Linke die Zeit nicht stehen blieb, wird auch hier mittlerweile online vernetzt, diskutiert, betrachtet, als dass die Zettelwirtschaft noch vorteilhaft sein könnte.

     

    Was also soll ein solcher Ort?

     

    Schlechte Arbeitsbedingungen, fragwürdige Vorauswahl, eingeschränkte Informationsmöglichkeiten - das hat sich tatsächlich überlebt.

  • AU
    Andreas Urstadt und Julien Lewis

    Vielleicht gibts Aerger.

     

    In alten Verlagsanzeigen findet sich Burroughs neben Ganghofer - es ist derselbe Verlag. Es gibt eine Reihe solcher Beispiele heterogener Verlagsprogramme.

     

    Linke Buchladen sind gesellschaftlich als corporate Binnenfaktoren nicht nachhaltig. Die Distinktion, so lassen sich solche Homogenitaeten auch nennen wirken insgesamt als Barrieren gesamtgesellschaftlich.

     

    Ideologie verfehlt die Realitaet. Links und ideologisch verfehlt erweiterte Denkungsart. Ganghofer neben Burroughs plus x ist spannender.

     

    Ideologische Probleme i Z transportierter Distinktion und Musik gabs fuer Johnny Cash als der Dylan sang und auf folkfestivals auftrat, das Gegenstueck zu linken Buchlaeden war die spiessige und boykottierende Countryszene. Hier wurde strange geguckt als Nick Cave auf einmal anfing in den 80ern Cash zu singen. In linken Buchlaeden bestand Computerverbot usw. Computer waren ein Verbrechen. Dann kam Lovink. Aber Lovink lag besonders gleichzeitig im offeneren Kunstdiskurs.

     

    Links als Ideologie hat zu viel aufgehalten. Es war eine Selbstinsitutionalisierung. Besetzte Haeuser inkl der eigene Wachschutz der linken Besetzer, Verhoere. Gesinnungsabfragen.

     

    In Berlin Schilder in linken selbstverwalteten Laeden: wir zeigen jeden Diebstahl an. Man kam zu Geld und zeigte es. Mitten in Kreuzberg.

     

    Burroughs neben Ganghofer auf einer alten vergilbten Verlagsanzeige machte klar, es haette anders laufen koennen. Cash in Newport.