Großes Theater: Fade ist das Räuberlesen
Am Bremer Goetheplatz-Theater zeigt Felix Rothenhäusler Friedrich Schillers wüsten Erstling ohne Enthusiasmus, Furor oder Not.
Vielleicht wäre die Lösung gewesen, Karl komplett zu streichen. Mindestens hätte das für Aufsehen gesorgt, über die Premiere am vergangenen Samstag hinaus. Es wäre nicht so ermüdend gewesen. Und es hätte sich im Inszenierungsansatz für Friedrich Schillers Die Räuber am Theater Bremen auch schlüssig machen lassen, wenn Regisseur Felix Rothenhäusler die Heldenfigur, das maßlose und tragische Subjekt, den in seiner Schuld großen Menschen einfach gelöscht hätte, oder eben mit Foucault weggeschwemmt: No Moor Karl.
Höhö.
Macht er aber nicht, und wahrscheinlich ist das auch nur ein doofes Gedankenspiel, das einem halt so durch den Kopf schießt in der Ödnis eines fast einstündigen Monologs, der sich bedeutend länger anfühlt. Denn letztlich ist dieser Theaterabend ähnlich geordnet wie ein Gemälde, das dem Schweizer Kabarettisten Ursus Wehrli in die Finger gefallen ist, allerdings wohl ohne komische Intention: Passendes ist zu Passendem, Gleiches zu Gleichem verschoben, alles fein säuberlich aufgeräumt.
Und so startet der Abend mit einem eindrucksvollen leicht irren Selbstgespräch des nackten Franz Moor. Claudius Franz ist als der in vollendeter Einsamkeit ganz hinten aus der dunklen Tiefe des Großen Hauses nach vorne an die Rampe geschritten: In dieser Einsamkeit durchlebt er in innerer Spaltung die Auseinandersetzung mit dem Vater, der ihn verachtet: Verlassenheit.
Und so bildet den zweiten Teil der Aufführung ein Monolog, in dem Rothenhäusler und sein Dramaturg Tarun Kade alles gebündelt haben, was im Urtext unter die Rubrik Räuberleben sortiert werden kann: Kastratenjahrhundertsprüche, Klosterüberfall, Befreiung von Kamerad Roller, Freiheitsdrang und Blutbad, Brandschatzung und Mordbrand, die Zärtlichkeit Karls und seines Spiegelbergs Gewalt – alles. Robin Sondermann muss es aufsagen, dieses Konvolut.
Eine Weile ist dem gut zuhören, und unschlüssig ist der Ansatz nicht: Dass Schillers Personen vor allem Konzepte und Gedankenfiguren sind, war ja Voraussetzung für ihre glänzende Karriere als Deutschaufsatzthemen. Warum sie also nicht als Knotenpunkte rhizomatischer Diskursnetzwerke inszenieren?
Ja, warum nicht? Es ist kostengünstig – der Regieansatz spart 11 Rollen – und Schiller mit Gilles Deleuze zu lesen, das wird an den Universitäten, und dieses Theater ist extrem universitär und will mit Zirkus nix am Hut haben, gern genommen. Es wird sich niemand groß über diese Räuber aufregen, die eher zurück an die Bücher drängen als zur Natur. Toll spielen die SpielerInnen – Martin Baum: klasse! Nadine Geyersbach: Zu gut! Ein Genuss: Mathieu Svétchines Luftgeigensolo, sein Silens-Bauch wackelt im Takt des Tschaikowsky-Konzerts, mit dem Hermann, das uneheliche Kind, sich seinen Träumen von Aufstieg und Heirat hingibt, den Traum der Gesellschaft träumt, den Franz ihm in die einzig fühlende Brust gezwickt hat. Allegro, ja, aber nur moderato. Und allerliebst, sicher, die statt einer Katastrophe plötzlich über die Dramen-Welt hereinbrechende endlose Parade der Zeichentrick-Figuren, Biest und Schöne, Lebkuchenmann, Alice im Wunderland, Disneys Schneewittchen und diverse Zwerge, Goofy, Mary Poppins, Micky Maus und Cowboy Woody.
Nicht beantworten kann Rothenhäuslers elegante Stilübung aber die entscheidende Frage: Warum? Also warum es notwendig oder auch nur sinnvoll sein soll, die Leere des Raums gerade für Schillers wüsten Erstling zu nutzen, warum es überhaupt schon wieder „Die Räuber“ am Goetheplatz gibt, zwei Jahre nach Volker Löschs furioser Inszenierung des gleichen Stücks an derselben Stelle, bloß diesmal ohne Furor geschweige denn Anliegen oder denkbare Anlässe außer eventuell dem, dass das Stück vielleicht mal wieder im Zentral-Abi drankommt. Oder dass Peter Zadeks Räuber-Inszenierung die berühmteste Aufführung der Ära des seligen Kurt Hübner war, die vor 51 Jahren begann.
Das Publikum wird zu diesen Räubern kommen, weil das Stück ja ein Klassiker ist. Am Ende des Abends wird es nicht entsetzt, aber auch nicht euphorisch, höchstens ein wenig missmutig den Heimweg antreten: Sondermann spielt zu gut, um gehasst, nicht gut genug, um geliebt zu werden. Der Respekt vor seiner sportiven Leistung verbietet Buhrufe, die Ermüdung durch den Marathonmonolog standing ovations. Und so ist es dann.
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