Provozieren oder anpassen: „Man muss seinen Gegner ernst nehmen“
Hollow Skai gründete ein Punk-Plattenlabel. Als die Neue Deutsche Welle aufkam, wechselte er die Seite, um über Musik zu schreiben. Punk, sagt er, sei zum Schnorrertum verkommen
taz: Herr Skai, Sie schreiben nun seit drei Jahrzehnten über Musik. Warum haben Sie nie selbst Musik gemacht?
Hollow Skai: Ich bin eigentlich unmusikalisch. Ich hab mal versucht zu singen, hab es aber gleich wieder gelassen und lieber das Label gemacht ...
Das Plattenlabel No Fun Records, das Sie 1979 in Hannover gründeten?
Ja, da habe ich mich um die Organisation gekümmert, das konnte ich schon immer ganz gut. Ich habe mich um die Plattenpressung, den Vertrieb und die Promotion gekümmert und auch darum, Bands aufzutun, um mit denen eine Tournee zu organisieren. Bis der Ausverkauf der Neuen Deutschen Welle kam – dann war Schluss.
Inwiefern?
Als die ganzen Trittbrettfahrer kamen, die vorher fürchterliche Hippie-Musik gemacht haben oder Schlager, mussten wir – wie viele andere auch – unser Label dicht machen. Du hast einfach keine Platten mehr in die Läden gekriegt, weil die mit seelenlosen Industrieprodukten verstopft waren. Dann habe ich überlegt, was machst du jetzt? Lehrer wollte ich nicht werden. Und dann dachte ich mir, schreiben würde ich gern. Damit hatte ich ja auch schon ein bisschen in der Alternativpresse zu tun gehabt.
58, Musikjournalist, Autor und Lektor, lebt in Hamburg-Altona.
Er studierte in Hannover Germanistik und Politik, seine Magisterarbeit sieht aus wie ein Fanzine und trägt den Titel "Punk: Versuch der künstlerischen Realisierung einer neuen Lebenshaltung".
1979 gründete er in Hannover das Punk-Label No Fun Records.
1986 bis 1989 war er Chefredakteur des Hannoveraner Stadtmagazins Schädelspalter.
Anschließend arbeitete er fünf Jahre als Redakteur beim Stern und dann als freier Journalist, heute schreibt er unter anderen eine Kolumne über spektakuläre Autounfälle und lektoriert gerade eine Till-Schweiger-Biografie.
Haben Sie Ihre Karriere dem Punk zu verdanken?
Durchaus. Und dann war ich beim Stadtmagazin Schädelspalter in Hannover, konnte dort drei Jahre lang das Blattmachen lernen, weil man in so einem kleinen Laden ja alle Bereiche mitkriegt. Dann habe ich in Hamburg beim Stern angefangen. Dort arbeitete ich mit richtig guten Fotografen zusammen, hatte Zeit zum Recherchieren und konnte überall hinfliegen. Das waren für Journalisten schon ziemlich optimale Voraussetzungen. Obwohl auch Anfang der 90er-Jahre schon alle gestöhnt haben, dass es früher doch noch viel besser war.
Wenn es da so schön war, warum sind Sie dann nach fünf Jahren wieder gegangen?
Nach dem fünften Chefredakteur in fünf Jahren dachte ich, jetzt ist aber auch gut. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sich wirklich was verändert. Es war schwierig, eine Geschichte ins Heft zu kriegen. Du triffst mit den Leuten eine Abmachung und interviewst sie, die nehmen sich Zeit dafür, und dann kommt die Geschichte nicht, weil auf dem Foto ein Auto drauf ist, aber im Heft bereits ein Auto-Journal ist. Das reichte mir dann irgendwann.
Sie haben die Sicherheit einfach so aufgegeben?
Ja, ich habe dann frei gearbeitet, hab eine Tochter gekriegt und wurde Hausmann. Habe angefangen, Bücher zu schreiben, und dann kamen Lektorate dazu. Das hat mir besonders Spaß gemacht.
Sie haben eine Biografie über Rio Reiser geschrieben. Wie kamen Sie dazu, sich so eingehend mit ihm zu beschäftigen?
Die Band Ton Steine Scherben kannte ich natürlich schon als Fan. Über den gemeinsamen Vertrieb lernte ich sie – und auch Claudia Roth – dann auch persönlich kennen.
Haben Sie zu Frau Roth auch noch einen Draht?
Ich habe keinen Kontakt mehr. Wie sie sich kleidet und gibt, finde ich manchmal voll peinlich. Trotzdem finde ich toll an ihr, dass sie zu den Demonstranten in den Gezi-Park in Istanbul geht und sich da hinstellt. Die setzt sich ein und steht auch dafür. Sie hat sicher Entscheidungen getroffen, die ich nicht getroffen hätte. Aber Leute wie sie werden immer so niedergemacht.
Woran, glauben Sie, liegt das?
Leute, die polarisieren, werden immer angefeindet. Die haben es immer besonders schwer. Die wenigsten machen sich die Mühe, mit ihnen zu reden. Ähnlich war es auch bei den Scherben. Keine Zeitung hat so schlecht über sie berichtet wie die taz, obwohl sie die immer lesen.
Sie plädieren also für das Polarisieren?
Ich finde es richtig, weil es was klar macht und Leute sich dann entscheiden können, einen Standpunkt einnehmen. Und den auch zu vertreten und auch zu korrigieren, wenn man sich überzeugen lassen kann. Man muss seinen Gegner aber auch immer ernst nehmen. Da kann man auch schön polarisieren. Wenn man das nicht macht, verändert sich auch nichts.
Hat sich letztlich doch der Konformismus durchgesetzt, gegen den sich Punk einmal gewendet hat?
Punk war ja erst mal gegen alles und hat alles niedergemacht und infrage gestellt. Du konntest was machen, ohne 3.000 Leute zu fragen, ob man das darf, und ohne zu gucken, was sagt der Oberguru dazu. Da konntest du dich einfach entwickeln. Diese Erfahrung wünsche ich auch heute jedem Jugendlichen.
Werden Sie wirklich von allen Hollow Skai genannt?
In Hamburg ja. In Hannover, wo sie mich noch unter einem anderen Namen kennen, werde ich konsequent bei meinem alten Namen genannt. Der Hannoveraner ist ja bekanntlich stur.
Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Namen gekommen?
Anfang der 80er brachte mich ein Freund drauf. Damals war dieses Iggy-Pop-Album rausgekommen, da war „The Passenger“ drauf und da kommt die Zeile „The bright and hollow sky“ vor. Er meinte, das würde gut zu mir passen. Aus dem Himmel habe ich den Namen eines Kunstleders gemacht – also Skai mit A und I. Punks hatten ja nichts mit Natur am Hut.
War Punk für Sie vor allem eine Lebenshaltung?
Ist es immer noch. Sowohl für mich als auch für Punks. Ich bin ja keiner mehr, aber es gibt so gedankliche Prinzipien, die immer noch gültig sind. Dass man immer wieder was zerstören muss, um etwas Neuem eine Chance zu geben, das finde ich nach wie vor richtig.
Ein Beispiel?
Punkbands durften damals noch nicht einmal in Alternativzentren auftreten. Das war echt ein Kampf, weil da alte Hippies drin saßen, die damit nichts anfangen konnten. Das durchzufechten, das hat mir schon Spaß gemacht und ich verstehe das als Gegenöffentlichkeit.
Dieser Kampf hat Sie dann aber irgendwann nicht mehr interessiert.
Vom Denken her und auch was die Einschätzung von Kultur und Kunst angeht, hat mich das geprägt. Aber wer ist denn heute noch Punk? Du siehst in der Fußgängerzone noch ein paar traurige Gestalten, die immer die Hand aufhalten. Da denke ich mir dann aber, Mensch, von mir keinen Cent. Weil das Selbstaufgabe ist. Punk ist für mich immer etwas anderes gewesen, do something different, mach etwas. Wenn es nur noch Schnorrertum ist, haben es andere Leute echt nötiger.
Sie verfolgen nicht mehr, was sich in dem Bereich tut?
Nein, ich höre heute die Musik, die mir 20 Jahre jüngere Freunde empfehlen oder auch meine Tochter.
Was hört Ihre Tochter denn für Musik?
Macklemore im Moment, die war vom Hurricane-Festival wieder völlig begeistert. Ich war mit ihr bei den Kills. Arcade Fire hab ich leider nie gesehen, da bin ich echt neidisch auf sie. Das ist ein Phänomen: Es gibt ja in der Generation keine Zeitschriften mehr, die gelesen werden. Wenn ich frage, woher wisst ihr davon, dann sagt sie, irgendwie aus dem Internet. Die Medien können sich noch so viel Mühe geben, sie kommen da nicht mit.
Wie hat sich der Musikjournalismus dadurch verändert?
Im Moment heißt es, dass alle provozieren, eigene Meinungen haben und sich selbst einbringen sollen. Genau das also, was immer verpönt war. Weil Zeitungen doch merken, man informiert sich über das Internet, und was am nächsten Tag in der Zeitung steht, weiß man eh schon. Es sei denn, es ist ein Meinungsstück. Und jetzt sollen die armen Würstchen alle provozieren und Meinungsartikel schreiben. Das können die ja gar nicht. Wie denn? Vorher ging es immer darum, den Leser abzuholen, Service zu liefern. Das ganze Marketing-Gewäsch.
Woran machen Sie das fest?
Es ist doch kaum noch jemand in der Lage, eine Film-, Buch- oder Plattenkritik zu schreiben. 90 Prozent der Buchkritiken von meinen Büchern sind abgeschrieben vom Klappentext. Wo ich mich frage, hat das überhaupt jemand gelesen?
Nach welchen Kriterien nehmen Sie Musik auseinander?
Wie früher auch: Was hat sie für eine Bedeutung. Ist sie wichtig oder ist das nur ein netter Song? Ich war nie so ein Freund von solchen Fachbegriffen wie Gitarren-Arpeggio. Das fand ich immer furchbar. Das geht doch an den Lesern vorbei, wenn man meint, denen das musiktheoretisch nahe bringen zu wollen.
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