piwik no script img

Falschmeldung über RefugeecampIm Schlepptau des Boulevards

Medien berichten, dass ein Flüchtling am Oranienplatz eine Frau vergewaltigt haben soll. Doch die Artikel sind durchgehend falsch.

Das Flüchtlingscamp am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg (Archivbild) Bild: dpa

BERLIN taz | Durch die Berliner Medien laufen Horrorberichte über das Flüchtlingscamp am Oranienplatz. „Eine Frau soll im Flüchtlingscamp missbraucht worden sein“, schreibt der Tagesspiegel. Die Berliner Zeitung berichtet von einer „mutmaßlichen Vergewaltigung einer Aktivistin durch einen ausländischen Campbewohner“. Bei der Bild-Zeitung heißt es sogar: „Mindestens drei Frauen sollen im Camp vergewaltigt worden sein.“

Auf Grundlage dieser Berichte droht Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) in der Bild-Zeitung mit einer Räumung des Camps: „Der Senat duldet keinen rechtsfreien Raum. Der Bezirk hat diese Situation herbeigeführt, indem er das Camp duldet. Der Senat prüft jetzt aber, ob eine Schwelle überschritten worden ist und die Bezirksaufsicht einschreiten muss.“

Allerdings: Die Berichte sind allesamt falsch.

Auslöser der Berichte ist ein Text, der Ende Mai auf der linken Internetplattform Indymedia eingestellt wurde. Eine „Supporterin“, also eine Unterstützerin der Flüchtlinge, berichtet dort von „Anmachen, Sprüchen und Annäherungen“ durch „männliche Refugees/Supporters“ im Camp. "Mein persönlicher Kontakt zu besonders einem Mann innerhalb der Campstruktur wurde sehr eng", schreibt sie, "bis es schließlich zu der Situation kam, dass er sich nahm, was ihm, seiner Ansicht nach, zustand".

Die Frau schildert, sie habe sich in der Folgezeit an andere Aktivistinnen im Protestcamp gewandt: „Die ersten Reaktionen auf mein Erlebnis waren erniedrigend und beschämend. Es reichte von ’du bist ja auch freiwillig in die Wohnung gegangen‘ bis ’ich habe den Eindruck, du willst das‘.“ Sie sei daraufhin nie wieder in das Camp gegangen. Bei der Polizei habe sie keine Anzeige erstattet, da sie sich „den Verhören nicht aussetzen konnte oder wollte“.

Die Boulevardzeitung B.Z. berichtete vor einer Woche als erste Zeitung über die Vorwürfe. Die Polizei leitete daraufhin von Amts wegen Ermittlungen ein. Nun sprangen auch andere Medien auf. Dass es sich bei dem Täter um einen Flüchtling handelt, wurde in vielen Berichten entweder explizit erwähnt oder implizit vorausgesetzt.

Aber: Es stimmt nicht.

Die Frau beschuldigte nach der Tat, die im Dezember stattfand, einen anderen Unterstützer. So erzählte sie es damals im Camp, und so berichten es jetzt mehrere Unterstützer übereinstimmend der taz. Die Frau sagte damals auch, dass die Tat in einer Wohnung stattfand – so schildert sie es auch in dem Indymedia-Beitrag. In einer Kleingruppe versuchten die Unterstützer damals, den Vorfall aufzuarbeiten. Täter wie Opfer, heißt es auf dem Oranienplatz, seien seit Dezember nicht mehr beim Protest aufgetaucht.

Der Fall sagt also etwas aus über diese Gesellschaft im Allgemeinen und die linke Szene Berlins im Besonderen. Mit den Flüchtlingen hat der Fall insofern zu tun, als Täter und Opfer die Flüchtlinge unterstützen wollten und sich so im Camp kennenlernten. Der Kontakt zwischen beiden wurde mit der Zeit enger, dann geschah die Tat. Zur Stimmungsmache gegen die Flüchtlinge ist der Fall nicht geeignet.

In dem Indymedia-Beitrag ist allerdings auch die Rede von zwei weiteren Vergewaltigungen, ohne dies weiter auszuführen. Dass die Taten im Camp stattfanden, wie die Bild-Zeitung schreibt, wird in dem Beitrag nicht behauptet. Die Täter werden nicht beschrieben. Im Camp heißt es, zu weiteren Taten habe man keine Hinweise, niemand habe sich gemeldet.

„Es gibt so viele Gerüchte“, klagt Napuli Langa, eine der protestierenden Flüchtlinge. Man wolle nun versuchen, wieder Kontakt zu der Frau herzustellen. „Wir haben alle noch mal gebeten, uns zu informieren, wenn sie etwas wissen.“ Langa ist eine der wenigen Frauen auf dem Oranienplatz. Von dem Übergriff, sagt die Sudanesin, habe sie nichts mitbekommen. Sie werde im Camp von allen respektiert und fühle sich sicher.

Die Flüchtlinge hatten bereits kurz nach der Besetzung einer ehemaligen Schule eine Etage eingerichtet, deren Zutritt nur Frauen erlaubt ist. Trotzdem gebe es dort und im Camp Sexismus, räumt ein Unterstützer ein. „So wie in der restlichen Gesellschaft auch.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • G
    GASTIBASTI

    Ja genau, und wenn eine Vergewaltigung in einer Wohnung stattfindet, sollte man ALLE WOHNUNGEN SOFORT RÄUMEN.

     

     

     

    Wenn ein Verbrechen auf einem öffentlichen Platz geschieht, sollte man den auch sofort für die ÖFFENTLICHKEIT FÜR IMMER SPERREN.

     

     

     

    Übrigens sollen sich ja auch Verbrechen schon mal in Krankenhäusern ereignet haben, SOFORT ALLE SCHLIESSEN!

    • K
      Kuli
      @GASTIBASTI:

      Warum sind viele der Linken eigentlich immer so polemisch? Oder man könnte auch sagen "extremistisch".

  • Warum ist es für die taz so wichtig, ob "Refugee" oder "Supporter" vergewaltigt haben, obwohl das Wichtignehmen dieser Tatsache doch Ausdruck von "Rassismus" ist? Dem Artikel ist das Frohlocken des Verfassers über die Tatsache, daß ein Deutscher (vermute ich mal) und NICHT ein Afrikaner vergewaltig hat, deutlich anzumerken. Die Herkunft des Täters ist also sehr, sehr wichtig. Q.e.d.











    Unabhängig davon,wer es nun gewesen ist - der Fall offenbart wie in einem Brennglas die ganze Scheinheiligkeit dieser linken Szene. Wir sind die Guten, und deswegen ist alles, was wir machen, nur gut. Da kann man schon mal Vergewaltigungen unter den Teppich kehren (deren Ahndung sonst vehement eingefordert wird, nebst Ächtung der Täter). Der Schein muß gewahrt bleiben! "Bei uns" kommt "so etwas" nicht vor.





    • Sebastian Heiser , Autor des Artikels,
      @Johanna Rath:

      Wir berichten darüber, weil zuvor andere Medien berichtet haben, dass ein "ausländischer Campbewohner" die Frau vergewaltigt haben soll. Auf Grundlage dieser Berichte fordert der Staatssekretär des Innensenators dann die Räumung des Camps. Auf Grundlage dieser Berichte findet auch Stimmungsmache gegen Flüchtlinge auf rechtsgerichteten Internetseiten wie "Politically Incorrect" oder "Junge Freiheit" statt.

       

       

       

      Ist schon Rassismus, wenn wir in der taz zwischen "Refugees" und "Supportern" überhaupt unterscheiden und damit Menschen je nach Herkunft verschiedene Bezeichnungen geben? Die taz schreibt über gesellschaftliche Realitäten, und so lange die Gesellschaft zwischen Flüchtlingen und Einheimischen unterscheidet, werden wir darüber berichten. In diesem Blogposting habe ich das mal näher ausgeführt - "Warum ich Migranten nicht als Menschen bezeichne": http://blogs.taz.de/hausblog/2010/12/06/warum_ich_migranten_nicht_als_menschen_bezeichne/

      • @Sebastian Heiser:

        Die Bezeichnung "Refugee" bzw. "Supporter/in" lässt sich außer auf die Vermutung nach deren/dessen aufenthaltsrechtlichen Status NICHT auf die Herkunft der am Geschehniss beteiligten Personen beziehen. Sollte es Ziel dieses Artikels sein den oftmals an den Haaren herbeigezogenen "Berichterstattungstils" von Bild &Co. glaubwürdig zu kritisieren halte ich es für sinnvoll ebenfalls auf nicht näher recherchierte Bemerkungen zu verzichten.

  • D
    D.J.

    @Rainbow Dash,

     

     

     

    ich meinte gerade klar gemacht zu haben, dass ich diese Leute gerade nicht als repräsentativ ansehe. @Sie und

     

     

     

    @DJ2,

     

     

     

    insofern gebe ich Ihnen Recht, dass ich besser statt "offensichtlich" hätte schreiben sollen "mutmaßlich". Ändert wiederum nichts daran, dass die sonst zensurwütigen Indymedias den Kram haben stehen lassen. Und damit sind wir bei

     

     

     

    @Brian,

     

     

     

    ich bezog mich auf Blame-the-victim-Kommentare. Wenn Sie das in Ihrer ideologischen Nussschale, die Sie mit der Welt verwechseln, als "sehr rechts" bezeichnen, befürchte ich, haben Sie ein Problem mit Ihrem ethischen Kompass.

     

    Ob diese Kommentare derzeit noch da sind, weiß ich nicht - ich habe keine Lust, mir nochmals meine Laune durch die Lektüre verderben zu lassen. In diesem Sinne ein schönes Wochenende!

  • Ich kannte diese Plattform garnicht, aber die Leute dort sind mit extrem harmlos beschrieben.

     

     

     

    Über allem schwebt die Sorge:

     

     

     

    "wirklich schade dass sowas auf indymedia besprochen werden muss! das spielt allen rassist_innen in die hände. "

     

     

     

    Man merke: Auch die korrekte Schreibung, die nämlich RÜcksicht auf 3. Geschlecht nimmt, das sind die Armen, die sich nicht entscheiden können, auch diese vorbildliche Schreibung hilft nichts: Es sind Gedanken, die selbst eingefleischte und fanatische Führungskader der FDJ, HJ oder Grünen Jugend so nicht bringen würden...

  • D
    D.J.

    Ich kannte das Schreiben auf der linksextremen Plattform Inymedia ("links" ist verharmlosend wie nur irgendwas), hatte es auch (wohl) missverstanden, war mir aber zunächst nicht ganz sicher, ob es echt ist. Ändert aber nichts daran, daß die Kommentare, die darunter von offensichtlich ebenfalls sehr linker Seite zu lesen waren (oder sind, falls nicht gelöscht), teilweise (bei weitem nicht alle!) von einer politsektenhaften Menschenverachtung geprägt waren, daß es mir die Sprache verschlug.

    • RD
      Rainbow Dash
      @D.J.:

      Wer Indymedia-Kommentare als repräsentativ für die Linke Szene sieht, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Jede_r kann auf Indymedia kommentieren, das Projekt selber stand mangels Beteiligung der Szene vor einer Weile schon kurz vor dem aus. Viele der Kommentator_innen sind nicht mehr als Sofa-Helden,teils sogar Nazis - und sogar Polizei und Verfassungsschutz haben schon diverse Berichte auf Indymedia lanciert.

    • D
      dj2
      @D.J.:

      wie du ja selbst schreibst, ist es nicht zu erfahren, wer und mit welcher Intention dort schreibt bzw. Kommenatere hinterlässt- dies kann nun mal jeder.

       

      zu: ""links" ist verhamlosend..." : ...und linksextrem eher verleumdend. Schlag ma Extremismustheorie und die (wissenschaftliche) Diskussion darüber nach. Der begriff Radikal (im eigentlichen Sinne) würde schon besser passen ;)

    • B
      Brian
      @D.J.:

      Wenn hier irgendwas extrem ist, dann dieser Kommentar. Wer Solidarität und die vielen guten Wünsche als menschenverachtend bezeichnet, befindet sich selbst schon sehr weit rechts. Sowas in der taz zu lesen, tut immer wieder weh.