Hannover: Wegziehen oder Bleiben?: Drei Tage gegen Langeweile
Das Fuchsbau Festival stemmt sich gegen das Gefühl der Ödnis, das in Hannover grassiert. Hoffnung machen schon mal Lesungen beider deutscher Literatur-Studiengänge.
„Das ist doch seltsam. Keiner sagt was, wenn man sein ganzes Leben lang in Berlin bleibt oder in Hamburg. Oder in seinem Dorf. Aber aus Hannover, aus Hannover muss man weggezogen sein.“ So neulich ein gestandener Mann im Bioladen.
Das stimmt. In der Landeshauptstadt mischt sich seit Jahrzehnten ein ausgeprägter Minderwertigkeitskomplex mit seinen – tatsächlich vorhandenen – Auslösern zu einer hochprovinziellen Atmosphäre. Selbst der oft angeführte mafiöse Klüngel aus Hannover (Maschmeyer, Wulff, Hells Angels) verleiht dem Stadtbild weder Glamour noch Gangsterkitsch. Und das Schlimmste sei, fuhr der gestandene Mann fort, es sei nicht mal so langweilig hier wie im national geltenden Hannoverklischee – sondern nur so halb.
Noch schwerer hat es, wer nicht lässig genug ist, einfach dazubleiben: Wer zum Beispiel jung und cool sein will oder eine Plattform für künstlerische Arbeit sucht, oder wenigstens etwas, das gut genug ist, um dagegen zu sein. Vor dem tut sich – von anderthalb Straßen und zwei Jugendzentren abgesehen – in Hannover ein großes Loch auf. In diesem Loch sitzt jetzt aber zum zweiten Mal das Fuchsbau Festival. Das findet am kommenden Wochenende auf dem Gutshof Wederade statt, im Umland von Hannover, und bringt dort von Freitag bis Sonntag DJs und Bands, Street Art und Installationen, Fotos und Lesungen zusammen. Und einen Swimming Pool.
Festivals mit originellem, deutschem Namen, Tiere im Grafikdesign – das sprießt überall aus den Macbooks. In Hannover aber könnte es einen entscheidenden Unterschied machen. Christoffer Horlitz etwa, der Einzige des Festivalteams, der sich kurzfristig für ein Glas Leitungswasser mit Zitrone von den Vorbereitungen losreißen kann, ist von Hannover aus nach Leipzig gezogen: „Du kommst in die Stadt und du triffst keinen, der nicht mindestens Gedichte schreibt“, sagt er über den dortigen Goldrausch der Kreativindustrie.
Warum das in Hannover anders sei, liege nicht auf der Hand, sagt Horlitz. „Es gibt eine Hochschule für Theater, es gibt eine gute Designsparte an der FH, es gibt eine Popakademie. Und es gibt eine Million Einwohner in der Region.“
Die Gruppe hinterm Fuchsbau Festival ist jung. Die jüngsten sind gerade 18 geworden, keiner ist älter als 25. Und trotzdem gibt es unter ihnen schon einige, die Niedersachsen eigentlich längst den Rücken gekehrt haben – und für das Fuchsbau Festival zurückkommen. Vielleicht, und diese Vorstellung wäre doch gut bis schön, ist das eine Möglichkeit, eine – nur „so halb“ – langweilige Jugend wiedergutzumachen. Vielleicht auch nicht.
Mal eben so hat das Fuchsbau Festival bei der Premiere im letzten Jahr 2.500 Besucher angezogen. Und so hat auch die kurzfristige, hollywoodreife Änderung des Veranstaltungsorts bei der Neuausgabe auf den Gutshof Wederade keinen im Team aus der Lässigkeit gebracht. Beim eigentlich vorgesehenen Musiktheater Bad, einem ehemaligen Freibad, hatte das Ordnungsamt in letzter Sekunde mit dem Daumen nach unten gezeigt.
Man könnte fragen, wie hilfreich es ist, die großen, modischen K-Worte Kunst, Kultur, Kreativszene, Kollektiv in so hohem Bogen so durcheinander zu werfen. Man könnte sich aber auch einfach das ehrliche Programm angucken. Das setzt sich zusammen aus eingeladenen Gästen und denjenigen, die sich und ihren Bedarf an Bühne noch bis kurz vor knapp selbst beim Fuchsbau Festival bewerben konnten.
Dass es Musik geben wird, versteht sich von selbst. Die Namen sagen schon alles: Falscher Hase, Herr Fuchs & Frau Elster, Filtertypen, Unter Anderen Jonas, Treibgut, Flaschengeist, Mittagskind, Kafka Tamura, Marbert Rocel. Das klingt nach Beat – aber auch die anderen Acts, vom Fuchsbauteam etwas grobschlächtig in Kunst und Kultur unterteilt, geben dem Festival eine eigene Ausrichtung.
Die Spex hat recht, wenn sie schreibt, ein begleitendes Kunstprogramm sei auf Festivals in den letzten Jahren Alltag geworden, bleibe aber dort oft nur reine Zierde: ein nicht näher ausformuliertes und nicht eingelöstes Versprechen von Überschreiten der Genregrenzen. Ob das beim Fuchsbau Festival anders funktioniert, wird sich zeigen. Sicher ist: Das Programm ist die Ausgeburt von passioniertem Insider-Wissen.
So gibt es bei der Literatur nicht nur ins Comedyformat abgerutschte Poetry Slams, nicht nur verkaterte Popliteratur aus Hamburg: Die zwei deutschen Studiengänge für Kreatives Schreiben spielen auf! So tritt die großartige Literaturzeitschrift Bella Triste als Gastgeberin eines Leseblocks in Erscheinung. Sie geht Ausgabe für Ausgabe aus den Hildesheimer Studiengängen der Kulturwissenschaften und des Kreativen Schreibens hervor. Zu Bella gibt es auch eine regionale Beziehung, denn die klugen Studenten, die sich in Hildesheim auf der Domäne Marienburg sammeln, greifen immer wieder auch in die Ödnis Hannovers ein. Und aus Leipzig vom dortigen Literaturinstitut kommt Wolfram Lotz und schickt mit seinen Stadttheatersmashhit „Einige Nachrichten an das All“: Sie lauten „Mama“, „Bums“ und „Unterhaltung“.
Schön, könnte der Mann aus dem Bioladen denken, vielleicht wird es in Hannover eine Zeit geben, in der es acht solche Festivals gibt und ich das alles dann doof finden darf. Und er zieht nicht weg.
■ Fuchsbau Festival: 16. 8. bis 18. 8., Gutshof Wederade
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen