Neuer Stil beim FC Barcelona: Aufstand gegen den Übervater
Der neue Trainer Gerardo Martino leitet eine Kulturwende ein: Erstmals seit fünfeinhalb Jahren hat der Klub weniger Ballbesitz, gewinnt aber trotzdem.
MADRID taz | Es war schnell, aufregend und über weite Strecken völlig offen. Einen „Actionfilm mit permanentem Schusswechsel“, sah die Zeitung La Vanguardia, durchaus angetan, obwohl auch sie natürlich nicht umhin konnte, den radikalen Stilwechsel im Schaffen der Künstler zu notieren.
Denn bei dem beschriebenen Entertainment-Angebot handelte es sich um ein Fußballspiel des FC Barcelona. Um eines zumal bei einem Abstiegskandidaten, Rayo Vallecano. Und bei solchen Konstellationen war das geneigte Publikum in den letzten Jahren eher getragene Unterhaltung gewohnt gewesen.
Nach einem Hattrick von Pedro und einem gehaltenen Elfmeter siegte Barça zwar am Ende dank eines starken Schlussspurts standesgemäß mit 4:0. Aber aus historischer Perspektive war das Ergebnis an diesem Abend nur Schall und Rauch. Eine zweitrangige Statistik im Vergleich zu anderen Zahlen, die nach Abpfiff publik wurden: 51:49. Das Ballbesitzverhältnis. 51 Prozent für Rayo, den Madrider Vorortklub. 49 Prozent für Barça. Es war das erste Mal seit 315 Spielen oder fünfeinhalb Jahren, dass der FC Barcelona in einem Spiel weniger Ballbesitz hatte als sein Gegner.
Damals hieß der Trainer noch Frank Rijkaard. Auf ihn folgten Pep Guardiola und später sein Assistent Tito Vilanova, sie perfektionierten einen Spielstil, der als Tiki-Taka ins Lexikon des internationalen Fußballs eingegangen ist. Pass hier, Pass da, tiki von Xavi, taka von Iniesta, möglichst immer am Ball sein, geduldig und notfalls minutenlang die Lücke suchen, denn so kommen die anderen gar nicht erst zum Angriff.
Barça hatte in all den Jahren nicht nur mehr Ballbesitz als der Gegner, sondern in der Regel mindestens doppelt so viel. Auf dieser Grundlage gewann es Herzen, Bewunderung und viele Pokale; und mit Barça als Laboratorium gewann das alles auch die Nationalelf.
Erzwungene Kehrtwende
Dann kamen die Bayern, das Halbfinale der Champions League 2013. 0:4 und 0:3. Barcelona fühlte sich nicht nur besiegt und gedemütigt, sondern auch durchschaut und dechiffriert. Seitdem spürten die Spieler, dass es so nicht mehr bleiben kann.
Dass der Stil zu einem Selbstzweck geworden war, zu einer monotonen Symphonie, die zwar nach wie vor gediegene Dominanz in der spanischen Liga ermöglichte, aber nicht mehr gegen internationale Spitzenmannschaften, und die auch manche Fans allmählich zu langweilen begann. Vor zwei Wochen sagte Verteidiger Gerard Piqué, ein Kind seines Klubs, den bemerkenswerten Satz: „Wir waren Sklaven des Tiki-Taka.“
Die Äußerung traf ins Zentrum einer Debatte, die in Katalonien derzeit heftig tobt: Wie weit darf sich der FC Barcelona von seinen fußballerischen Traditionen entfernen? Auf der einen Seite sind die „Guardiolistas“, die jede Abweichung von der reinen Lehre des Meisters und seines Vorbilds Johan Cruyff als Häresie betrachten. Auf der anderen die Pragmatiker, die sich freuen, dass mit dem Argentinier Gerardo Martino erstmals seit zehn Jahren wieder ein Trainer da ist, der nicht aus der holländisch-katalanischen Denkschule kommt.
Neuer Stil statt Restauration
„Unsere Aufgabe ist es, Alternativen zu entwickeln […], damit wir nicht vorhersehbar sind“, sagt Martino. Der 50-Jährige ist klug genug, von Restauration zu sprechen, als wolle er nur zurück zu einem Vintage-Barcelona. Aber auf dem Platz sieht das anders aus. Im Spiel bei Rayo bolzte sein Team allein in der ersten Halbzeit 16-mal den Ball hoch und weit nach vorn. Neun dieser Abschläge kamen von Torwart Valdés. Unter Guardiola ein absolutes No-Go.
Es wirkt fast wie eine bewusste Provokation, wie der spätpubertäre Aufstand gegen einen Übervater, der mit seiner Rigidität manchen Spielern auf die Nerven ging. Bislang sind Barças Resultate – fünf Siege in fünf Ligaspielen, dazu der Gewinn des spanischen Supercups sowie das 4:0 gegen Ajax in der Champions League – besser als das Spiel, aber die Mannschaft lobt die Korrekturen. „Wir wechseln jetzt zwischen langen und kurzen Bällen, denn das von vorher war nun wirklich sehr bekannt und leicht aufzuhalten“, sagt Dani Alves.
Kurios ist das schon: Da zieht Pep Guardiola aus, den Münchnern zumindest Teilgebiete des Barça-Spiels zu lehren, aber bei ihm zu Hause orientieren sie sich in eine andere Richtung.
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