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Kommentar Pisa-Studie für ErwachseneVom Schock zum Schulterzucken

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Wer in der Schule scheitert, kann das Versäumte später kaum nachholen. In Deutschland herrscht Gleichgültigkeit statt Gleichheit, dafür sorgt schon die Union.

In Deutschland wird ein Teil der Bevölkerung von der gerechten Teilhabe an Bildung einfach abgekoppelt. Bild: photocase / .marqs

V or 12 Jahren löste die erste Pisa-Studie in Deutschland noch einen Schock aus. Sie belegte, was viele bereits geahnt hatten: Die deutsche Schule produziert viel zu viele Verlierer, der Aufstieg durch Bildung gelingt nirgendwo so selten wie hier. Das gleiche triste Bild zeigt sich auch im Erwachsenenleben: Wer in der Schule gescheitert ist, schafft es kaum, das Versäumte später nachzuholen. Das legen die Ergebnisse der ersten Pisa-Studie für Erwachsene offen. Doch diese erntet nur noch ein Schulterzucken.

Woran liegt das? Zum einen daran, dass immer neue Bildungsstudien, die diese Ungerechtigkeiten und Mittelmäßigkeiten im deutschen Bildungssystem dokumentierten, das Interesse abgestumpft haben. Zum anderen hat man sich an die Tatsache gewöhnt, dass es Menschen gibt, die gering qualifiziert sind und sich mit schlecht bezahlten Jobs durchschlagen. Routinemäßig ist von „Unterschicht“ die Rede, eine Kritik daran bleibt meist aus. Wir leben in einer Klassengesellschaft.

Der politische Wille, diese Ungerechtigkeiten in Bildung und Lebenschancen zu ändern, fehlt vor allem bei den CDU-Regierungen in Bund und Ländern. Wie sonst ist es erklärbar, dass sie beharrlich an der Auslese der Schüler nach Klasse 4 festhalten? Und dass so wenig passiert ist, seit vor zwei Jahren amtlich festgestellt wurde, dass in Deutschland 7,5 Millionen funktionale Analphabeten leben. Um etwas zu ändern, müssten Bund und Länder gemeinsame Ziele setzen und vereint Geld investieren.

Doch dazu muss zunächst das Grundgesetz geändert werden. Bisher zeigen die Christdemokraten an einem solchen Schritt keinerlei Interesse. Dass die Partei auch die neue alte Bildungsministerin stellen könnte, minimiert die Hoffnungen auf eine bessere Bildungsrepublik.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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32 Kommentare

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  • Was soll der/die Leser/in jetzt daraus lernen? Verständnoslose Grüße aus NRW

  • F
    Äffle

    DEN versteht in NRW bestimmt keiner:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=d_-2_26Xvu8

  • @Schramm - Ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie die politische Ebene so stark betonen. Trotz Fachkräftemangel will die Bildungsschicht sich immer noch abschotten und setzt aufs Ausleseschulsystem. Was meine Wut steigert, ist, dass diese harte "Auslese" bis zur GEW hin mit Schöngelaber und Massen von netten "Projekten" verbrämt und kaschiert wird. Statt einer recht umfassenden Bildung, für die viele Lehrkräfte arbeiten, kommt "PISA" - verengung auf einige Fächer und testbare Inhalte. Das ist auch eine Form von geistiger Verarmung. Klar dazu passt, dass keine Steuererhöhungen oder eine neue Vermögenssteuer geplant ist - These: "Merkel ist des Stimmviehs Opium!!" Zum Verzweifeln.

  • Vielleicht liegt es auch an der Gesellschaft selbst. Das betrifft vor allem die Allgemeinbildung, die auch von der Qualitaet des politischen Diskurses abhaengt. Die Politik will Schaukaempfe und Superillu, die Menschen sollen nicht mehr selber denken.

     

    Es wird interessant sein, wie das deutsche Kontrolletti-System a la Tucholski, an dem sich im Kern nichts geaendert hat, auf die zunehmende Nivellierung durch die zunehmende Zulassung auslaendischer Abschluesse reagiert.

     

    Inlaendergleichbehandlung?

  • S
    Schramm

    Die "Soziale Marktwirtschaft" der Quandtschen BDI-Monopolbourgeoisie und deren CDU-CSU-SPD ist eine sozialökonomisch differenzierte Klassengesellschaft.

     

    Das Bildungsprivileg in der Bundesrepublik Deutschland ist Bestandteil der Bildungspolitik in antagonistischen Klassengesellschaften. Die zur Teilnahme an der Lenkung von Politik und Wirtschaft notwendige Bildung bleibt das Privileg der herrschenden Klasse und deren Administration (Bildungsmonopol).

     

    Die werktätige Bevölkerung bleibt entweder vollkommen von der Bildung ausgeschlossen (Analphabetentum auch in Deutschland mehr als acht Millionen Erwachsene), oder deren Bildung wird auf das für die technische Entwicklung erforderliche Minimum beschränkt.

     

    Das Bildungsprivileg ist eine bewusste Absage an die wissenschaftliche Bildung, um die Ausgebeuteten zum geeigneten Objekt für die geistige Manipulierung durch die herrschende Finanz- und Monopolbourgeoisie und deren gesellschaftspolitische Administration zu degradieren.

     

    Dies ist die objektive bildungspolitische und gesellschaftspolitische Realität in der spätkapitalistischen und imperialistischen Bundesrepublik Deutschland!

  • DM
    Dieter Mergel

    http://www.spiegel.de/flash/flash-27529.html

    Nein, die Daten des deutschen Bildungsatlas von 2011 sind in jedem Fall ziemlich eindeutig.

    • @Dieter Mergel:

      Irgendwie komisch, diese Karte. Viele kleine Flecken und die Uni-Stadt Bayreuth hat sehr viel weniger "Punkte" - wie die auch immer berechnet wurden - als z.B. Altötting.

  • D
    D.J.

    Zur Erinnerung: Bayern, das einzige Bundesland mit mehr Bildungsauf- statt -absteigern:

     

    http://www.taz.de/!104572/

    • @D.J.:

      Wer nach der Klasse 4 sehr hart "siebt", der hat leichter danach - Überraschung!! - noch recht fitte Kinder, die man dann netterweise doch noch aufs Gymmi läßt. Wer die "Wahl" der weiterführenden Schule den Eltern überläßt - so NRW - der hat eher mehr "Absteigende" - das ist strukturell und kein Maß für was Besseres.

  • VH
    von Humboldt

    Beim Verweis auf die CDU-geführten Länder fehlt mir als erstes auf, dass deren Schüler seit Jahren sämtliche Schulvergleichstests mit Jahren Lernabstand gewinnen. Woran es auch liegen mag, fest steht, dass zB Bremen und NRW ihr Gesamtschuldogma nicht zum Vorteil gereicht hat.

     

    Frage an die Autorin: Wie lange sollte der Staat (und damit die steuerzahlende Allgemeinheit) denn Erwachsenen-Minimal-Ausgleichsbildung verordnen und finanzieren? Sind 9-10 Jahre Schulpflicht nicht genug?

     

    Der Verweis auf "Connections" ist nicht ganz unrichtig. Hängt aber mit dem (erfreulichen) Zustand zusammen, dass Menschen mit Menschen zusammenarbeiten. Da wird eben nicht nur technokratisch auf Notendurchschnitte geschaut. Ist gleichzeitig die große Chance für alle, bei denen die Papierform nicht 100%ig stimmt. Aus welchen Gründen auch immer...

    • @von Humboldt:

      Hamburg und Berlin z.B. waren auch schon (lange Zeit) CDU-geführt. Wie so viele andere Nordländer auch.

       

      Vergleichen Sie doch mal München mit Hamburg, bin gespannt. Ach ja, das wird ja SPD-regiert, daran wirds ggf. liegen?! ;-)

      • @Viccy:

        sie wissen aber sicherlich, dass ein vergleich zwischen münchen und hamburg hinkt...

        hamburg kann sein bildungssystem frei gestalten, münchen nicht. für münchen regelt das der freistaat bayern!

        • @paulibahn:

          Und? "Bayern" kann es doch angeblich so toll.

          • @Viccy:

            ? wo ist eigentlich ihr punkt?

            bayern kann es laut allen untersuchungen auch besser als hamburg, berlin und co.

            • @paulibahn:

              Der Punkt war, mal München mit Hamburg zu vergleichen. Stichwort Großstadt/Großstadt ... Ganz einfach.

              • @Viccy:

                aber das macht, ganz einfach aus angegebenem grund, keinen sinn

                • @paulibahn:

                  Kommt drauf an, was man unter "Sinn" versteht ;-)

  • K
    Kimme

    Der Artikel zieht die falschen Schlüsse, da der Author anscheinend die politische Brille nicht abnehmen möchte.

    Fakt ist, dass in Ländern wie den USA(hier ist das Bildungsystem wesentlich schlechter) und Russland der Aufstieg (auch ohne Bildung) leichter zu bewerkstelligen ist als in Deutschland. Dies liegt einfach daran, dass die Menschen dort motivierter sind, sih den Ar*** aufzureißen. Die Ursache dafür ist, dass es dort kein soziales Netz gibt das auffängt und in dem es sich halbwegs angenehm leben lässt. Dort muss man arbeiten und sich durchbeißen um zu überleben. Das hat weder was mit der CDU, der SPD noch irgendeiner anderen Partei zu tun sondern ist unser über hundert Jahre altes Sozialsystem. Ich persönlich verzichte jedoch freiwillig auf solche Aufstiegschancen, wenn ich dafür die Sicherheit habe, dass meine Familie versorgt ist, sollte mich dennoch mal die Arbeitslosigkeit treffen.

    • @Kimme:

      USA - Güte des Bildungssystems abhängig vom geld, das man zahlt.

      Russland - Korruption und Gewalt.

      Unser soziales Netz ist knapp finanziert und die Arge sehr unangenehm. Zum "Popo aufreissen" muss man in D außerdem was können - hier gibt es kaum Jobs für Unqualifizierte.

    • @Kimme:

      Demotivierte (Real- und Gymnasial-) Schüler und Studenten in Deutschland, weil im Notfall ja noch hartz4 da ist? Schon deshalb unwahrscheinlich, weil jeder weiß, dass die Jobcenter einem Arbeitsplätze vorschlagen und einem die - erträglichen, aber keineswegs fürstlichen - knapp 400 Euro rasch runterkürzen, wenn man sich auf Dauer zu fein ist für ´nen Kassenjob im Supermarkt.

  • DM
    Dieter Mergel

    Frage an die Autorin: Warum sind die Ergebnisse in den langjährig CDU/CSU-regierten Ländern Bayern und Baden-Württemberg dann so gut?

    • @Dieter Mergel:

      Wenn Du nicht diese riesigen Flächenstaaten als solche namentlich mit den Stadtstaaten im Norden vergleichst, sondern z.B. München mit Berlin oder (naja) Stuttgart mit Hamburg, dürfte sich das Bild erheblich relativieren.

  • J
    jantorf

    Es geht auch anders!

    ZB.: Ich,1944 geb. Volksschule,Maurerlehre,Tätigkeit als Maurer.1967 Vorbereitungskurs für 2. Bildungsweg (Im ersten Diktat 25 Fehler!) Dann "Nichtabiturientenprüfung",

    Studium, Tätigkeit in der Weiterbildung (vor allem Seminare für "Arbeiter",jetzt Rentner u. mach immer noch'n

    • W
      widerborst
      @jantorf:

      Ja - 1967, da sachste was;

       

      noch externes Abi; die Pauker meiner Penne."was - die denken, die könnten mal eben in drei Jahren ..!!" baer pfiffen sich abends die Kohle auf der VHS rein;

       

      aber - es tat sich was;

      ja auch der "Blauer Himmel über der Ruhr" usw folgten;

      alles beargwöhnt und torpediert von südlich des Weisswurssthorizonts;

       

      but => the times they are a-changing.

      - "ich wär doch heute nicht mehr dabei!"

      (so zu recht Arbeiterkind Georg Schramm.)

       

      Wer aber bitte soll das denn ändern?

      Unsere PolitikasterInnen?

      Das ich nicht lache:

       

      "Wir sind die, die die, die das bezahlen, Eliten nennen."

       

      Dieser Satz von Paul Nizan - Mitschüler und Weggefährte von

      Jean-PaulSartre und Simone de Beauviore - gilt heute mehr denn je;

       

      nur daß die hier gemeinten ohnehin Lichtjahre von irgendwelcher besonderer Begabung entfernt sind;

      sonst würden sich doch wenigstens hie und da und in jeder Partei die ein oder andere Ausnahme finden und

      diesem asozialen Spuk ein Ende bereiten.

       

       

       

       

      da begann sich was zaghaft zu bewegen; aber sehr zaghaft

      selber Abi Jahr davor;

      Bruder*1939 - Holzfäller -

      fiel durchs externe!Abi mit

      Mathearbeit; 2 von 3 richtig wg schlechter Schrift ungenügend;

  • AU
    Andreas Urstadt

    ps

     

    bei dem, was ich gesehen und erfahren habe bin ich ueberhaupt nicht motiviert, mich dem anzuschliessen. Die Strukturen sind vertikal (und das nicht aufgrund von Abschluessen), es ist nicht offen. Lehne ich ab, wuerde gar nicht klappen. Sagen was ist, fuehrt zu Aggressionsausbruechen.

     

    In der New York Times gabs einen Artikel Why our elites stink, inkl Erwaehnung eines gesellschaftsanalytischen Bestsellers und dort wird die Abschottung beschrieben.

     

    Wie die aktuelle Studie zeigt, gleicht D land offensichtlich sehr den USA.

     

    Obama wollte das nach think tanks (u a Center for the american progress) korrigieren mit kulturellen Anleihen aus Asien. Obama bezeichnete die Zahlen als groesste Bedrohung der USA. Einen engagierten Bildungsminister habe ich in Deutschland noch nicht gesehen...

     

    pps

    Es erschreckt eher dass es in Deutschland um die Fragen keinen Bestseller gibt!!!!

  • AU
    Andreas Urstadt

    Wundert nicht, es wird ja konsequent weiter bestraft. Es zaehlen Connections. Dozent zu mir, wieso ich mich nicht freue, ich haette doch gerade einen 1er Abschluss gemacht. Dann legt er selbst nach, dafuer gibts kein Abo. Der und der habe nur eine 3 und leite jetzt... ein bekanntes berliner Kulturzentrum ... um s mal so zu umschreiben (dass die wissenschaftliche Qualifikation mit 3 nicht da ist duerfte klar sein). Aber der leitet natuerlich ganz selbstverstaendlich schnell so ein Zentrum.

     

    Wichtiger als Zeugnisse sind in Deutschland Connections (ganz anders in Skandinavien), d h das gute Arbeit nicht belohnt wird. Die Gesellschaft in Deutschland ist sozial undurchlaessig und das liegt nicht an Zeugnissen. Die Strukturen i Z Jobs usw sind mafioes. Die Leute werden frustriert. Das auf die CDU zu schieben ist plemplem. Siehe "Kulturzentrum", die CDU hatte da keinen Finger drin. Gewisse Kreise bleiben unter sich und brokern die Posten und spielen noch entruestet links dabei.

    • @Andreas Urstadt:

      Hm, hast Du denn mit Deiner 1 (einige Male) vor verschlossenen Türen gestanden?

    • @Andreas Urstadt:

      "dass die wissenschaftliche Qualifikation mit 3 nicht da ist duerfte klar sein"

      sagt eher etwas darüber aus, dass ihre dozenten die notenskala missinterpretieren (zumindest falls diese leute tatsächlich keine wissenschaftliche qualifikation haben sollten, denn dann wäre ein 5 oder 6 angebracht)

  • Schade, dass der Artikel nicht klärt, was er denn eigentlich meint. Was ist das Subjekt, die "gescheiterten Schüler"? Ist man etwa schon dann gescheitert und "Unterschicht" in dieser "Klassengesellschaft", wenn man die Hauptschule hinter sich bringt und dann eine Handwerkerausbildung absolviert? Hoffentlich nicht.

     

    Eine kurze Analyse der Sozialstruktur "der Gescheiterten" wäre auch hilfreich gewesen und dazu ein paar insoweit vergleichende Blicke in andere Länder, wo es wohl besser läuft.

    • @Viccy:

      üblicherweise heißt das "ohne Schulabschluss" oder "ohne Ausbildung" - hätte aber gesagt werden können.

      • @guido-nrw:

        Interessant. Denn das sind ja dann doch zwei recht verschiedene Dinge, ob jemand nach zweifacher Wiederholung der achten Klasse ohne Abschluss von der Schule geht oder ob jemand mit bspw. durchschnittlichem Realschulabschluss keine Ausbildungsstelle findet. Die jeweiligen Fördermaßnahmen wären auch ganz andere.

  • DB
    Die Bildungslücke

    Wahrscheinlich haben überdurchschnittlich viele Vertreter der Presse an der Studie teilgenommen.