Ironman auf Hawaii: Seltsame Grenzverschiebungen
Der Deutsche Sebastian Kienle wird Dritter beim Ironman. Für das größte Aufsehen sorgt Siegerin Mirinda Carfrae: Nur zwei Männer liefen schneller als sie.
Als immer noch die Sonne in die Bucht von Kailua-Kona schien und die Siegerehrung auf dem Parkplatz des King Kam Beach Hotel noch bevorstand, hat sich Faris Al-Sultan auf eine Steinmauer gesetzt. Und mit markigen Sätzen ausgedrückt, dass der diesjährige Ironman Hawaii für den deutschen Markt eine Zeitenwende besiegelt haben könnte.
„Die Wachablösung ist da!“, stellte der Münchner fest, der zwar alles auf diese Weltmeisterschaft ausgerichtet hatte, aber letztlich erneut nur Zehnter wurde. „I g’winn hier nix mehr. Der ganz große Stich – das kannst vergessen.“ Der Hawaii-Champion von 2005 will wiederkommen, aber nicht mehr um die Krone kämpfen.
Anders als Sebastian Kienle, der nicht umsonst als „Deutschlands Triathlet des Jahres“ firmiert. Bei seinem zweiten Start auf Big Island erklomm der 29-Jährige erstmals das Podium: völlig erschöpft, aber überglücklich blieb der Karlsruher nach ereignisreichen 8:19:24 Stunden über die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen im Zielkanal liegen. „Ich wusste gar nicht, dass es nichts Schöneres geben kann, als auf dem Asphalt zu ruhen“, sagte Kienle später, „ich war absolut am Limit.“
Männer: 1. Frederik Van Lierde (Belgien) 8 Stunden, 12 Minuten 29 Sekunden; 2. Luke McKenzie (Australien) 8:15:19; 3. Sebastian Kienle (Deutschland) 8:15:19 … 9. Timo Bracht 8:26:32; 10. Faris Al-Sultan 8:31:13
Frauen: 1. Mirina Carfrae (Australien) 8:52:14; 2. Joyce Rachel (Großbritannien) 8:57:28; 3. Liz Blatchford (Großbritannien) 9:03:35 … 16. Kristin Möller 9:31:41 (Deutschland)
Marathonzeiten Männer/Frauen: 1. Aernouts Bart (Belgien) 2:44:03; 2. Ivan Rana (Spanien) 2:47:54; 3. Miranda Carfrae 2:50:38 … 5. Frederik Van Lierde 2:51:18
Dass der Belgier Frederik van Lierde (8:12:29) sich die Krone aufsetzte und der Australier Luke McKenzie (8:15:19) Zweiter wurde, konnte ihn daher nicht ärgern. „Ich bin super happy“, beschied der Drittplatzierte, der beim Schwimmen gewaltige Fortschritte („bin doch nicht total talentfrei“) und auf dem Rad mächtig Betrieb machte („wollte das Feld zerpflücken“). Kraftanstrengungen, die auch vor dem Hintergrund seiner durch einen Bänderriss und einen Infekt erzwungenen Auszeit im Frühjahr beinahe beim Laufen zum K.-o. geführt hätten.
Kurz vor der Aufgabe
„Ich habe schon nach einer Meile des Marathons gedacht, dass ich aufgeben muss – und nach zwei und drei Meilen auch, aber das kannst du als Dritter nicht machen“, bilanzierte Kienle, der bei der „abartigen Hitze“ (Al-Sultan) sich zwischenzeitlich Kilometerzeiten von 6:30 Minuten leistete.
Immerhin fand er „den total verlorenen Rhythmus“ noch wieder, während etwa der hoch gehandelte Andreas Raelert einen schwarzen Tag erwischte. Der 37-jährige Rostocker gab nach Problemen mit seiner Oberschenkelmuskulatur auf. Der 38-jährige Eberbacher Timo Bracht erkämpfte sich dank seiner mentalen Stärke noch den neunten Rang – und doch wird die Generation Al-Sultan, Raelert oder Bracht sich auf der Langdistanz wohl auf absehbare Zeit hinter Kienle einreihen müssen.
„Wohin das bei mir noch hinführen soll, ist klar. Mein perfekter Tag kommt noch“, prophezeit der Physikstudent selbstbewusst. Und doch ordnet er dem Hawaii-Sieg nicht alles unter; oft genug hat er bekannt, dass der Halbdistanz-Ironman-Weltmeister lieber den Nobelpreis in Physik gewänne, weil „das noch eine ganze andere Leistung erfordert“.
Fabelzeit im Frauenfeld
Großes Staunen rief die neue Fabelzeit im Frauenfeld hervor: Die strahlende Siegerin Mirinda Carfrae schaffte es ja nicht nur, nach 8:52:14 Stunden die alte Bestmarke der in der Szene nun wahrlich nicht bestens beleumundeten Britin Chrissie Wellington zu brechen, sondern die 32-Jährige lief mit 2:50:35 Stunden eine schier unglaubliche Marathonzeit.
Überhaupt nur zwei Männer waren zwischen Ali’i Drive und Energy Lab schneller als die zähe Australierin, die ihrem angehenden Ehemann Tim O’Donell, dem Fünftpatzierten im Männerrennen, einen peinlichen Moment in der Nachbetrachtung bescherte. War doch der als exzellenter Läufer geltender US-Amerikaner über die 42,195 Kilometer fast noch eine halbe Minute langsamer.
Da wurde auch der neue Champion stutzig. „Ich höre zum ersten Mal, dass die Frauensiegerin schneller war als ich“, sagte van Lierde. „Wirklich wahr?“ Der latente Zweifel schwimmt, radelt und läuft eben längst auch beim berühmtesten Triathlon-Event der Welt mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wirtschaftspolitik der FDP
Falsch und verlogen
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Scholz lehnt Vertrauensfrage vor Januar ab
Trumps Sieg bei US-Präsidentschaftswahl
Harris, Biden, die Elite? Wer hat Schuld?
Schönheitsideale in der Modewelt
Zurück zu Size Zero