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Der Nordstaat: eine Wolke

Das Thema Länderfusion sorgt seit Jahrzehnten immer mal wieder für Schlagzeilen. Konkret wird es allerdings sobald nicht: Dazu gäbe es zu viele Verlierer bei einer Länderneugliederung

von Klaus Wolschner

Es ist wie mit der Schneelawine: Ein kleiner Tritt neben den festen Weg und der Hang geht in einer dichten weißen Wolke bergab. Was wirklich passiert ist, das sieht man erst, wenn die Lage sich wieder beruhigt hat. Ein Beispiel: Der Berliner Senat trifft sich am Dienstag mit der Landesregierung von Brandenburg. In den meisten Fällen kommt bei solchen Treffen außer schönen Worten nicht viel heraus. Klaus Wowereit, der Regierende, sprach eine Banalität gelassen aus: „Aus meiner Sicht kommt es darauf an, den nächsten Schritt, eine Fusion Berlins und Brandenburgs, auch wirklich zu vollziehen.“ Und schon ging es los. Dass die beiden Bundesländer fusionieren wollen und im ersten Anlauf nicht das Plazet des Volkes bekamen, ist bekannt. Die WELT machte dennoch eine große Geschichte aus der eher hilflosen Bemerkung und zitierte Worte des Hamburger Regierenden, die nicht weniger unentschieden klingen: „Die Zwänge werden uns gar keine andere Wahl lassen“, orakelte Ole von Beust (CDU). Er hatte in der vergangenen Woche gemeinsam mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein einen Staatsvertrag über die „Metropolregion Hamburg“ unterzeichnet – und eben nicht einen Zeitplan für die Nordstaat-Fusion.

Jens Bullerjahn, SPD-Spitzenkandidat bei der bevorstehenden Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, sah seine Chance und sprach sich für neun Bundesländer statt wie derzeit 16. „Die alte Struktur mit 16 Ländern lässt sich auf Dauer nicht mehr finanzieren“, sagte Bullerjahn, als sei er der Hüter der Kassen der Geberländer und nicht ein Vertreter eines „Nehmerlandes“ im Länderfinanzausgleich. Bullerjahns Lieblingsprojekt ist ein geeintes Mitteldeutschland aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Dass Sachsen-Anhalt einen Vorteil davon hätte, wenn es Randprovinz von Leipzig wäre, hat bisher noch niemand behauptet. Ist die Lawine einmal losgetreten, werfen sich alte Bekannte auf den Hang. Der Chef des Unternehmensverbandes Nord (UV-Nord), Hans Hermann Driftmann, will eine Vorreiterrolle einnehmen. „Bereits in der nächsten Legislaturperiode des Kieler Landtages ist die Fusion möglich und wahrscheinlich“, sagte er.

Bremens ehemaliger Bürgermeister Henning Scherf macht die Lawine mit einer flotten Bemerkung zu einer Chimäre: „Die Debatte ist anachronistisch“, sagte er auf einem Unternehmerempfang in Kiel: „Die Musik spielt global und nicht in den Kirchtürmen rings um uns herum.“ Sein Nachfolger Jens Böhrnsen verweist darauf, dass eine Länderfusion „keines der Probleme Bremens lösen“ könne – als sei das das Ziel der Fusion. Und Christian Wulff, kluger Staatsmann, hält sich vornehm zurück: Die Haltung Bremens müsse man „akzeptieren als größerer Nachbar“. Sinnvoll sei eine Zusammenarbeit zwischen Bremen und Niedersachsen – „am Ende einer solchen Zusammenarbeit kann möglicherweise auch eine Fusion stehen. Die muss aber von beiden Partnern gewollt sein.“ Solange Bremen pro Jahr 25 Prozent seines Staatsetats mit neuen Krediten finanzieren darf, will Bremen natürlich nicht.

Wie eine gelungene und wegweisende Zusammenarbeit aussehen kann, weiß Niedersachsens CDU-Fraktionsvorsitzender David McAllister. Er schwärmt von der Verlängerung der S-Bahn Linie 31 von Hamburg-Neugraben über Buxtehude nach Stade.

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