piwik no script img

KinderbücherLesend neue Welten erschließen

Erstmals hat die Neuköllner Werkstatt der Kulturen eine Kinderbuchparty veranstaltet. Vorgestellt werden Bücher, die gesellschaftliche Vielfalt anbieten.

Neue Welten erschließen sollen Bücher - nicht ausgrenzen. Bild: DPA

Fünf kleine Mädchen tummeln sich auf der Bühne, die eingerichtet ist wie ein Kinderzimmer. Plüschbären, Schaukeltiere, Spielzeugkiste. An der Wand im Hintergrund flimmern Bilder von lesenden Kindern. Sie liegen auf der Wiese, lümmeln auf Sesseln oder lesen gemeinsam mit der Mama kuschelnd im Bett. „Meine Damen und Herren, liebe Botschafter und Kinder! Ich präsentiere Ihnen: gar nichts!“ ruft ein Mädchen mit geflochtenen Zöpfchen ins Mikrofon. Ganz so stimmt das natürlich nicht. Die Werkstatt der Kulturen hat an diesem Sonntag Nachmittag zur Kinderbuchparty geladen. „Empowerment durch Lesen“ ist das Motto. Kindern jeder Herkunft soll hier ein Forum geboten werden, sich mit Kinder- und Jugendliteratur auseinander zu setzen, die frei von Diskriminierung und Rassismen ist. „Geschichten zum Tagträumen und Mitfiebern, zum Lachen und Gruseln, zum Kichern und Staunen“ heißt es in der Einladung.

Die Kinderbuch-Debatte

Es war unter anderem das Wort "Negerlein" im Buch "Die kleine Hexe" des im Februar verstorbenen Autors Otfried Preußler, das zu einer langen und teils erbittert geführten Debatte darüber führte, ob solche und ähnliche diskriminierende Begriffe schlicht veraltet oder auf verletzende Weise rassistisch sind. Der Auslöser war schnell geklärt: Nachdem Mekonnen und Timnit Meshgena Preußlers Verleger Klaus Willberg in einem Brief erklärten, warum sie diesen und andere Begriffe ausgrenzend und beleidigend finden, änderte der diese mit der Zustimmung des Kinderbuchautors und dessen Angehörigen. TAZ

Ein Büchertisch steht bereit. Kinderwelten, ein Projekt zur vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen, stellt eine Auswahl an Kinder- und Jugendbüchern vor. Die Kinder und Eltern können sie sich ausleihen und gemeinsam an den Bistrotischen darin lesen. Auch die Stadtbibliothek Neukölln hat für den Tag Bücher zur Verfügung gestellt. Es sind größtenteils Bücher in deutscher Sprache, aber auch englische, türkische oder arabische Titel finden sich darunter. Gemeinsam haben alle, dass sie die gesellschaftliche Vielfalt abbilden wollen. Vom Cover des Buches „I love my Hair“ lacht einem ein Mädchen mit schwingenden Rastazöpfen entgegen. „Das schwarze Buch der Farben“ ist in Blindenschrift geschrieben, und Leser können die dazugehörigen Bilder mit den Fingern erfühlen. Gabriele Koné, eine Pädagogin von Kinderwelten, erzählt, dass es in der Auswahl darum geht, nicht nur das typische Familienbuch anzubieten, sondern auch Bücher, die pädagogisch in ganz neue Richtungen weisen. Ein Junge schaut die Kisten durch. Gabriele Koné fragt: „Willst du das anschauen?“ und setzt sich mit ihm zusammen, um ihm das ausgewählte Buch vorzulesen. Familiär ist die Stimmung hier, viele kennen sich. Mitglieder einer Facebook-Gruppe mit dem Namen „Empowerment durch Lesen“ haben hier –außerhalb der virtuellen Welt – Gelegenheit zum Austausch. Als Maisha Eggers und Mekonnen Mesghena die Bühne betreten, stellen sie als erstes klar, dass sich hier alle duzen dürfen.

Der Saal ist inzwischen gut gefüllt. Dr. Maureen-Maisha Eggers ist Erziehungswissenschaftlerin. Sie forscht aktuell zu den Themen „Differenz, Dominanz und Diversität“ in Medien, die sich an Kinder und Jugendliche richten. Sie und Mekonnen Mesghena, der Diversity-Beauftragte der Heinrich-Böll-Stiftung, treffen sich auf der Bühne zum Gespräch. Maureen-Maisha Eggers erzählt von der Lesebiografie ihrer Kindheit, die sie in Kenia verbracht hat. Natürlich sei sie im British Commonwealth sehr früh mit den Büchern Enid Blytons konfrontiert worden. Sie hätte sie verschlungen, sagt sie, wie Kinder überall auf der Welt. „Aber ich als schwarzes Kind kam da nicht handelnd vor. Überhaupt gab es in den Büchern meiner Kindheit sehr wenig schwarze Leute. Und wenn, dann waren sie negativ besetzt. Soviel zu dominanter Literatur.“

Ein Mädchen aus dem Publikum bemerkt, dass ihr das gar nicht so wichtig wäre, sie könne sich die Figuren ja schwarz vorstellen. Maisha Eggers antwortet, dass es aber eine große Anstrengung wäre, sich selbst immer mitdenken zu müssen. „Es ist ein bisschen wie bei einem Toaster, der nur Brötchen toastet, aber keinen Toast. Dann ist die Hauptaufgabe nicht erfüllt.“ Denn die Aufgabe von Kinder- und Jugendliteratur sei es, Kinder handlungsfähig zu machen in einer von Ungleichheiten durchzogenen Gesellschaft. Mekonnen Mesghena ergänzt, dass das im Film ganz ähnlich sei. Für viele Weiße sei es immer noch schwer, sich schwarze Personen in Hauptrollen vorzustellen – als Ärztin oder Anwältin beispielsweise. „Alle haben sich damit arrangiert, auch People of Color selbst, dass sie nicht vorkommen.“ Man müsse das einfach viel öfter machen, damit alle sich daran gewöhnen. Während des Gesprächs flitzen Kinder umher, quietschen und schnattern. Es wird Zeit, dass endlich das Kinderprogramm losgeht.

Mekonnen Mesghenas Tochter Timnit betritt die Bühne. Sie hat sich hübsch gemacht, weißes Kleid und frisch geflochtene Haare. Sie wird heute aus der überarbeiteten Ausgabe aus Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ lesen. Sie und ihr Vater hatten sich im Frühjahr an den Verlag gewandt, um über die Verwendung verletzender Begriffe, die im Buch vorkamen, ins Gespräch zu kommen. Der Verlag zeigte sich verständnisvoll und strich ein Wort. Das löste eine große gesellschaftliche Diskussion über Sprache und Zensur aus, die sogenannte Kinderbuchdebatte. Die Achtjährige kündigt an: „Ich lese euch jetzt das Kapitel vor, das wir letztes Jahr nicht lesen wollten, aber es wurde geändert.“ Applaus, dann wird gebannt gelauscht. Im Kapitel seien immer noch fragwürdige Passagen, merken einige Eltern an. Heute will man hier jedoch abseits der Debatte zusammenkommen, um sich unaufgeregt auszutauschen.

Hier auf der Veranstaltung, wolle man keinem etwas vorwerfen, sagt Philippa Ebéné, die Chefin und kulturelle Leiterin der Werkstatt der Kulturen, das bringe nichts. „Neue Räume zu öffnen und Perspektiven aufzuzeigen ist viel befriedigender.“ Die Kinderbuchparty fand diesen Sonntag zum ersten Mal statt. Für nächstes Jahr sind weitere Veranstaltungen geplant. Timnit Mesghena freut sich. Obwohl sie vor ihrem Auftritt ganz schön aufgeregt war, hätte es großen Spaß gemacht. Sie kann es sich vorstellen, wieder einmal für andere Kinder vorzulesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!