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Kommentar Große KoalitionMerkel plus Betriebsrat

Es sagt sich leicht, dass die Große Koalition keine große Idee hat. Aber das stimmt nicht. Ihr Geist ist die Wiederherstellung des Korporatismus.

Ganz im Gegenteil zum Vertrag: strahlende Koalitionspartner. Bild: dpa

Ja, auch Angela Merkel hat sich in Schlüsselfragen durchgesetzt. Bei den dramatischen Nachtsitzungen zu Maut und Rente wird schnell vergessen, dass sich die Kanzlerin bei den Steuern und dem Euro lautlos durchgesetzt hat. Wird in dieser Koalition also die Union die Linien ziehen, während Sigmar Gabriel den Betriebsrat der Nation spielen darf? Nicht ganz.

Es sagt sich flott dahin, dass diese Große Koalition keine Idee hat. Aber es stimmt nicht. Der Koalitionsvertrag ist nicht bloß die Addition von Einzelinteressen, die irgendwie synchronisiert werden mussten. Er hat eine Linie. Der Geist dieses Vertrags ist die vorsichtige Wiederherstellung des bundesdeutschen Korporatismus. Es ist kein Zufall, dass die Gewerkschaften Befürworter dieser Koalition sind. 2005 war das anders.

Auf der Habenseite stehen die verbesserten Bedingungen für die working poor: Es wird, überall zwar erst 2017, einen Mindestlohn von 8,50 Euro geben. Und prekäre Jobs werden besser reguliert werden. Manches ist dabei zu wolkig. Aber die Richtung ist klar: Wer arbeitet, soll nicht mehr so ausgebeutet werden wie bisher. Es ist die Frage, ob eine linke Regierung unter heftigem Trommelfeuer der Wirtschaft im Bereich Arbeit mehr durchgesetzt hätte. Deshalb ist es nicht nur wahrscheinlich, sondern auch folgerichtig, wenn die SPD-Basis Ja zu diesem Koalitionsvertrag sagt.

Bildergalerie

Hier geht es zur „Koalition der Kaputten“.

Die SPD hat sich wieder in eine Klientelpartei der arbeitenden, überwiegend männlichen Bevölkerung verwandelt. In dieses Bild passt exakt, dass wer 45 Jahre arbeitet, verlustfrei mit 63 in Rente gehen darf. Das ist ein Korrekturzeichen zur Rente mit 67. Es ist kein Zufall, dass diese Große Koalition die meisten Schäden der Schröder-Müntefering-Zeit beseitigen will, aber nicht alle. Hartz-IV-Empfänger fallen durchs Sieb.

Das hat nichts Strahlendes

Die korporatistische Fixierung auf Großorganisationen hat weitere unschöne Seiten, etwa bei der Energiewende. Die wird nicht gestoppt, aber abgebremst. Die Konzerne kommen günstig davon.

Dieser Koalitionsvertrag ist ein Glas, das halb voll ist. Er ist eine Art Reparaturanleitung für das beschädigte Gewebe der Gesellschaft, mit ein paar präzise formulierten und ein paar leeren Seiten. Das hat nichts Strahlendes. Die Finanzierung ist etwa bei der Rente eher etwas für Gutgläubige. Aber haben die Deutschen nicht genau dies „Weiter so“ plus etwas mehr sozialen Ausgleich gewählt?

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21 Kommentare

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  • F
    Fettimgeschäft

    Das lacht das Herz, denn zu Weihnachten wird der Gabentisch voll sein - aber nicht bei allen

  • Nun schauen wir mal, was die Groko zustande bringt. Alles schon vor dem Tag 1 zu zerreißen, ist auch nicht sonderlich geistreich.

  • K
    klugscheisser

    ,die Mehrheit der Deutschen hat Rot-Rot-Grün gewählt'

     

    Nope. Die relative Mehrheit der Deutschen hat CDU gewählt. Und Koalitionen steh'n auf keinem Stimmzettel.

  • Also halt mal, die Mehrheit der Deutschen hat Rot-Rot-Grün gewählt, schon wieder vergessen? Allerdings hätte DAS für die SPD viel Arbeit bedeutet, so geht's natürlich einfacher. SPD und CDU sind sich mittlerweile zu ähnlich, ich sage nur 'Kohle-Kraft', als dass es in der sog. Großen Koalition zu größere Reibereien kommen könnte, und das freut die Genossen an der Spitze.

  • BH
    Bernd H. Schoeps

    Gabriel gibt nach außen den Betriebsrat, in Wahrheit agiert er demagogisch, wie die Regelung zur Rente mit 63 ohne Abschläge zeigt:

    Laut Groko-Vertrag sollen Arbeitnehmer, die 45 Jahre Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben, ohne Abschläge mit 63 Jahren in Rente gehen könne. Diese Regelung, so die SPD mit stolzgeschwellter Brust, habe sie zugunsten der Arbeitnehmer durchgesetzt. Wenn man genau hinschaut und rechnet, wer wirklich in den Genuss dieser Reglung kommt, bleiben kaum Menschen übrig. Auszubildende erreichen die 45 Jahre nur dann, wenn sie lückenlos beschäftigt sind und keine weitere Schullaufbahn beginnen. Heutzutage gehen Tausende Haupt- und Gesamtschüler/innen nach dem zehnten Schuljahr im Alter von oft 17 Jahren auf das Berufskolleg, weil sie keine oder nicht die gewünschte Lehrstelle finden, oder weil sie z. B. die FOR nachholen wollen. Dann werden sie etwa 2 Jahre dort geparkt, oft ohne den angestrebten Abschluss. Mit 19 Jahren kommen sie dann zum ersten Mal in die beitragspflichtige Beschäftigung. 63 Jahre minus 19 Jahre sind nur 44 Jahre, also zu wenig. Alle anderen Schüler/innen, die den Weg zum Abitur einschlagen und dann doch eher abbrechen, kommen ebenfalls nicht auf die 45 Jahre Beitragszahlung. Alle Abiturienten, die ein erfolgloses Studium abbrechen, ebenfalls nicht. Lehrlinge, die zügig mit der Berufsausbildung beginnen aber nach einiger Zeit umschulen, ebenfalls nicht. Lehrlinge, die später arbeitslos werden, bleiben zwar in der Rentenversicherung, zahlen aber im Grunde keine Beiträge. Die fallen dann auch durch den Rost. Die Frage ist also: Wer bleibt übrig, um die nach dem neuen Gesetz nötigen 45 Jahre als Rentenversicherungs-Beitragszahler voll zu kriegen? Fast niemand. Also ist die entsprechende Regelung im Groko-Vertrag im Grunde ein demagogisches Manöver der SPD, um bei ihrer Klientel zu punkten und sie zur Zustimmung zu bewegen.

     

    Bernd H. Schoeps

    Bochum

  • S
    Sozi

    Stefan Reineckes Kommentar geht im Wesentlichen in Ordnung. Nur ein Passus ist Unsinn: Dass sich die SPD wieder "in eine Klientelpartei der arbeitenden, überwiegend männlichen Bevölkerung" verwandelt hätte. Von Niedriglöhnen, prekärer Arbeit und Armutsrenten sind weit mehr Frauen als Männer betroffen; deshalb werden von den von der SPD durchgesetzten Korrekturen vor allem Frauen profitieren. Also keine Sorge: Die SPD hat zwar keine Kanzlerin, aber ist schon lange zehnmal mehr Frauenpartei als die CDU - und wird das auch bleiben.

  • Warum bleibt mir bei Sätzen wie "wer arbeitet, soll nicht mehr so ausgebeutet werden wie bisher..." die Luft weg? Das soll jetzt beklatscht werden, weil "eine linke Regierung nicht mehr hätte durchsetzen" können? Lebe ich hier in Paraguay oder in dem Rechts- und Sozialstaat BRD?

    Die SPD/Grünen wären in der jetzigen Verfassung keine "linke Regierung" gewesen, - DESHALB hätten sie nicht mehr durchgesetzt. Und im Übrigen: Wer regiert hier eigentlich? Muss das Volk (der angebliche Souverän) sich jetzt schon bedanken dafür, dass es nicht völlig versklavt wird, sondern etwas weniger? Hurra, was gehts uns gut - der Durchschnittsdeutsche gibt 3 Euro mehr für Weihnachtskrempel aus. Herzliches Beileid zu solchen Kommentaren.

    • A
      Als_Gast
      @UWB:

      Haha!!!!! Danke für diesen Beitrag :)

  • Ein neues, altes Tier geht nun also wieder um in Deutschland... das Grokodil ist wieder da. Auf Bundesebene schon zweimal für ausgestorben erklärt, nachdem es in unserem Land von 1966 bis 1969 und von 2005 bis 2009 heimisch war, ist es nicht totzukriegen!

     

    http://ganesha1967.blogspot.de/2013/11/ein-neues-tier-geht-um-in-deutschland.html

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Das wirkliche Problem, die Auseinanderentwicklung der Gesellschaft hinsichtlich der Vermögenszuwächse bei den Reichen und der Verarmung der mittleren und unteren Einkommenschichten, wird nicht angegangen. Daher wird auch diese Regierung die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter öffnen. Nur mit einer angemessenen Vermögenssteuer, Vermögensabgabe und Erbschaftssteuer hätte man diese versuchen können zu schließen. Davon findet sich nichts im Koalitionsvertrag. Alles nur Kosmetik.

  • G
    gerd.

    Mir scheint vor allem unsicher, ob der Inhalt des halbvollen Glases sich als genießbar erweisen wird. Planungen für das Ende der Regierungszeit werden nur zu leicht aus diesen oder jenen Gründen verschoben und damit womöglich überhaupt nicht umgesetzt. Mein Vertrauen in die Zuverlässigkeit ist nicht besonders hoch in Anbetracht, wie sehr Regierungsvorhaben in den letzten Jahren von den verschiedenen Koalitionsparteien, Finanzministern und weiteren Beteiligten zerredet wurden.

     

    Desweiteren hat niemand ein "Weiter so" gewählt, immerhin gab es keine Präferenzwahl à la "1. GroKo, 2. SPD-Alleinregierung, 3. SPD-B9G, 4. Union+B9G usw."

  • L
    Lorenz

    Wer sich durchgesetzt hat, ist doch nicht Frau Dr. Merkel. Hallo !

    Kurz nach der BTW erreichte die Kasse der CDU eine mickrige Spende der Familie Quandt. Nämlich exakt (!) 0,1 % der Jahresdividende 2012.

    Dies im Lichte, daß die Vermögenssteuer von 1 % seit 1997 von Herrn Dr. Kohl ausgesetzt ist.

    Und wer 'Schutzgeld' kassiert, der steht in der Pflicht.

    Wer also liest den Koalitionsvertrag entspannt und zurückgelehnt ? Das Großkapital.

    Vielen, vielen Dank.

  • PH
    Peter Haller

    Dieser Kommentar passt genau zum deutschen mainstream der letzten Jahre: Schnarchnasigkeit bis zum Geht nicht mehr....

    Und dieses deutsche Weltbild wird uns in diesem Jahrzehnt nicht mehr verlassen. Um Gottes Willen.....

  • B
    Blechstein

    Das Gefühl satter Zufriedenheit tropft wie Schmalz von ihren Gesichtern.

  • TR
    Trügen Rittin

    Ganz schlecht von Merkel. Sie hat aus ihrer Partei eine billige SPD/Grün Kopie gemacht. Das wird sicherlich nicht gut gehen.

  • VR
    Volker Rachow

    Wer trinkt sich denn hier bitteschön am frühen Morgen schon die große Koalition schön?

    Der Kurs bleibt wie gehabt: Neoliberal in neuem Gewand wird die Industrie bepusselt und die Ärmeren immer weiter abgehängt.

    Wer etwas anderes aus der rot-schwarzen Linie abliest ist entweder hoffnungslos naiv oder eben doch auch bereit, sich gegen "die da unten" abzusetzen um sich etwas besser zu fühlen.

  • FF
    Fischers Fritze

    Wenn man ganz konzentriert hinhört,kann man es jetzt schon vernehmen ....bimmellingeling...

    das Totenglöckchen der deutschen Sozialdemokraten.

  • Das Glas ist nicht halb voll, es ist halb leer.

    Mindestlohn ab 2017, das soll gut sein?

    Energiepolitik für die Großkonzerne.

    Das alles ist CDU-Politik, das kann Merkel auch allein.

  • L
    Lottemeier

    Diese Groko ist nicht für Deutschland - sie is fürn Arsch.

  • ED
    Ein Desillusionierter

    Schlimm! Einfach nur schlimm!

  • N
    Nawennschon

    Wohlgefühl und fettes Lachen auf beiden Seiten.