DIY-König von Wittenberg: Die Ohnmacht des Minimonarchen
Peter Fitzek hat sein eigenes Königreich ausgerufen. Seine Untertanen wollen den herrschenden Machtverhältnissen entkommen – und landen in neuen.
„Ich hätte 200 Schlösser und wär nie mehr pleite“, sang einst Rio Reiser. „Das alles und noch viel mehr, würd ich machen, wenn ich König von Deutschland wär.“
In Wittenberg gibt es einen Mann, der diesen Traum wahrgemacht und das „Königreich Deutschland“ ausgerufen hat. Anstelle der 200 Schlösser bekam er eine Razzia von 200 Beamten sowie 900.000 Euro Zwangsgeld. Auf dem vorläufigen Höhepunkt seines Konflikts mit der Bundesrepublik wurde er Ende Oktober zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, ohne Bewährung. Der König war mit seinem selbst gefertigten Führerschein wiederholt am Steuer erwischt worden.
Seine Geschichte könnte Sektenforscher und Verfassungsschützer interessieren, sie ist absurd und skurril. Vor allem aber ist es eine Geschichte über Macht in ihren vielen Ausprägungen.
Das Staatsgebiet des Königreichs ist ein ehemaliges Krankenhausgelände in Apollensdorf-Nord bei Wittenberg. Still ist es hier, die Wege sind gesäumt von gelben und roten Blättern, das restliche Deutschland scheint weit weg. Der König hat sich an diesem Tag noch nicht blicken lassen, dafür sind seine Untertanen schon da, ungefähr 15 Enthusiasten wohnen in den weitläufigen grauen Gebäuden. Enthusiasten, die ihre Personalausweise abgegeben, innerlich mit ihrer bürgerlichen Existenz in Deutschland abgeschlossen haben, Enthusiasten wie René.
Die Welt: zu komplex
Der 44-Jährige ist aus Dresden hergezogen und hat sein Leben „voll auf die Vision des Königreichs ausgerichtet“, die er nicht genau umschreiben kann. Es gehe ihm um ein „selbst bestimmtes Leben“. Ein anderes Gründungsmitglied ist Martin Schulz, ein ehemaliger Zeitsoldat, den vor allem die komplexe Welt aufregt, in der es zu allem „zwei Meinungen gibt“. Schulz ist Pressesprecher der Minimonarchie, er filmt alles mit, was Kamerateams auf dem Staatsgelände filmen.
Die Macht der Bilder wollen die Enthusiasten niemandem überlassen. Es ist schwer zu ergründen, weshalb Menschen ihr Leben aufgeben, um Teil einer, nun ja, kuriosen Monarchie zu werden. Was sie alle eint, ist das Gefühl der Ohnmacht.
Nicht anders ist es auch bei jenen, die neu mitmachen wollen und deshalb den 400 Euro teuren Einbürgerungstest absolvieren. Die 31-jährige Daniela aus Stuttgart steht am Schlagbaum, der das Königreich von der Bundesrepublik trennt, zündet sich eine Selbstgedrehte an. Sie strebt eine „doppelte Staatsbürgerschaft“ an, träumt von einem Staat, der „alle fair behandelt, wo alle frei sind“.
Frei in einer Autokratie? Wenn einer „im Sinne aller“ das Sagen hat, sei das in Ordnung. Es ist dieser Traum vom guten Diktator, der hier viele umtreibt. Mitten im Leben stehende Handwerker und Angestellte sehnen einen Staat herbei, in dem „ein menschenwürdiges Leben möglich ist“.
Luther: musste auch fliehen
Später am Tag zieht es für den Tross der gut 50 Aktivisten und Interessierten zur „Königlichen Reichsbank“ in die Wittenberger Altstadt. Weite Glasfront, glänzender Marmorboden, keimfreie Umgebung: Die Bank ist von einer Sparkassenfiliale kaum zu unterscheiden. Nun betritt der Monarch die Szene. Peter Fitzek ist 48, er trägt Schwarz, von seinem maßgeschneiderten Hemd strahlt eine stilisierte Sonne.
Mit akkuratem Pferdeschwanz und durchdringendem Blick sieht er wie ein Kampfsportlehrer aus. Was daran liegen könnte, dass er mal Kampfsportlehrer war. Er war aber auch Koch, Videothekar, Inhaber eines Esoterikladens. Nun wartet Fitzek, bis alle still sind, und sagt: „Wir brauchen eine sanfte Reformation. Ich habe keine Angst vor den Behörden. Luther musste auch fliehen.“ Er blickt nach draußen, wo Touristenscharen zur Schlosskirche schlendern. Fitzek atmet durch, zupft sein Hemd gerade, dann spricht er.
Spricht über nicht mehr sichere Spareinlagen der Deutschen, über das königliche Gesundheits- und Rentensystem, das abgehörte Handy von Kanzlerin Merkel, das ein Beweis dafür sei, dass Deutschland nicht souverän ist. „Geld verdienen wir mit Seminaren, haben Zuwendungen von Unterstützern“, sagt er.
Wenn Fitzek „wir“ sagt, ist nicht immer klar, ob er oder sein Staat gemeint sind, denn er kommuniziert zuweilen im „Pluralis Majestatis“, dem „königlichen Wir“. Während Fitzek sich mit erhobenen Armen echauffiert, wuseln seine Untertanen um ihn herum, verteilen Flyer, lächeln.
Ablehnung der Bundesrepublik
Verweigerer der herrschenden Ordnung gibt es in Deutschland viele. Mit sogenannten Reichsdeutschen haben Fitzek und die seinen gemeinsam, dass sie die Bundesrepublik als Staat nicht anerkennen und sie lediglich als Verwaltungskonstrukt betrachten. „Mit denen wollen wir nichts zu tun haben“, sagt Fitzek. Denn während die weit rechts stehenden Reichsdeutschen „nur kritisieren, wollen wir einen neuen Staat schaffen, der dem freien Menschen dient“.
Anrufe bei Polizei, Staatsanwaltschaft und anderen Behörden bringen wenig zu Tage. Selbst erfahrene Beamte fühlen sich hörbar unwohl, obwohl jeder den Namen Fitzek kennt. Sie bestätigen lediglich Ermittlungen und verweisen auf die Bafin. Die Finanzaufseher zeichneten sich für die Razzia und das Zwangsgeld verantwortlich. Ein Sprecher erklärt, dass Fitzek „verschiedene Bank- und Versicherungsgeschäfte“ untersagt wurden, und spricht von „außergewöhnlichen Vorgängen“ und vielen Liegenschaften, die den Einsatz von gleich 200 Polizisten nötig gemacht hätten.
Der ungleiche Kampf gegen die große Bundesrepublik mit ihrer entschiedenen Machtdemonstration schweißt zusammen. Dabei sei seine Bank keine im klassischen Sinne, sagt Fitzek, geht zu einer eigens aufgestellten Parkbank, auf der eine mit „Königliche Reichsbank“ bestickte Decke liegt. „Das ist die Reichsbank.“ Das eigene Geld, das Fitzek herausgibt, der „Engel“, sei eine Regionalwährung im Feldversuch. Gültig sei sie natürlich trotzdem – im Königreich. Verwirrung kann eine Machtressource sein, wenn nur einer die Übersicht behält.
Eine Übersicht über die zahlreichen Liegenschaften des Königreichs und ihre Besitzstrukturen zu erlangen, ist nicht leicht. Das „Staatsgebiet“ gehört Fitzek und den seinen, ist aber noch nicht abbezahlt. Eine nicht weit entfernt liegende ehemalige DDR-Chemiefabrik dagegen schon. Fitzek führt die Interessierten mit einer Kerze durch frisch geflieste Toiletten, weil jemand 300 Meter Kabel geklaut habe. Er sagt: „Es ist ein Kampf. Licht gegen Dunkel.“
Demokratie: unnatürlich
Eines der vielen Webvideos über das Königreich zeigt einen einschneidenden Tag im Kampf um inneren Zusammenhalt. „Wie kann ich sagen, ich mache eine Demokratie, wo alle das gleiche zu sagen haben? Das ist wider die Natur“, antwortet ein aufgebrachter Fitzek da auf die Forderung nach mehr Mitsprache. Zum ersten Mal wird seine Macht infrage gestellt – er sperrt die Demokraten im Versammlungsgebäude ein, improvisiert eine Gerichtsverhandlung.
Die demokratischen Aufrührer rufen die deutsche Polizei um Hilfe, deren Machtmonopol sie eigentlich ablehnen. „Peter, du hast deine Führungskraft verwirkt“, brüllt einer seiner Jünger entsetzt. „Die Oberflächlichen“, wie Fitzek sie nennt, treten aus. Seither scharren sich die bedingungslos Getreuen hinter ihrem König.
Zurück im Staatsgebiet bestaunen die Interessierten stolz ihre deutschen Reisepässe, aus denen gegen eine Gebühr von 21 Euro die Sonnenstempel des Königreichs strahlen. Fitzek erzählt über die Uni und das Gesundheitszentrum, die hier entstehen werden. Falls der König nicht im Gefängnis sitzt oder untertauchen muss.
„Hier werden wir Unterricht halten“, sagt Fitzek und zeigt in einen leeren Raum, in dem noch der chemische Krankenhausgeruch zu hängen scheint. Viele Anwesende nicken überzeugt. Die Macht von Visionen, die Macht der Verblendung, am Ende könnte sie das einzige sein, was König Fitzek bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Schönheitsideale in der Modewelt
Zurück zu Size Zero