EU erwägt Verfahren gegen Deutschland: Streit um Kältemittel
Die Deutsche Umwelthilfe warnt vor dem Einsatz eines neuen Kühlmittels in Pkw-Klimaanlagen. Nicht nur Insassen sind gefährdet.
BERLIN taz | Das EU-weit vorgeschriebene neue Kühlmittel R1234yf in Pkw-Klimaanlagen kann bei Fahrzeugbränden zu schweren Verletzungen durch Freisetzung von Flusssäure führen. Davor warnt die Deutsche Umwelthilfe. Die Organisation präsentierte am Dienstag in Berlin ein entsprechendes Brandgutachten.
Die Umweltorganisation fordert deshalb ein Verbot von R1234yf und die möglichst rasche Umstellung auf das sichere und umweltfreundlichere Kältemittel Kohlendioxid in Klimaanlagen. Derzeit sind nach Angaben der Umwelthilfe etwa 100.000 Fahrzeuge mit dem kritischen Kühlmittel in Deutschland zugelassen.
Die EU-Kommission will am Donnerstag darüber entscheiden, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, weil die hiesigen Behörden dulden, dass der Autokonzern Daimler Fahrzeuge mit dem alten Kältemittel R134a ausstattet. Das alte Mittel ist im Unterschied zum neuen nicht feuergefährlich, dafür aber deutlich klimaschädlicher. Andere Autokonzerne vermeiden nach Angaben der Umwelthilfe ebenfalls den Einsatz des neuen Kühlmittels, benutzten dafür aber Lücken in den europäischen Zulassungsvorschriften. Daher stehe nun Daimler im Fokus.
Die Umweltorganisation warnte eindringlich vor R1234yf, da bei Bränden Flusssäure (Fluorwasserstoff) entstehe. Die Säure könne Lungen verätzen und zu Schwellungen führen – bei Autofahrern, Passanten oder Feuerwehrleuten. Bei einem zu Testzwecken in einem Tunnel angezündeten Wagen sei eine Flusssäurekonzentration gemessen worden, die beim Einatmen innerhalb kürzester Zeit zu irreversiblen gesundheitlichen Schäden führe, sagte der Verkehrsexperte Axel Friedrich, der den Test der Umwelthilfe leitete. Jährlich komme es in Deutschland zu rund 20.000 Fahrzeugbränden.
Friedrich wirft den Behörden unzureichende Sicherheitstests vor. Bislang sei nur untersucht worden, ob sich unmittelbar ausströmendes Kältemittel R1234yf an heißen Motorteilen entzünde und dadurch Flusssäure entstehe. Andere Brand- und Unfallszenarien seien unberücksichtigt geblieben. Viele Fahrzeugbrände entstünden aber durch Kabeldefekte, überhitzte Bremsen oder Reifen sowie übergreifende Flammen etwa bei Massenkarambolagen. Zudem seien Brandstiftungen oder Vandalismus Ursachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod