Ja, Paniks neues Album „Libertatia“: Schlager und scharfe Grenzkontrollen
Die Band Ja, Panik überführt mit eingängigen Songs Renitenz in Wohlklang. Doch dabei kommen sie allzu leidenschaftslos daher.
Die Helden sind müde. Schon den ganzen Tag geben Ja, Panik Interviews, reden sich die Köpfe im Kaffeedampf buchstäblich heiß. Denn das Interesse an der Band ist riesig, nicht nur, weil sie Stammgäste in den deutschsprachigen Feuilletons sind. In ihren Texten, in ihrer Haltung stillen die drei in Berlin lebenden österreichischen Künstler Sebastian Janata, Stefan Pabst und Andreas Spechtl offenkundig das Bedürfnis einer Generation von jungen Musikhörern, die die Rückkehr der Politik in den Pop fordern.
In Zeiten, in denen die mediale Öffentlichkeit sogar Protestsong-Wettbewerbe ausschreibt, machen Ja, Panik den Pop zum Ort eines Gesprächs über die Sorgen junger Europäer, die Wege aus der Finanz- und Vertrauenskrise ihres Lebensraums suchen.
Mit den Manifesten, die Ja, Panik jeweils zu ihren Alben reichen, und der politischen Analyse, die sie auch im Interview aufblitzen lassen, werden sie zu idealen Protagonisten für jeden Popdiskurs. Über ihr neues Album nachzudenken fällt nicht leicht: Zu sehr klaffen Theorie und Musik in den Songs auseinander. Jedes Anzeichen tonalen Missklangs – worauf sich die Band früher mit hackigen Gitarrenmelodien und schroffen Rhythmen bestens verstanden hat – ist auf „Libertatia“ zugunsten von sanftem Synthie-Pop getilgt.
Die Anfänge von Ja, Panik in Wien Mitte der Nullerjahre waren noch von klassischem Indierock geprägt. Damals als Quartett spielend, waren ihre Songs mal federnd und in Piano-Begleitung gehalten, mal gingen die Musiker der eingehenden Beschäftigung mit Verzerrern und einem eckigen Rhythmus nach. Darüber sang Andreas Spechtl Verse zu den Widersprüchen und Krisen der Zeit, wie etwa in „Ich bringe mich in Form“, oder „Alles ist hin, hin, hin“. Ganz anders auf dem heute erscheinenden neuen Werk „Libertatia“, wo es keinen Schmerz der Dissonanzen mehr gibt.
Stattdessen setzt Ja, Panik, zum Trio geschrumpft, nun auf eingängige Popsongs, reflektiert aber weiterhin die politischen Missstände. Diese Kombination von Moral und Wohlklang ist, wenn man so will, eine ästhetische Überlegung aus den Tagen des römischen Imperiums. Schon der Dichter Horaz wollte das Angenehme und das Nützliche in der Kunst verbunden sehen. Bei Ja, Panik nimmt dieser Anspruch eine interessante Wendung: „Libertatia“ bezeichnet den vermeintlich fiktiven Ort einer anarchistischen Kolonie, die im 17. Jahrhundert in Madagaskar gegründet wurde.
In ihren Texten nimmt die Band Bezug auf moderne Schauplätze einer solchen alternativen Welt, in der es keine nationalen Grenzen mehr gibt. So schweben ihre Text-Ichs „zeitlos free im space“ und fühlen sich „gone with the wind“, Wurzeln wachsen in den Himmel, egal woher sie stammen. Spielerisch werden neue Formen des Zusammenlebens inszeniert. Trennlinien stoßen im Kontrast zu solchen Bildern nur allzu bitter auf.
Postnationaler Ansatz
Neues Album: "Libertatia" (Staatsakt/Rough Trade)
Live: 4. 2., Hamburg, Uebel & Gefaehrlich, 5. 2., Köln, Gebäude 9, 6. 2., Frankfurt, Zoom, wird fortgesetzt
Ist „Libertatia“ als Kritik an einer restriktiven Einwanderungspolitik, scharfen Grenzkontrollen und Rechtspopulismus zu verstehen? „Man kann nicht leugnen, dass die Flüchtlingspolitik in den letzten Jahren eins der bestimmenden politischen Momente in unserem Leben war. Darum geht es auch immer wieder in den Songs“, erklärt Spechtl. „Ein Konzept, das eine Nation durch Sprache, Geburt und Boden definiert, funktioniert einfach nicht mehr. Das sind jetzt so seine letzten Atemzüge.“
War den Bandmitgliedern Kapitalismuskritik bisher vor allem Anlass zum Protest und zur Resignation, entwerfen sie auf „Libertatia“ neue Formen von Gemeinschaft. Zorn ist eben auch nur kurze Raserei. Das „Libertatia“-Manifest spricht vom „Bewusstsein davon, dass eine andere Welt eben nicht möglich ist“, trotzdem will es „von Europa sprechen“ und „übers Geld reden“.
Spechtl ist es wichtig zu betonen, wie ambivalent ihm in diesem Zusammenhang der Begriff des Utopischen erscheint: „Das, was mich daran interessiert, ist gerade das Nicht-Mögliche, dass die Idee komplett ausgesiedelt ist. Gleichzeitig trägt jede Utopie etwas Totalitäres in sich. Darum geht es uns. Wir sprechen aber nicht für andere. Auf dieses Klugscheißerische habe ich keinen Bock mehr. Trotzdem sind wir grundsätzlich gesprächsbereit.“
Mit dieser Geste erinnert Ja, Panik daran, warum es eine Politik der Popmusik geben muss. Als andere Stimme im öffentlichen Raum, als Symptomatologie der Gesellschaft, um Gegebenheiten neu zu denken. In Zeiten, in denen Kunst kaum mehr schockieren kann, suchen die Songs auf „Libertatia“ nach einer Form von Verbundenheit.
Songs ohne Leidenschaft
Problematisch ist nur, dass diese Suche auf musikalischer Eben von einer emphatischen Leichtigkeit bisweilen ins clownesk Seichte umschlägt. Eingängig sind noch die ersten beiden, New-Wave-artigen Songs. Die titelgebenden Single „Libertatia“ und das darauffolgende „Dance the ECB“ animieren zumindest mit flirrender Gitarre und einer sprunghaften Basslinie die Motorik: „Swing die Staatsfinanzen / Sing ihnen ihre Melodien / Zwing sie zum Tanzen!“, stimmt Spechtl passend dazu an. Lächelnd die Wahrheit sagen, scheint seine Strategie zu sein.
Doch dieses hohe Niveau können die restlichen Songs nicht halten. Zu einem sanften Keyboard-Teppich machen es sich etwa die Drums im immergleichen Beat bequem: Basedrum-Snare, Basedrum-Snare. Auch die Hooklines wirken formelhaft, und über weite Strecken schreitet der Sound so leidenschaftslos daher, dass man glaubt, es könne sich eigentlich nur um eine Parodie handeln. Wer den Reiz von Pop darin sieht, überrascht zu werden, wer den musikalischen Reibungswiderstand braucht, wird mit „Libertatia“ nicht glücklich werden, denn die Musik kommt dem Schlager verdächtig nah.
Hymnisch wie im Soul
Das sieht Andreas Spechtl naturgemäß anders: „Natürlich ist die Grundrichtung im Gegensatz zu unseren früheren Alben positiv, wir haben uns eingehend mit Grooves beschäftigt. Ich sehe die Songs eher hymnisch und in die Soul-Richtung gehend, wo ja auch düstere, ernste oder kritische Themen mit relativ umarmender Musik daherkommen.“
Soul? Ohne der Genre-tyischen Bestimmung von Ja, Panik weiter nachgehen zu wollen, lässt sich festhalten, dass zwischen Schlager und österreichischer Popmusik seit jeher eine gewisse Affinität herrscht. Davon abgesehen, dass der Begriff Ende des 19. Jahrhunderts als österreichisches Dialektwort entstand, fällt auf, dass auch andere österreichische KünstlerInnen wie Gustav oder Naked Lunch absichtsvoll simple Harmonien entwickeln, die sie mit poetischen, satirischen oder sozialkritischen Texten gleichsam konterkarieren.
Auf seine Bewunderung für die Austropop-Ikone Falco, die vor Beginn der Pop-Karriere in der immer wieder durch politischen Aktionismus auffallenden Theater-Rockband Drahdiwaberl aktiv war, hat Spechtl bereits hingewiesen. Betreiben Ja, Panik auf „Libertatia“ also eine Art subversive Affirmation? „Kann man so sagen“, meint der Sänger und Gitarrist. „Wir finden es interessant, Popmusik zu machen, bei der man vielleicht erst beim zweiten oder dritten Anhören merkt, was für einen Text man da eigentlich mitsingt. Fast schon wie ein Trojanisches Pferd.“
Inzwischen, so Spechtl, hätte es Ja, Panik durchexerziert, schwierige Musik mit schwierigen Texten zu toppen. Irgendwann habe sie das als Musiker gelangweilt. Kompliziert wirkt die Musik auf „Libertatia“ keineswegs. Mitreißen tut sie die Hörerin jedoch höchstens so viel wie eine TV-Revue zur Primetime. Es lässt sich bedauern, dass der Masterplan von Ja, Panik, politisch notwendige Kritik in buntes Glitzerpapier einzuwickeln, letztlich nicht aufgeht.
„Libertatia“ ist ein Album, das am besten klingt, wenn man nur darüber reden muss.
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