piwik no script img

Fürs Schulgeld ins WettbüroSpiel ohne Grenzen in Uganda

Jeden Samstag setzt Jimmy in einem der zwielichtigen Wettbüros von Kampala sein Erspartes, um endlich wieder das Schulgeld zahlen zu können.

Hort von Hoffnung und Verzweiflung: ein Wettbüro in Kabalagala, dem sogenannten Vergnügungsviertel von Ugandas Hauptstadt. Bild: Simone Schlindwein

KAMPALA taz | Jimmys Blick klebt an dem großen Flachbildfernseher. Heute spielt seine Lieblingsmannschaft Nigeria gegen Äthiopien und es sieht ganz danach aus, dass Nigeria gewinnt. Er hat sein ganzes Geld auf Nigeria gesetzt, sagt der 17-Jährige. In der Hand hält er einen knittrigen Wettschein. Immer wieder steckt er ihn in die Hosentasche und kramt ihn dann erneut hervor, um die Ergebnisse abzugleichen. Seine Hand zittert.

Das verdunkelte Wettbüro mit den zwei Schaltern, dem Fernseher und den Plastikstühlen ist eine von zahlreichen Spelunken in Kabalagala, dem Partystadtviertel von Ugandas Hauptstadt Kampala. Die Reeperbahn Ostafrikas ist voll von Kneipen und Diskotheken, die auch morgens um sechs noch voll sind. Davor stehen die Prostituierten und Drogendealer auf offener Straße.

Wer zwielichtige Geschäfte einfädeln will, der tut das am besten hier, und wer ein inoffizielles Wettbüro aufmachen will, der ist in der Straße, die niemals schläft, gut aufgehoben. So reihen sich in Kabalagala die Wettbüros aneinander. Mit lauter Musik und Werbeschildern buhlen sie um wettsüchtige und fußballfanatische Jungen wie Jimmy.

28.000 Schilling hat er an diesem Samstag auf sechs verschiedene Nationalspiele im African Cup of Nations gesetzt. Umgerechnet sind das 8,30 Euro – sein ganzes Vermögen. „Bei mir geht’s um alles oder nichts“, sagt Jimmy und spielt mit dem Wettschein in der schweißnassen Hand. „Ich will doch wieder auf die Schule gehen und mein Abitur machen.“

Jimmys arbeitsloser Vater und die auf dem Markt arbeitende Mutter müssen sich die Schulgebühren für ihn und seine vier jüngeren Geschwister vom Mund absparen. Im vergangenen Semester hat Jimmys Vater Geld leihen müssen, um ihn zur Schule schicken zu können. Da ist Jimmy eine Idee gekommen, die bis heute fatale Folgen für den 17-Jährigen hat.

„Anstatt in der Schule das Geld zu bezahlen, bin ich damals zum Wettbüro gegangen“, erzählt er. Dabei guckt er auf den Boden und spielt wieder mit seinem Wettschein. „Ich wollte einfach das Geld verdoppeln und damit das Schulgeld und die Schulden meines Vaters zurückzahlen“, sagt er. Doch daraus wurde nichts. Er verlor das Geld. Zur Schule ist Jimmy seitdem nicht mehr gegangen. Zu Hause war er auch nie wieder, er hat Angst vor seinem Vater. Das war im Juli vergangenen Jahres.

Samstags ins Wettbüro

Seitdem drückt sich der magere Junge mit dem löchrigen T-Shirt und den zu großen Hosen und Plastiksandalen Tag und Nacht in den Gassen von Kabalagala herum. Hier und da verdient er sich ein paar Schilling, die er unter der Woche anspart – um sie dann bis zum Anpfiff am Samstagnachmittag wieder in eines der Wettbüros zu tragen.

„Manchmal gewinne ich etwas, das setze ich dann wieder, in der Hoffnung, noch mehr Gewinn zu machen“, sagt Jimmy. Doch so richtig Glück hat er irgendwie nie. Und für die Schulgebühren reicht es deswegen wohl auch diesmal wieder nicht. Das nächste Semester beginnt im Februar.

„Wettsüchtige Minderjährige sind ein gravierendes Problem“, sagt Laura Busulwa, Direktorin von Ugandas einziger Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige, GAU (Bewusstes Spielen Uganda). Die junge Psychologin berät Betroffene und deren Angehörige. Es schockiert sie selbst, wie viele minderjährige Jungen der Spielsucht zum Opfer fallen. Gerade berät sie die Mutter eines 18-Jährigen, der vor wenigen Wochen Suizid begangen hat. „Er hatte seine Schulgebühren verspielt, und als die Eltern ahnten, dass er nicht zu Schule geht, hatte er keine Hoffnung mehr“, sagt Busulwa.

Riesiger Beratungsbedarf

Über 700 Fälle stehen auf der Warteliste ihrer Organisation. So viele, dass sie die Betroffenen in Gruppensitzungen beraten muss. „Der Ansturm ist gewaltig, und die Fälle werden immer dramatischer“, sagt sie und erzählt von einem Vater, der Haus, Grundstück und den Rest des Vermögens verzockt hat. Die Ehefrau hatte ihn verlassen. Er blieb mit den Kindern zurück, war aber so pleite, dass er ihnen kein Essen kaufen konnte. Er beschloss, die Kinder zu vergiften. Das Hausmädchen konnte aber gerade noch rechtzeitig die Polizei rufen, sagt Busulwa.

Schuld gibt sie der Regierung, die sich nicht um einen gesetzlichen Schutz von Minderjährigen in den Wettbüros kümmert, sie im Gegenteil als gute und leicht beeinflussbare Zielgruppe entdeckt hat, so die Psychologin. „Die Wettbüros in Kabalagala und überall sonst in der Stadt sind voll mit 14- bis 18-Jährigen“, sagt Busulwa. Sie zieht selbst öfter durch die Szene, um Flyer ihrer Hilfsorganisation zu verteilen. Vor den Gefahren der Spielsucht zu warnen sei aber eigentlich Aufgabe der Regierung, klagt sie.

Der ugandische Staat verdient gut am Boom in der Spieleindustrie. Im Jahr 2001 gab es nur ein Kasino in der Hauptstadt Kampala, jetzt sind es mehr als 50 Kasinos und Wettbüros. Das brachte dem Haushalt 2013 knapp 10 Milliarden Schilling ein.

Doch viele der Wettbüros zahlen bislang gar keine Steuern, weil sie nicht als Firma registriert sind. Rund 30 Prozent der Wettbüros, so die Schätzung von Manzi Tumubweinee, dem Vorsitzenden der nationalen Lotterieaufsicht, haben keine Lizenz, arbeiten also schwarz.

Neue Lizenzen

Auf einer Pressekonferenz verkündete Tumubweinee kurz vor Weihnachten, dass Ugandas Regierung zum Jahresanfang den Kasinos und Wettbüros alle Lizenzen entzogen hat. Jeder Betreiber muss sich jetzt um eine neue Lizenz bemühen. Dabei werden Gebühren und Sicherheitsprämien fällig. Sollte ein Betreiber die Gewinne nicht auszahlen können, werden sie durch diese Prämien getilgt, kündigte Tumubweinee an.

Gleichzeitig werden neue Regelwerke aufgestellt. Im Parlament wird derzeit ein Gesetz debattiert, das das Wettspiel neu reguliert. Das bislang geltende Gesetz stammt aus dem Jahr 1967, dem fünften Jahr nach Erreichen der Unabhängigkeit Ugandas vom britischen Protektorat. Damals gab es noch keine Online- oder SMS-Wetten, auch keine Geldtransfers via Telefonguthaben.

„Damals gab es in Uganda gerade mal die ersten Fernseher, um sich Fußballspiele überhaupt ansehen zu können“, sagte Tumubweinee auf der Pressekonferenz. Dann wurde er ernst, ging zum Thema Jugendschutz über. Hier hat es Ugandas Parlament bislang verschlafen, die Gesetze zu aktualisieren, kritisierte er. Den unter 18-Jährigen soll künftig jeglicher Zutritt zu Kasinos, Spielhöllen und Wettbüros untersagt sein.

Und wieder einmal verloren

Im Wettbüro im Kneipenviertel Kabalagala hat der gerade noch minderjährige Jimmy von dieser Neuregelung bislang nichts erfahren. Den ganzen Samstagnachmittag lümmelt er vor dem Flachbildfernseher herum, um ja keines der Spiele zu verpassen, auf die er gesetzt hat.

Als es gegen 19 Uhr über Kampala dunkel wird, schon laute Musik aus den ersten Diskotheken dröhnt, am Straßenrand Hähnchenverkäufer ihre Grills anfeuern und die ersten knapp bekleideten Mädchen auf hohen Stöckelschuhen die Partymeile entlangstolzieren, knüllt Jimmy seinen Wettschein zusammen und wirft ihn vor dem Wettbüro in die Abwasserrinne.

Wieder war es nichts mit den Schulgebühren. Wieder hat er seinen letzten Groschen verspielt. Doch er will nicht aufgeben. „Ich komme nächsten Samstag wieder“, sagt er, bevor er in einer dunklen Seitengasse verschwindet. „Ich will doch mein Abitur machen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • S
    Suuna

    guter artikel zu einem wichtigen Thema. Das Ganze hat nur einen Haken. Nigeria hat doch die letzten Spiele gegen Äthiopien immer gewonnen. Entweder ht Jimmy noch eine andere Kombi auf dem Wettschein gehabt, oder der Artikel ist der Aussage wegen ein wenig abgerundet worden.

    Ich habe vor Kurzem den Satz gehört: "Der wichtigste Grund für Armut in Uganda heißt Arsenal

  • G
    Gast

    Sehr guter Artikel - das Partyviertel Kabalagala liegt bei mir um die Ecke und ich bin selbst geschockt, wie innerhalb von einem Jahr die Sportwetten-Läden in dieser Gegend wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Und da ist die Verführung, ohne Mühen ans schnelle Geld zu kommen, gerade bei den unzähligen Ugandern ohne Ausbildung sehr gross...Ich hoffe, dass der Staat letztendlich doch noch durchgreift, und einen Grossteil dieser Läden dicht macht! Manchmal muss man einfach die Leute vor sich selbst schützen...