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Interview mit Adopt a Revolution„Mitleid hilft niemandem in Syrien“

Als der Arabische Frühling begann, reiste Elias Perabo zum ersten Mal durch Syrien. Er fand Kontakt zu Aktivisten, denen er mit der Initiative "Adopt a Revolution" seitdem von Berlin aus den Rücken stärkt.

Kämpfer vor den Resten einer Kleinstadt in Südsyrien. Bild: reuters
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Herr Perabo, wann waren Sie das letzte Mal in Syrien?

Elias Perabo: Im Mai. Wir haben im Nordosten des Landes, der mehrheitlich von Kurden bewohnt ist, für zwei Wochen verschiedene Projekte besucht. Es war uns wichtig, mit unseren Partnern zu sprechen, zusammen zu essen und persönlich zu sehen, was vor Ort passiert.

Wie ging es den Menschen dort?

Sie leben unter sehr schlechten Bedingungen. Man weiß abstrakt, dass es keinen Strom gibt und kein Wasser. Aber es ist etwas anderes, dort zu sein und das in der Realität wahrzunehmen. Zu sehen, wie Frauen Plastik verbrennen, um Brennstoff zu haben und Essen kochen zu können. Oder wie überall schwarze Rauchfahnen aufsteigen, weil die Menschen wegen des fehlenden Treibstoffs versuchen, ihren Diesel selbst zu raffinieren. Abends ist nur Hunderte Meter entfernt auf der türkischen Seite alles erleuchtet, während Städte mit hunderttausend Einwohnern auf der syrischen Seite im Dunkeln liegen. Es ist einfach anders zu erleben, wie zermürbend die Situation wirklich ist.

Was heißt das genau?

Es fehlt einfach an allem: es gibt kaum Elektrizität, es gibt kaum lebenswichtige Medikamente für chronisch Kranke und kaum Unterstützung für die Zivilgesellschaft. Die von uns besuchten Gebiete sind im Vergleich zum Rest des Landes sehr sicher und einfach zu erreichen. Hilfe und Unterstützung wären problemlos möglich. Politisch ist das aber von Deutschland und dem Westen wegen der Dominanz der syrischen PKK nicht gewollt. Zu sehen, wie der Westen hier aufgrund geostrategischer Interessen Menschen absichtlich verelenden lässt, war wirklich beschämend.

Sie selbst konnten aus dem Bürgerkrieg heraus wieder nach Berlin zurückkehren, in eine funktionierende Infrastruktur, in Ihr gewohntes Leben. Was macht das mit Ihnen?

Es lässt mich stärker darüber nachdenken, wie ich hier lebe. Gerade in Momenten großer Freude, etwa auf einer Party, fange ich an, meine Situation mit der meiner Bekannten und unserer Partner in Syrien zu vergleichen. Das ist schwer – auch während der Arbeit: Wie kann ich den Skype-Call beenden, in dem es darum geht, wie die Leute an Lebensmittel kommen – und ich gehe jetzt raus zum Mittagessen? Aber es bringt niemandem was, Mitleid zu haben oder Trübsal zu blasen.

Im Interview: Elias Perabo

Der Mensch: Elias Perabo, 33, ist Politikwissenschaftler. 2007 hat er den McPlanet Kongress für Globalisierung und Umwelt organisiert, ab 2008 leitete er die Kampagne gegen den Neubau von Kohlekraftwerken bei der Klima-Allianz. Politisch engagiert er sich für Klima- und Gerechtigkeitsfragen, 2007 etwa bei den Protesten in Heiligendamm gegen die G8, dem Antira-Klimacamp 2008 in Hamburg oder Castor Schottern 2010. Er wohnt in Kreuzberg.

Die Initiative: "Adopt a Revolution" heißt die Initiative, mit der 15 deutsche und syrische AktivistInnen in Berlin seit Herbst 2011 Geld für den Aufstand in Syrien sammeln. 600.000 Euro von rund 2.800 UnterstützerInnen sind seitdem zusammengekommen, damit werden derzeit 32 lokale Gruppen im ganzen Land unterstützt: Mit Internetanschlüssen, Geld für Schulprojekte oder Kommunikationstechnik. Über Blogs lässt "Adopt a Revolution" zudem die AktivistInnen aus Syrien selbst zu Wort kommen: adoptarevolution.org.

Die Spenden: Verteilt wird das Geld auf oft verschlungenen Wegen über Netzwerke von syrischen AktivistInnen, etwa die Local Coordination Commitees. Diese wiederum transferieren das Geld über türkische, libanesische und jordanische Konten nach Syrien zu den einzelnen Initativen und Komitees. Die Gruppen berichten regelmäßig, was sie mit dem Geld gemacht haben und welche Projekte sie als Nächstes planen. (pat)

Was machen Sie dann also?

Ich komme auf den Anspruch zurück, mit den Leuten solidarisch zu sein. Leider gibt es in Deutschland mittlerweile häufig die Haltung: Die Situation in Syrien ist so schlimm, man kann einfach nichts mehr machen. Und wir sagen eben: Doch, wir können etwas machen. Wir können praktische Solidarität leisten und vor allem die Leute nicht allein lassen, die dem Krieg etwas entgegenhalten, die versuchen, inmitten dieser ganzen Katastrophe etwas aufzubauen.

Wie kamen Sie selbst denn überhaupt ins Land?

Wir können wegen unserer Arbeit nicht mehr offiziell nach Syrien einreisen. Es blieb nur der inoffizielle Weg über die Türkei.

Einfach rübergegangen?

(lacht) Na ja, gerannt.

Als Sie das erste Mal in Syrien waren, war das noch einfacher…

Ja, das war vor drei Jahren, im Frühjahr 2011. Damals konnte ich einfach von Beirut nach Damaskus mit dem Bus fahren. Ich hatte mir zwei Monate frei genommen, um durch den Libanon und Syrien zu reisen.

Welchen Eindruck hatten Sie damals vom Land?

Es war faszinierend. Die Leute waren unglaublich herzlich und gastfreundlich, ich wurde mehrfach von Menschen nach Hause eingeladen. Trotzdem kam das Gespräch schon damals immer an einen Punkt, an dem geschwiegen wurde. Niemand, der mich eingeladen hatte, kein Taxifahrer, mit dem man über alles Mögliche reden konnte, hat jemals politische Themen angesprochen.

Zu der Zeit hatte der Arabische Frühling gerade begonnen.

Kurz bevor ich gefahren bin, waren erste Aufstände in Tunesien, dann in Ägypten. Damals sagten noch alle, Syrien ist sicher, dort wird nichts passieren. Das hat sich ein paar Tage vor meinem Abflug aus Berlin geändert: Zum ersten Mal gab es auch in Syrien Demonstrationen.

Haben Sie vor Ort etwas davon mitbekommen?

Zuerst hat man nichts gesehen. Ich bin einmal quer durchs Land gereist, von Damaskus über Deir Sur nach Homs und Aleppo. Anfangs waren die Demonstrationen klein und kaum sichtbar. Aber wenn in Charlottenburg eine Demo ist, bekommen die Leute in Kreuzberg ja auch nichts davon mit. Als ich jedoch ein paar Wochen später noch mal in Damaskus war, sah man schon die ersten Leute in Zivil, die Maschinengewehre trugen. Es war klar, das da etwas passiert. Und dann bin ich da so ein bisschen reingerutscht.

In die Revolution reingerutscht…

Ich hatte durch Zufall über Bekannte Kontakt zu einem Syrer, Rami Nakle. Als ich ihn zu Beginn der Revolution im Libanon traf, hatte er gerade Hals über Kopf Syrien verlassen, um seiner Verhaftung zu entgehen. Er war Teil eines AktivistInnennetzwerks, das schon vor der Revolution aktiv war, und hatte Kontakte zu vielen Gruppen im Land. Ich fand es wahnsinnig spannend, einen Einblick zu bekommen, was die Leute trotz der Lebensgefahr auf die Straße treibt, welche Motivation sie haben. Etwas später habe ich im Netz einen Beitrag der BBC zu den fünf wichtigsten syrischen Bloggern und Aktivisten gesehen. Auf dem zweiten Bild erkannte ich meinen Bekannten Rami.

Haben Sie ihn wiedergetroffen?

Ja, und ich habe ihm meine Unterstützung angeboten. Wir wurden sehr schnell gute Freunde. Über ihn habe ich Kontakt zu syrischen Aktivisten und Netzwerken bekommen und sie anfangs auch aus Beirut vor allem im Bereich der internationalen Medienarbeit unterstützt.

Sie haben damals eigentlich als Campaigner bei einer NGO im Klimaschutz gearbeitet.

Ja, aber ich war in einer Phase, in der ich eine neue Perspektive brauchte. Eigentlich wollte ich stärker zum Thema Energiewende arbeiten, aber dann stand wegen meiner Erfahrungen in Syrien und mit dem Arabischen Frühling plötzlich etwas Neues im Vordergrund.

Hatten Sie denn einen Bezug zu Syrien?

Nein, ich hätte ein paar Monate zuvor noch nicht einmal die drei größten Städte im Land benennen können. Aber mitzuerleben, wie massenweise Menschen für ihre Selbstermächtigung aufstehen, wie sie die Angst der jahrzehntelangen brutalen Unterdrückung überwinden und den Mut besitzen, trotz Lebensgefahr auf die Straße zu gehen, war absolut prägend. Ich hatte vorher bereits immer wieder transnationale Bewegungsarbeit gemacht, etwa in Klimagerechtigkeitsfragen und zur Flüchtlingspolitik. Angesichts dieses Umbruchs praktische Solidarität zu leisten war für mich selbstverständlich. Das ist auch die Grundmotivation hinter „Adopt a Revolution“.

Wie kam es zur Idee, „Adopt a Revolution“ zu gründen?

Als ich im September 2011 wieder in Damaskus war, hatte sich die Situation stark verändert, die Atmosphäre war extrem angespannt. Aus den für Syrien typischen Rundbögen über den Straßen waren die Bilder der Assads rausgebrochen. An den Straßenrändern lagen verbrannte Autowracks, auf manchen Dächern Scharfschützen. Wir haben dann mit mehreren Aktivisten überlegt, wie Unterstützung vom Ausland her aussehen könnte. Die Aktivisten kamen aus den Vororten, aus kleineren Städten und Dörfern. Sie haben sich in Bürgerkomitees organisiert und traten damit zum allerersten Mal politisch in Erscheinung. So entstand die Idee, eine Brücke zu bauen von Zivilgesellschaft zu Zivilgesellschaft. Das Ziel war, den unbewaffneten Widerstand zu unterstützen, die lokalen Strukturen, die etwas gegen die militärische Eskalation im Land tun.

Das haben Sie dann gemeinsam mit Freunden von Berlin aus organisiert – mit Politikwissenschaftlern, Informatikern, Webdesignern.

Ja. Die Frage hier war: Wie schafft man es, einen Bezug aufzubauen zum Arabischen Frühling, den man nur aus dem Fernsehen kennt, zu dem man von hier aus aber letztlich keinen Kontakt hat? Und die Idee war: Wer eine Patenschaft für ein Komitee übernimmt, wer Geld für ein konkretes Projekt spendet, ist beteiligt.

Klingt nach einer gewissen Anfangseuphorie.

Vielleicht schwang das mit. Andererseits war schon im Herbst 2011 absehbar, dass, je länger der Konflikt dauern würde, er umso gewaltsamer werden wird. Uns war von Anfang an klar, dass das syrische Regime alles vernichten wird, was sich ihm in den Weg stellt.

Warum haben Sie angesichts dessen gerade auf den unbewaffneten Widerstand gesetzt?

Wir waren uns des Dilemmas bewusst: Wir stehen auf der Seite des zivilen, nichtmilitärischen Widerstands gegen ein Regime, das jeden Widerspruch auslöschen will. Andererseits ist es gerade der unbewaffnete Widerstand, mit dem das Regime bis heute am wenigsten umgehen kann. Deshalb hatte auch das Regime von Anfang an ein großes Interesse an einer Bewaffnung der Opposition, um sie militärisch bekämpfen zu können. Leider ist diese Rechnung aufgegangen – auf die Gewalt folgte auch von der Opposition Gegengewalt. Trotzdem ist der zivile Widerstand auch heute wichtig. Und wir legen großen Wert darauf, dass wir nur den unbewaffneten Teil der Opposition unterstützen.

Gibt es den denn noch in Syrien?

Die Rolle des zivilen Widerstands hat sich sehr verändert. Der Aufstand als solcher ist politisch vorerst gescheitert. Trotzdem kommen regional und lokal immer wieder starke Ansätze von Zivilgesellschaft durch: Menschen, die protestieren, die sich organisieren. Wir unterstützen zum Beispiel ein Zentrum, in dem es Kurse zur Traumaverarbeitung gibt. Oder eine selbst organisierte Schule in einem Stadtteil von Damaskus, der seit Monaten bombardiert wird.

Dass die Situation so eskalieren würde, wie es heute der Fall ist, war anfangs trotzdem nicht absehbar. Mehr als neun Millionen Menschen sind auf der Flucht, die Vereinten Nationen haben aufgehört, die Toten zu zählen.

Wenn wir heute mit den Aktivisten vor Ort sprechen, sagen die: Schlimmer hätte es nicht kommen können. Leider standen die Chancen sehr schlecht, dass es überhaupt hätte anders kommen können. Dadurch, dass die Revolution sehr dezentral begann – in kleinen Orten, in ländlichen Gebieten –, war sie extrem unorganisiert. Und diejenigen Personen, die so etwas wie Führungsqualitäten gehabt hätten auch für den unbewaffneten Widerstand, verschwanden schnell in den Gefängnissen des Regimes.

Was hat das für Ihre Arbeit bedeutet?

Die hat sich ziemlich schnell ziemlich stark verändert. Am Anfang haben wir Demos, Sit-Ins und Kampagnen unterstützt. Inzwischen sind es vor allem Gruppen, die einfach mit dem Überleben beschäftigt sind. Im eingeschlossenen Teil von Damaskus, der seit Monaten systematisch ausgehungert wird, haben wir zum Beispiel Kontakt zu Medienkomitees. Wir versuchen, ihnen die Mittel bereitzustellen, mit denen sie auf ihre Situation aufmerksam machen können. Und wir arbeiten eben mit Projekten zusammen, die sich mit der Zukunft beschäftigen.

Welche Rolle spielt Berlin bei Ihrer Arbeit?

Viele syrische Aktivisten fliehen hierher und nehmen Kontakt zu uns auf. Dadurch konnten wir wiederum Leute in Syrien erreichen, die für den Kontakt mit den Netzwerken sehr wertvoll für uns sind.

Sind sie hier sicher?

Wir haben unser Neuköllner Büro nicht ohne Grund nie so richtig öffentlich gemacht. Das hat auch mit der politischen Geografie des Bezirks zu tun: Hier gibt es sehr unterschiedliche Strömungen, die Hisbollah ist eine gewisse Größe. Wir sind da sehr vorsichtig. Ein Beiratsmitglied ist in seiner Wohnung mal zusammengeschlagen worden, es ist ungeklärt, von wem.

Haben Sie noch Freunde in Syrien?

Von den Aktivisten der ersten Stunde gibt es nur sehr wenige, die das Regime überlebt haben und im Land geblieben sind. Die meisten, die ich vom Anfang her kannte, sind inzwischen entweder gestorben, in den Gefängnissen verschwunden oder im Ausland. Vor vier Monaten ist eine der zentralsten AktivistInnen, die Menschenrechtsanwältin Rasan Saitouneh, in den Vororten von Damaskus von Unbekannten entführt worden. Ich kannte sie auch … (korrigiert sich) ich kenne sie. Das war ein extremer Schock.

Was machen Sie, um so etwas zu verarbeiten?

Wir haben erst mal versucht, Aufmerksamkeit herzustellen – im Wissen allerdings, dass das kaum Auswirkungen auf den betroffenen Menschen vor Ort hat. Von Rasan haben wir bis heute kein Lebenszeichen. Es ist eine ziemlich schwierige und prägende Erfahrung, diese konkrete Konfrontation mit dem Tod, und dabei zu merken, wie absolut hilflos und wehrlos man ist. Deine Partner stehen unter Beschuss – und du kannst nichts für sie tun. Das ist eine Erfahrung der totalen Ohnmacht. Und trotzdem ist klar: Es gibt kein Zurück mehr.

Können Sie zwischen Privatem und Beruflichem noch trennen?

(lacht) Schwierig. Manchmal fahre ich weg, ohne Internet, ohne erreichbar zu sein. So etwas wie einen Feierabend gibt es oft nicht mehr, dafür ist die Brisanz einfach zu groß. Das liegt nicht nur an mir, sondern auch an den Leuten, die mich aus Syrien anschreiben, wenn ich abends online bin. Man hatte sie tagelang nicht erreicht, und dann melden sie sich mit dem, worüber sie eben gerade reden müssen. Das können schreckliche Bilder sein oder Nachrichten von Verhaftungswellen oder auch mal total gute Sachen. Das kann sehr schwierig sein – aber es ist zugleich sehr bereichernd.

Am 21. März erscheint in der taz ein sechsseitiges Dossier zu Syrien und der deutschen Außenpolitik.

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