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Tücken digitaler EnzyklopädieZu viel Manipulation

Die inhaltliche Einflussnahme von Lobbyisten auf Wikipedia ist unüberschaubar. Die Seite muss sich reformieren, sonst verliert sie ihren Ruf als Quelle.

In der Schweiz bunkern Wissenschaftler enzyklopädisches Wissen für die Zukunft. Bild: reuters

BERLIN taz | Allein die deutsche Ausgabe von Wikipedia umfasst 1,7 Millionen Artikel mit 4,6 Millionen Seiten Umfang. Aber wenig weiß man über die Entstehung und die Struktur der Enzyklopädie sowie die involvierten Interessen. Dieses Wissensdefizit kompensiert jetzt kompakt und verständlich die von der Otto-Brenner-Stiftung geförderte Studie „Verdeckte PR in Wikipedia. Das Weltwissen im Visier von Unternehmen“ von Marvin Oppong.

Zwar verfügt Wikipedia über Grundprinzipien, Richtlinien und ein Regelwerk, aber mit der Durchsetzung dieser Nomen sieht es nicht gut aus. Griffige Richtlinien („Sei mutig! Ignoriere Regeln!“) sind vage, Relevanzkriterien nur fragmentarisch formuliert und für die Praxis irrelevant, weil eine verbindliche Interpretation ebenso fehlt wie eine unabhängige Instanz zu ihrer Durchsetzung.

Schuld daran ist die intransparente, hierarchische Struktur von Wikipedia. Die Hierarchie erhebt sich von der Masse nicht angemeldeter Benutzer über angemeldete Benutzer, bestätigte Benutzer und stimmberechtigte Benutzer bis zu den Sichtern (14.231), Administratoren (260), Bürokraten (5), Oversightern und Checkusern (5).

Stimmberechtigt sind nur Benutzer, die während zwei Monaten aktiv sind und wenigstens 200 Edits geliefert haben. Bei Wahlen, an denen nur einige hundert Nutzer teilnehmen, werden Stimmen nicht ausgezählt, sondern geschätzt. Die Namen der so „gewählten“ 260 Administratoren sind öffentlich nicht bekannt.

Einzig jene der Bürokraten, Oversightern und Checkusern kennt man. Wikipedia ist keine Demokratie gleichberechtigter Nutzer, sondern eine „Oligarchie von besonders Interessierten“, die über viel Zeit verfügen, so Oppong.

Auch die Finanzverhältnisse sind unklar

Genauso archaisch geregelt sind die finanziellen Verhältnisse des gemeinnützigen Vereins Wikimedia Deutschland e. V., der gemeinnützigen Wikimedia Fördergesellschaft sowie der amerikanischen Wikimedia Foundation.

Gravierender als diese Strukturdefizite sind allerdings die inhaltlichen Einflussnahmen von Verbänden, Organisationen und Unternehmen – trotz der Selbstverpflichtung auf neutrale Information. Tausende von PR-Agenturen und Presseabteilungen manipulieren viele Artikel im Schutz des anonymen Zugangs.

Diese Beeinflussung ist ihrer Natur nach nur schwer nachzuweisen, aber Oppong zeigt an Beispielen im Detail, wie „PR und Manipulation in Wikipedia allgegenwärtig“ sind. Er belegt Manipulationen etwa im Artikel über das das Energieunternehmen RWE, in dem sich der „Export von Atommüll“ über Nacht zur „Rückführung von Brennstäben“ verharmlost.

Die Zwangsarbeiter, die der Chemiekonzern BASF unter dem Hitlerregime beschäftigt, verschwinden plötzlich. Beim Stromanbieter TelDaFax fehlt der Abschnitt Kritik ebenso schnell wie ein Konkurs in der Geschäftskarriere des FDP-Politikers Christian Lindner.

Nicht vertrauenswürdig sind auch einige Oligarchen, die PR-Beratungsdienste und Lobbyarbeit leisten neben ihrer Tätigkeit der Kontrolle und Qualitätssicherung bei Wikipedia. Exemplarisch dafür ist Achim Raschka, der von 2004 bis 2005 dem ersten Vorstand von Wikimedia Deutschland e. V angehörte, öffentliche Fördergelder für das Projekt „nachwachsende Rohstoffe“ organisierte und beste Verbindungen zu privatwirtschaftlichen Firmen unterhielt, die von diesem Projekt profitieren.

Klarnamen offenlegen

Wikipedia ist auf dem besten Weg, ihren Ruf als Informationsquelle zu verspielen, wenn das Unternehmen nicht Reformvorschlägen folgt, die Oppong abschließend skizziert. Ihm zufolge müsste zunächst die Medienkompetenz der Nutzer erhöht und die Wikipedia-Software transparenter gestaltet werden.

Wenn Wikipedia den großspurig deklarierten Anspruch erfüllen möchte, jeder könne mitmachen und die große Zahl von Mitarbeitenden garantiere schnelle Korrekturen, müsste die Zahl der wirklich Mitarbeitenden vervielfacht werden.

Schließlich sollten anonym agierende Verbände, Unternehmen und andere geschäftlich Interessierte gezwungen werden, ihre Klarnamen offenzulegen. Wenn Wikipedia ein demokratisches Medium sein will, müssen die Wahlverfahren transparenter gemacht und Stimmen wirklich gezählt werden.

Anmerkung der Redaktion:

In einer früheren Version des Textes hieß es:

„Genauso archaisch geregelt sind die finanziellen Verhältnisse des gemeinnützigen Vereins Wikipedia Deutschland e. V., der gewinnorientierten Wikimedia Förder-GmbH und der amerikanischen Wikipedia Foundation (von Google gesponsert). Die Einsicht in die obskuren Finanzverhältnisse ist fast ausgeschlossen.“ Diese fehlerhafte Darstellung wurde am 1.4. 2014 korrigiert. (Siehe oben)

Außerdem gehörte Achim Raschka nicht wie zunächst geschrieben von 2004 bis 2011 dem Vorstand an, sondern war von 2004 bis 2005 Teil des 1. Vorstands.

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16 Kommentare

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  • Mich gruselt es immer bei der Vorstellung, dass die allein selig machende Enzyklopädie anonym (=intransparent) administriert und bearbeitet wird.

  • einfach einmal berechtigte Kritik ertragen, denn selbst ein Komma hat Bedeutung.

     

    gemeinnützigen Vereins Wikipedia Deutschland e. V.,

     

    Komma

     

    der gewinnorientierten Wikimedia Förder-GmbH und

     

    +

     

    der amerikanischen Wikipedia Foundation (von Google gesponsert).

     

    Raschke

     

    Wo ist dies alles wirklich frei einsehbar, sehe da wenig bis nix?

     

    Getroffene Hunde bellen gerne und lange muß man auch auf Wiki nicht suchen.

    • @goofy3:

      Es gibt keine "gewinnorientierte Wikimedia Förder-GmbH", weder mit noch ohne Komma.

  • Mittlerweile ist das deutsche Wikipedia nicht mehr ernstzunehmen. Seriöse Beiträge werden gelöscht, peinlich dümmliche Fehlinformationen werden nicht korrigiert. Ein interessantes Beispiel ist "Torre Windsor" - ein Hochhaus, das nach einem Brand nicht eingestürzt ist. Es wird einfach behauptet, dass der obere Teil des Gebäudes komplett eingestürzt ist - auf den Fotos unter dem Text sieht man deutlich, dass das nicht stimmt.

    Diejenigen, die bei Wikipedia "sichten" und entscheiden dürfen, sind völlig ungeeignet.

    Schade. Zeit für einen Gegenentwurf zu Wikipedia - für ein gutes Konzept würde ich spenden.

    • @robbypeer:

      Deine Meckerei über die "Sichter" bei Wikipedia lass einfach mal stecken.

       

      Melde dich an, arbeite konstruktiv mit, d.h. korrigiere die Fehler, die dich stören und belege deine Informationen. Nach 200 Bearbeitungen kannst du dann selber "sichten" und über Administratoren abstimmen. So etwas kostet Zeit und es gibt kein Geld. Aber es macht Spaß.

       

      Es ist aber viel einfacher mal herum zu meckern und den Gegenentwurf zu fordern.

      • @Gesunder Menschenverstand:

        Genau das ist der Grund, weshalb Wikipedia mittlerweile nicht mehr funktioniert: Fanatiker und Besessene sammeln, bis sie 200 Bearbeitungen haben und "sichten" und desinformieren dann nach Herzenslust.

        Dieses System ist lächerlich - wenn es keinerlei Kontrolle gibt, kann jeder Troll sich zum "Sichter" emporarbeiten - was inzwischen der Fall ist.

        Es gibt viele Beispiele von Fehlinformation (s.o.) - die deutsche Wikipedia ist leider durchsetzt mit unseriösen "Sichtern". Das sind so viele Lobbyisten und ungebildete Extremisten, dass es keinen Sinn mehr macht. Die deutsche Wikipedia wurde zerstört. Ein Lexikon kann ohne Fachleute, die das letzte Wort in "Sichtungskriegen" haben, nicht funktionieren.

        In der jetzigen Form ist das Projekt Wikipedia gescheitert.

  • Politisch kritische Themen sollte man bei Wikipedia wohl nicht nachschlagen bzw. kritisch hinterfragen. Was aber die Naturwissenschaften angeht, ist es ziemlich gut dafür das die Autoren nicht bezahlt werden. Doch auch hier finden sich manchmal Fehler.

    • @SomeoneOutThere:

      Wenn du in den naturwissenschaftlichen Artikeln Fehler findest, dann korrigiere sie bitte (mit Angabe einer Quelle). So mache ich es auch ...

  • Zumindest wird es schnell offensichtlich, dass Wikipedia von einer neutralen Kontrolle weit entfernt ist und auch die Diskussion scheut, sich schnell hinter Auslegung von Statuten versteckt.

    Wer Wiki als wahre Quelle nutzt, dem ist eh nicht zu helfen, mindestens die Historie und die Diskussion um einen Artikel sollten mitbetrachtet werden.

    Es sei jedem empfohlen aus seinem Fachbereich einmal 10, 20 Artikel über zwei Jahre zu beobachten, schnell werden die Eigenheiten der "Mods" aus den jeweiligen Fachbereichen deutlich.

     

    Die Keule der Quellen ist auch recht flexibel, mal ist ein obskurer Artikel aus dem Netz Nachweis genug, jedoch ein nicht im Netz stehendes Buch (Chronik) nicht, Zeitzeugen ist ganz schlecht.

    Recht schwer tun sich die Leuts dort dort mit der braunen Vergangenheit, oder Kampfmittelproduktion usw., klar Quellen oft nicht ohne weiteres prüfbar, für Gegenteiliges kann jedoch ebenfalls nichts geliefert werden.

     

    Oberflächlich wurde es einmal in der unsäglichen Heester Diskussion gestreift, wie auch in Ortsbeiträgen.

     

    Wiki ist so gut wier eine intransparente Statistik, man sollte es wie Churchill halten.

  • In Wikipedia müsste man schon recht lange suchen, um einen solch tendenziösen Artikel wie hier zu finden. Es wird nicht klar, warum der Artikel heute erscheint, das Oppongsche Machwerk ist schon ein paar Monate alt. Abgesehen werden gute journalistische Grundsätze verletzt, da nur eine Quelle ungeprüft referenziert wird. Und dass bei Wahlen (die es eigentlich nur bei persönlichen Funktionen gibt) die Ergebnisse nur geschätzt und nicht gezählt werden, haben Oppong/Walter auch nur für sich. Die Realität sieht anders aus.

     

    Ein offenes System wie Wikipedia ist anfällig für PR, das ist wahr. Je mehr aber verantwortungsbewusst mitarbeiten, desto besser kann man dem begegnen. Die genannten Strukturdefizite bei Wikipedia mag man beklagen, aber selbst eine Änderung würde bei PR nicht helfen. Oppong/Walter ignorieren im Übrigen die verschiedenen Maßnahmen, die Wikipedia ergriffen hat, um schwarze PR-Schafe zu entdecken und ihr Wirken einzudämmen. Welchen Zweck hat also solch ein Artikel?

  • Velofisch hat einige wichtige Punkte schon genannt: Stimmberechtigung nur für Leute, die mitmachen. Und ein Klarnamenszwang wäre der Genickschuß für Wikipedia. Danach würde das Stalking und Mobbing gegen die Leute, die in ihrer freien Zeit an der Wikipedia arbeiten erst richtig losgehen.

     

    Im Gegensatz zu Journalisten erhalten Artikelbearbeiter in der Wikipedia kein Geld. Sie liefern dafür im Großen und Ganzen gute Arbeit und daher ist die Qualität dieses Nachschlagewerks gut. Das man die Quellen prüfen muss lernt jeder Oberschüler, der mit Wikipedia arbeit.

     

    In der Wikipedia wird übrigens nicht nur von Firmen versucht Einfluss zu nehmen, auch Gentechnikfeinde sind sehr aktiv und schreiben, was das Zeug hält.

     

    Zu guter letzt die Frage, warum ausgerechnet jetzt auf das Oppong-Machwerk hingewiesen wird. Das ist doch schon eine ganze Weile bekannt ...

  • Ein wunderbares Beispiel ist auch der Eintrag über die Universität Pécs in Ungarn. Teilweise ist der Artikel, der vor Lobhudelei nur so strotzt, sogar in der ersten Peson (plural) gehalten. Über einen an der Universität stattgefundenen Amoklauf (1 Toter) wird jedoch nicht berichtet. Eine reine Werbeseite für finanzkräftige Medizinstudenten aus Deutschland die hierzulande den NC nicht schaffen. Dennoch wurden die betroffenen Passagen über Jahre hinweg nicht bearbeitet. Auf entsprechende Hinweise wurde auch nicht reagiert.

  • Dass nur diejenigen mitreden können, die auch mitmachen, dürfte kein Manko sein. Wikipedia ist schliesslich kein durch Steuern finanziertes Parlament, sondern ein Lexikon, welches von den Beiträgen der Nutzer_innen lebt.

    Die Frage ist eher, ob sich ein solch offenes Modell mit unserer realen Welt von Lobbyisten und Interessengruppen verträgt. Viele werden sich noch daran erinnern, dass einige wenige Frauen versucht hatten bestimmte unbequeme Meinungen zum Feminismus oder Maskulinsmus zu unterdrücken.

    Ich habe Zweifel, ob der Klarnamenszwang hier eine Lösung ist. Auch bei der Verwendung von Klarnamen, wird eine vorhandene Verbindung zu wirtschaftlichen oder politischen Interessen nicht automatisch aufdeckbar. Umgekehrt wird der Klarnamenszwang die Bereitschaft der Nutzer_innen zum mitmachen stark einschränken. Hat Wikipedia erst einmal die Klarnamen, müssten die Nutzer_innen damit rechnen, dass sie Ziel von Abmahnungen oder Schlimmeren werden.

    Dies bedeutet, dass entweder Wikipedia in umstrittenen und Interessens geprägten Bereichen nicht mehr agieren kann. Alternativ müsste Wikipedia solche Bereiche moderieren lassen und ggf. auch mehrere Varianten zulassen - z.B. "Maskulinsmus" aus Sicht von Feminist_innen (diese sehen darin das Patricharchat) und "Maskulinsmus" aus Sicht der Maskulinisten (diese sehen darin eine Bewegung von Männer für mehr Gleichberechtigung).

  • Wikipedia ist eh sehr anfällig für politische Strömungen. Das dazu noch Lobbyarbeit kommt ist dem Geschäftsmodell geschuldet.