Die Wahrheit: Vertikutieren geht über studieren
Wer seinen Rasen liebt, muss gegen Unkraut kämpfen. Gegen das Vordringen des Mooses hilft dem Hobbygärtner kein Verharren in der Scheinidylle.
W ir Hobbygärtner lieben die Natur, solange alles zu seiner Zeit an seinem Platz bleibt. Mit der ersten Frühlingssonne ziehen wir hinaus ins Grün, bewaffnet mit Harke, Spaten und Vertikulator, und es beginnt der Kampf Gut gegen Böse. Denn wer die Natur liebt, der muss gegen sie kämpfen. Wer die Blumen liebt, muss gegen das Unkraut kämpfen, wer den Rasen liebt, gegen das Moos, das sind die ewigen Gesetze des Gartens. Es sind die ältesten Gesetze der Welt, schließlich hat in einem Garten ja alles einmal angefangen.
Nun also zu den Moosen, diesen lichtscheuen und durstigen Gesellen, den Punks unter den Gartenpflanzen. Für uns Hobbygärtner, die wir nach getaner Arbeit rechtschaffen in den Sessel sinken, sind Moose ungebetene Gäste. Laien werden den Groll gegen das immergrüne Gewächs nicht nachvollziehen können.
Auch ich war als Novize in meiner Kolonie zunächst verstört über die Moos-Aversion der Altvorderen. Ich genoss das wundervolle Gefühl, an einem sonnigen Maimorgen barfuß über den samtenen Teppich zu wandeln. Doch mit der Integration in die Gemeinschaft der Gärtner wurden mir die Augen geöffnet. Es begann mit rührender Anteilnahme angesichts meines vermoosten Rasens. Es folgten lange Diskussionen darüber, wie dieser Plage Herr zu werden sei: Vertikulator vs. chemische Keule vs. Ausbrennen. Später stand ich staunend vor Regalen voller Moos-Killer und -Vernichter im Baumarkt und hörte in abendfüllenden TV-Ratgebern Geschichten über den immer währenden Kampf Mann gegen Moos. Immer ging es um die Frage, wie der unschuldige Rasen vom grünen Schmarotzer freizuhalten sei. Mir dämmerte, dass ich mich von pseudoromantischen Idyllen hatte einlullen lassen und den Ernst der Lage unterschätzt hatte.
Damit wir uns nicht falsch verstehen, wir Kleingärtner haben nichts gegen Moose. An der Nordseite einer zweihundertjährigen Buche im Pfälzerwald oder an den Felsen im Lauf klarer Gebirgsbäche faszinieren uns die urtümlichen Bonsai-Flokatis. Dort schrauben wir gerne unsere Objektive auf unsere digitalen Spiegelreflexkameras, um die faszinierende Feinstruktur und das atlantikfrische Grün auf unseren Festplatten zu verewigen. Dann bewundern wir in Fotobänden die exotische Schönheit der archaischen Natur, das rassige Temperament, die glühende Leidenschaft, die kastanienbraunen Augen. Aber im eigenen Garten? Da gehört ihr nun mal nicht hin, liebe Moose, alles an seinem Ort zu seiner Zeit.
Den endgültigen Beweis für die Nichtsnutzigkeit der Moose lieferte der Gartenexperte im Baumarkt, als ich ihn, mit einer Packung „Moosfrei“ in der Hand, um Rat fragte: „Warum muss Moos eigentlich unbedingt runter vom Rasen?“ Der Experte schaute mich derart verblüfft an, als habe ihn jemand gefragt, warum er eine Hose trage. Dann dachte er sehr lange nach, ließ die gesamte Fachdiskussion der letzten Jahre Revue passieren, wägte These und Antithese sorgfältig ab und kam zu einer weltklugen, in ihrer Einfachheit geradezu genialen Synthese: „Weil es Moos ist, halt.“
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