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Stader Prozess unterbrochenTodesschuss bleibt wohl folgenlos

Der Prozess um den Überfall von Sittensen wurde unterbrochen. Der 80-Jährige, der einen Einbrecher erschoss, ist womöglich verhandlungsunfähig.

Mit Krücke, das Gesicht hinterm Aktenordner versteckt: Bruno S. betritt den Gerichtssaal in Stade. Bild: dpa

STADE taz | Das Verfahren gegen den 80-jährigen Ex-Bestattungsunternehmer Ernst B. dauerte am Mittwoch nur eine Stunde: Gleich zu Beginn des Totschlag-Prozesses vor dem Landgericht Stade legten B.s Anwälte ein ärztliches Attest vor, das die psychische Verfassung ihres Mandanten als sehr schlecht bezeichnet, weshalb dieser verhandlungsunfähig sei.

Während der Verteidiger den Antrag begründete, brach der Rentner mit einem Weinkrampf zusammen. Das Gericht unterbrach die Verhandlung, um den Angeklagten durch einen Gutachter untersuchen zu lassen.

Am Mittag sagte der Gutachter nach einer ersten Untersuchung, er könne nicht abschließend beurteilen, ob Ernst B. den Belastungen eines langen Prozesses gewachsen sei. Das soll auf Weisung des Gerichts nun ein Sachverständiger bis nächste Woche klären. So lange werde der Prozess ausgesetzt.

Damit könnte der Todesschuss von Sittensen am Abend des 13. Dezember 2010, bei dem der 16-jährige Labinot S. an einem Schuss in den Rücken starb, nach dem ganzen juristischen Hin und Her nun doch ohne gerichtliches Nachspiel bleiben.

Dem ganzen Komplex liegt – wie berichtet – ein versuchter Raubüberfall zugrunde. In jener Winternacht lauern Labinot S. und vier junge Männer im Alter zwischen 22 und 24 Jahren Ernst B. vor dessen Reetdach-Villa auf. Sie sind alle maskiert. Den Hinweis auf die Villa des Millionärs hatten die Männer von einer Freundin erhalten, deren Freundin – eine Prostituierte – B. wiederholt zu sich eingeladen und der er ein Mercedes- Coupé geschenkt hatte.

Hin und Her im Verfahren

In Notwehr handelt ein Mensch, wenn er einen Angriff auf sich selbst oder auf einen anderen abwehrt.

Als straffreier Totschlag wird gewertet, wenn ein Mensch die Grenzen der Notwehr aus "Verwirrung, Furcht oder Schrecken" überschreitet.

Nach Anklageerhebung wegen Totschlags lehnte das Landgericht Stade die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, weil ein Angriff auf das Eigentum den Schuss gerechtfertigt habe.

Totschlag oder Notwehr könnten nicht nach Aktenlage entschieden werden, urteilte 2013 das Oberlandesgericht Celle auf eine Beschwerde der Familie hin und verdonnerte das Landgericht Stade dazu, den Prozess zu führen.

Als Ernst B. an diesem 13. Dezember in den Garten geht, um den Hund im Zwinger zu füttern, greift das Quintett den Jäger an, bedroht ihn mit einer Softair-Pistole und zerrt ihn ins Haus. Labinot und ein anderer halten B. auf einem Stuhl fest, während die anderen nach dem Safe suchen. Beim Versuch, diesen zu öffnen, schrillt die Alarmanlage. Die Männer bekommen Panik und fliehen über die Terrasse.

Ernst B. nutzt den Wirrwarr und greift in eine Kommoden-Schublade, in der eine scharfe Waffe deponiert ist. Dann schießt er. Beim dritten Schuss wird Labinot S. aus zwei Metern Entfernung zwischen die Schultern getroffen. Das Projektil verletzt seine Hauptschlagader. Er verblutet binnen weniger Minuten, während die Einbrecher mit ihrem PKW flüchten und dabei einen Unfall bauen. So steht es in den Ermittlungsakten.

Bei seiner ersten Vernehmung gibt Ernst B. vor der Polizei an, Schüsse gehört zu haben. „Jedenfalls fiel dann ein Schuss und ich habe gedacht, jetzt wird es ganz gefährlich und jetzt kannst du auch zur Waffe greifen“, gibt er zu Protokoll. Fremde Projektile werden jedoch von der Spurensicherung in und vor dem Haus nicht gefunden.

Dafür taucht eine Woche später eine Gaspistole auf, die in Terrassennähe liegt, wo die Leiche von Labinot gelegen hatte. Sie gehört Ernst B. Die Staatsanwaltschaft Stade vermutet, dass die Gaspistole wegen des Schnees nicht gesehen worden sei, sagte damals Sprecher Kai Thomas Breas der taz.

Er schließt nicht aus, dass sich Labinot S. bei der Flucht die Waffe geschnappt und geschossen habe. Fasern der Wollhandschuhe, die S. getragen hat, werden laut Gutachten jedoch nicht an der Waffe gefunden.

Überhaupt gehen die Ankläger nur von Notwehr aus. Oder dass Ernst B. straffrei-wirkend „verwirrt“ gewesen sei, weil er am Morgen vom Tod eines Unternehmers im nur 50 Kilometer entfernten Oldendorf erfahren habe, der bei einem Raubüberfall an seinem Knebel erstickte. An der Haltung der Ankläger ändert auch nicht, dass sich die vier Komplizen nur zwei Tage nach der Tat stellten.

Erst nachdem im Juli 2011 den vier Räubern der Prozess gemacht worden war, in dem diese zu hohen Haftstrafen wegen räuberischer Erpressung verurteilt wurden, berichteten die Räuber der Familie detailliert den Tathergang.

Diese konnte daraufhin die Wiederaufnahme der Totschlags-Ermittlungen erreichen. Die neue Auswertung der Tatortspuren durch die Polizei führte dazu, dass die Staatsanwaltschaft im April 2012 doch noch Anklage wegen Totschlags erhob.

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17 Kommentare

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  • Zu dem schlechten psychischen Zustand des Opfers des Raubüberfalls könnte auch der Umstand beitragen, dass die Familie des bei der mutmaßlichen Notwehr Getöteten regelmäßig vor dem Haus des Opfers des Raubüberfalls auftaucht. Im Spiegel (http://www.spiegel.de/spiegel/a-765294-2.html) äußert sich ein Familienmitglied des im Lauf der mutmaßlichen Notwehr Erschossenen dahingehend, dass man dem Beraubten keine Ruhe geben will: "Er soll immer wieder damit konfrontiert werden, was er angerichtet hat [...] Der Mann soll nicht zur Ruhe kommen."

     

    Wie im Artikel erwähnt wurden die überlebenden Täter ja zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Aus shz.de (http://www.shz.de/hamburg/meldungen/rentner-schiesst-auf-raeuber-prozess-unterbrochen-id6352416.html) erfährt man, dass die Komplizen zu drei bis vier Jahren Haft verurteilt wurden. Auf bewaffneten Raub stehen laut StGB §250 nicht unter drei Jahre Haft.

     

    Beim letzten Versuch, so einen Kommentar einzureichen, wurde ich von der taz-Kommune verwarnt, weil ich wenig Mitleid mit dem Getöteten habe und äußerte, dass die lebendig geflohenen Räuber zu milde davonkamen. Letztendlich hat mich diese Verwarnung daran erinnert, dass ich im Grunde meines Herzens ein Gegner der Todesstrafe bin. Ich werde mir diesen Weckruf zu Herzen nehmen.

  • Mich erinnert die Konstellation, der Hergang an die Eigenheimhüter und Todesschützen in Florida.

  • Man möge bitte beachten, dass bei dem Getöteten die prall gefüllte Brieftasche des Beraubten gefunden wurde. Es handelte sich daher nicht um einen "versuchten" Raubüberfall, sondern um einen "vollendeten".

  • Red.: Kommentar entfernt. Bitte kommentieren Sie respektvoll.
  • D
    D.J.

    Ich empfehle verbale Abrüstung. Im Übrigen weise ich auf den Unterschied zwischen einem banalen Einbruch und einem brutalen Raubüberfall auf einen Rollstuhlfahrer hin.

    • D
      D.J.
      @D.J.:

      Bezieht sich auf @Henri Sinople.

  • Selber schuld - bei einem versuchten Raubüberfall als Täter erschossen zu werden, gehört nun mal zum Berufsrisiko.

    Wer eine Waffe in die Hand nimmt, muss eben damit rechnen, durch eine Waffe umzukommen, alte Binsenweisheit.

    Wenn mich jemand mit einer Waffe bedroht, würde ich den auch platt machen, so ich eine Gelegenheit dazu hätte.

    Recht auf Notwehr zum Schutz des eigenen Lebens und der eigenen Unversehrtheit, so ist das nunmal.

     

     

    Red.: Kommentar bearbeitet. Bitte äußern Sie sich respektvoll.

    • @Maharishi:

      Nach Ihrer Logik müsste aber auch die Jugendlichen nicht verurteilt werden, wenn sie den Rentner direkt abknallen und sich einfach die Beute krallen.

       

      Ein 80jähriger, der sich mit Prostituierten einlässt und denen auch noch einen Mercedes-Cabrio schenkt, müsste infolgedessen auch wissen, in welchen Kreisen er sich bewegt und seinen Reichtum bekannt gibt.

       

      Interessanter ist für mich gerade die Frage, was mit den Waffen passiert. Zum einen gibt es klare Vorschriften, wo scharfe Waffen gelagert werden dürfen. In unverschlossenen Schubladen haben die nichts zu suchen. Überhaupt nicht in Schubladen, sondern ausschließlich in gesicherten und fest angebrachten Tresoren. Hier liegt ein klarer Verstoß des Rentners gegen die Waffengesetze vor. (Oder um mit @Maharishi zu reden: Wer seine Waffen ungesichert rumliegen lässt, sollte sich nicht wundern, wenn er mit diesen abgeknallt wird!)

       

      Ich hoffe, dass das zuständige Amt dem Rentner sämtliche Waffenbesitzkarten entzogen hat und dieser nachgewiesen hat, dass er diese vernichtet hat. Bitte auch mal das recherchieren, was aus den Waffen wurde. Und warum das Amt nicht vorher feststellte, dass der Opa seine Waffen nicht vorschriftsmäßig lagerte.

      • D
        D.J.
        @Age Krüger:

        Auch ich finde den obigen Kommentar seltsam und bin froh, dass es das Konzept des Notwehrexzesses gibt.

        Mindestens ebenso absurd ist aber Ihr erster Absatz. Ich versuche es Ihnen mal zu erklären: Raubüberfalle sind meines Wissens nicht legal, wohl aber (wir leben hier nicht in sexualrepressiven Ländern wie USA und Schweden) Umgang mit Prostituierten.

        • @D.J.:

          Wir leben aber auch nicht in einem Staat wie den Niederlande, in dem Sachen wie Prostitution klar als Dienstleistungsgewerbe geregelt sind, sondern die sich in einer Grauzone befinden.

          Wenn ich mich in diese Grauzone hinein bewege, sollte mir klar sein, dass ich mich in einer Ecke bewege, die mit einem Bein schon in der Illegalität steht.

          Mir geht es hierbei um zwei Sachen: Zum einen ist das nicht mal eine Frage der Legalität, sondern auch der Legitimität. Ich kenne die Dörfer um Stade nicht. In meinem Dorf im westlichen Niedersachsen wäre der Mann auch ohne vorhandene gesetzliche Regelungen bei so einem Lebenswandel schon so isoliert, dass er bei einem Überfall auch keinerlei nachbarschaftliche Hilfe mehr erwarten könnte. Klingt hart, aber alt und hilfloser werden ist weder in der Stadt noch auf dem Land ein Vergnügen, wenn man sich abkapseln will.

          Zum anderen haben wir ja hier mehrere Gesetzesverstöße des Mannes. Man kann eben auch sagen, dass jemand, der gegen die Vorschriften der geltenden Waffengesetze seine Waffen nicht nach den Gesetzen aufbewahrt (Wie kann eine geladene Waffe offen herumliegen? Munition und Waffe haben in einem Tresor zu liegen und zwar in verschiedenen oder durch ein Sicherungsfach getrennt.). Dann wäre es eben die Logik von @Maharishi, dass jemand, der so gegen die Gesetze verstößt, froh sein soll, dass ihm nicht jemand die gegen alle Gesetze unverschlossen rumliegende Waffe klaut und ihn selbst damit bedroht.

           

          Natürlich ist so was nicht legal, aber ich kritisiere ja ebenso wie sie die fehlende Rechtslogik in @Mararishis Aussage. Jemanden, der auf der Flucht ist, in den Rücken zu schießen, ist selbst in Florida oder anderen US-Staaten mit ausgesprochen "liberalen" Notwehrrecht nicht legal.

          • D
            D.J.
            @Age Krüger:

            Da ich ein eher positives Menschenbild habe, mag ich nicht so recht glauben, was Sie hier über Ihre Nachbarn behaupten: Sich eher strafbar machen wegen unterlassener Hilfeleistung als einem alten Rollstuhlfahrer zu helfen, bloß weil er die Nähe einer Prostituierten sucht. Dies wäre dies ein Maß an Menschenverachtung und Selbstgerechtigkeit, das ich noch nie erlebt hätte. Wieso eigentlich Grauzone? Schon mal was vom RotGrünen Prostiutionsgesetz gehört?

            • @D.J.:

              Das Prostitutionsgesetz hat die Prostitution nur aus der Sittenwidirgkeit befreit. Dass noch immer jeder Kriminelle ein Bordell eröffnen kann, ist z.B. aus der Kritik an diesem Gesetz erkennbar, siehe z.B. diesen Artikel:

              http://www.taz.de/Reform-Prostitutionsgesetz/!136652/

               

              Desweiteren meinte ich nicht eine direkte Hilfeleistung. Diese wird wohl gewährleistet werden, wenn das überhaupt jemand MITBEKOMMT, dass Hilfe notwendig ist. Auf dem Dorf kennt man sich eben. Und ich weiß, wann bei meiner Nachbarin die Rolläden geschlossen sein sollten und wann nicht. Und wann es eben sonderbar ist, wenn da ein Auto mit vier Jugendlichen hält. Dass einem sowas auffällt, setzt aber voraus, dass man sich umeinander kümmert und man über den anderen Bescheid weiß und man sich eben nicht gleichgültig ist. Eine Dorfgemeinschaft ist eben ein entsprechender Kosmos, der seine Regeln hat.

    • @Maharishi:

      Das ist ein menschenverachtender Kommentar, der gelöscht werden muß. Den Prozeß um die Ermordung eines Einbrechers als "Affentheater" zu bezeichnen, macht den Kommentator zum "Affen" - wobei ich vor Affen mehr Respekt habe, als vor "Maharishi".

      • @Henri Sinople:

        Dass dieser Multikriminelle ermordet wurde, steht noch nicht fest.

        • D
          D.J.
          @Peter_S.:

          Die Anklage selbst ging nur von Totschlag aus. Aber wollen wir Herrn Sinople nicht mit solchen juristischen Feinheiten belasten.

          • @D.J.:

            Mord und Totschlag als Trennung ist allerdings auch eine umgangssprachlich eher unübliche Sache.

             

            Man redet nunmal über Mörder und nicht über Totschläger. Rein bildlich ist auch erschießen und totschlagen nicht allzu ähnlich. Mord klingt einfach allgemeiner.